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Politik: Um Mitternacht frei vom Kolonialismus - Nach der Rückgabe von Macao und Hongkong richten sich Pekings Blicke verstärkt auf Taiwan (Kommentar)

Nun gibt es keine Überbleibsel europäischer Kolonialherrschaft mehr in China. Seit diesem Montag - der in Fernost einen halben Tag früher beginnt - weht nach mehr als 400 Jahren portugiesischer Verwaltung zum ersten Mal offiziell die Flagge der Volksrepublik über Macao.

Nun gibt es keine Überbleibsel europäischer Kolonialherrschaft mehr in China. Seit diesem Montag - der in Fernost einen halben Tag früher beginnt - weht nach mehr als 400 Jahren portugiesischer Verwaltung zum ersten Mal offiziell die Flagge der Volksrepublik über Macao. Darüber freut sich einer besonders: Jiang Zemin. Für Chinas Staats- und Parteichef geht es bei dem Machtwechsel um mehr als nur um die 430 000-Einwohnerstadt. Sein eigentliches Ziel heißt Taiwan. Nach der Rückgabe Hongkongs, bis 1997 britische Kronkolonie, ist Macao für Pekings Führung ein weiterer Schritt in Richtung Wiedervereinigung.

Die Formel "Ein Land, zwei Systeme", mit der Hongkong und nun Macao reintegriert werden in den chinesischen Staat, war für Taiwan erdacht worden. Eines Tages, hoffen Chinas Führer, soll auf ähnlichem Weg die 1949 an die Nationalchinesen verlorene Insel wieder eingegliedert werden. Die Rückkehr Macaos, sagt Jiang Zemin, gebe den Wiedervereinigungsplänen einen "frischen Impuls".

Mit seinen 21 Millionen Einwohnern und einer modernen High-Tech-Industrie ist Taiwan für China von ungleich größerer Bedeutung als Macao und Hongkong. Das hat auch historische Gründen: Nach 1949 musste die Volksrepublik lange mit der "Republik China", wie sich Taiwan offiziell nennt, um die internationale Anerkennung als legitime Vertretung Chinas, etwa in den Vereinten Nationen, ringen. Mit einer Wiedervereinigung zu Pekings Bedingungen würde Chinas KP den Bürgerkrieg endgültig gewinnen, wenn auch mit jahrzehntelanger Verspätung. Und Jiang Zemin hätte seinen Platz in den Geschichtsbüchern sicher: Mao Tse-tung machte China stark. Deng Xiaoping brachte die Öffnung. Jiangs Mission ist die chinesische Wiedervereinigung.

Mit einem erfolgreichen Machtwechsel in Macao will Peking den Taiwanesen zum zweiten Mal vorführen, dass die Formel "Ein Land, zwei Systeme" funktioniert. Wie Hongkong soll Macao für mindestens 50 Jahre sein kapitalistisches System und "ein hohes Maß an Autonomie" behalten. Das in China verbotene Glücksspiel, die Haupteinnahmequelle Macaos, darf munter weiterlaufen. Die von den Portugiesen eingeführte Meinungs- und Religionsfreiheit, hat Peking in einer Art Grundgesetz ("Basic Law") garantiert. Sie soll unangetastet bleiben.

Ob das Experiment jedoch wirklich funktionieren wird und wie gut, das ist offen. Zwei Jahre nach dem Abzug der Briten häufen sich in Hongkong die Fälle, bei denen Peking sich in die inneren Angelegenheiten einmischt. Ein geplanter Papstbesuch in Hongkong scheiterte an der Intervention Pekings, weil der Vatikan diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhält. Kritische Journalisten mussten auf Druck Chinas ihre Stellen beim öffentlichen Rundfunk räumen. Auch Hongkongs juristische Autonomie bröckelt langsam: Vergangenen Monat wurde bestimmt, dass der Pekinger Volkskongress in Zukunft Hongkongs Gesetze überstimmen darf.

Die Taiwanesen betrachten die Formel "Ein Land, zwei Systeme" deshalb mit Skepsis. Taiwan ist eine Demokratie. Eine begrenzte Autonomie wie in Hongkong und Macao bedeutete für die meisten einen Rückschritt. Das Misstrauen gegenüber Chinas Kommunisten sitzt tief. Obwohl Peking auf eine friedliche Wiedervereinigung drängt, droht es damit, Taiwan notfalls mit militärischer Gewalt zurückzuerobern. Einen friedlichen Flaggenwechsel wie in Macao kann sich in absehbarer Zeit auf Taiwan deshalb niemand vorstellen.

Harald Maass

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