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Ein Ukrainer hält während einer Trauerzeremonie die ukrainische Flagge hoch.

© dpa

Umbruch in der Ukraine: Die Stunde der Taktiker

Noch hält sich Julia Timoschenko beim Führungskampf in der Ukraine zurück – sie kommt zur Behandlung nach Berlin. Unterdessen bringt sich ein gewiefter Taktiker als Premierminister oder gar Präsident in Stellung.

Die Ukraine steht vor einem politischen Neuanfang. Wer künftig an der Spitze des Staates stehen wird, ist dabei noch noch unklar. Eines zeichnet sich allerdings bereits ab: Nicht alle, die bisher in Kiew etwas zu sagen hatten, werden in Rente geschickt. Das kommt vor allen bei den Maidan-Aktivisten nicht gut an. Derzeit ist das Parlament in Kiew mit der Bildung einer Übergangsregierung beschäftigt, die Posten des Präsidenten, des Parlamentssprechers und des Innenministers sind in der Hand der Vaterlandspartei der freigelassenen früheren Premierministerin Julia Timoschenko. „Nun gilt es, auch die Partei der Regionen zurück ins Kabinett zu holen“, sagt Sergej Tigipko, der früher Wirtschaftsminister unter dem abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch war und 2004 dessen Wahlkampf geleitet hatte. Tigipko wird als Interims-Ministerpräsident gehandelt, schielt in Wirklichkeit aber wohl auch auf das Amt des Regierungschefs der neuen, nach den Wahlen am 25. Mai zu bildenden Regierung.

Schokoladenproduzent und Oligarch Poroschenko bringt sich ins Gespräch

Seit Wochen wird auch der Oligarch und Schokoladenproduzent Petro „Roshen“ Poroschenko als möglicher neuer Premierminister oder gar Präsident gehandelt. Der gewiefte Taktiker bringt sich gerade bei den EU-Vertretern ins Gespräch. Poroschenko, der bereits Außenminister unter dem prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko war, gilt bei den wichtigen EU-Ländern als akzeptabler Kandidat. Bei der ukrainischen Bevölkerung ist er ebenfalls beliebt, obwohl er bis Dezember 2012 unter Janukowitsch Mitglied der Regierung war.

Spuren der Kämpfe. Überall in der Innenstadt von Kiew liegen rote Nelken zum Gedenken an die Opfer der Straßenschlachten.
Spuren der Kämpfe. Überall in der Innenstadt von Kiew liegen rote Nelken zum Gedenken an die Opfer der Straßenschlachten.

© dpa

Timoschenko nimmt Merkels Angebot an

Timoschenko wird sich in Berlin medizinisch behandeln lassen. „Julia Timoschenko hat ein Angebot von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Behandlung angenommen“, teilte die Vaterlandspartei am Montagabend mit. Die Behandlung werde im März beginnen. Timoschenko hatte am Wochenende mit Merkel telefoniert, dabei bot die Kanzlerin eine Behandlung in Deutschland an. Timoschenko wolle am 6. März am Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Dublin teilnehmen, erklärte die Vaterlandspartei auf ihrer Webseite. Danach wolle die 53-Jährige zur Behandlung nach Deutschland reisen. Timoschenko leidet unter starken Rückenschmerzen und war während ihrer Gefangenschaft mehrmals von Ärzten der Berliner Charité besucht worden. Die 53-Jährige war in Folge der politischen Umwälzungen in ihrem Land am Samstag aus dem Gefängnis in der ostukrainischen Stadt Charkiw freigekommen.

Keiner der Topfavoriten hat sich bisher gemeldet

Mit dem Beginn des Wahlkampfs für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die für den 25. Mai vorgesehen sind, wird unterdessen gerechnet, sobald die Übergangsregierung steht. Die Bildung der Übergangsregierung wird im Laufe dieser Woche erwartet. Ab sofort können sich die Kandidaten registrieren lassen. Doch keiner der Topfavoriten hat sich bisher angemeldet, Julia Timoschenko und Vitali Klitschko halten sich zurück. Beide Lager wollen offenbar die Entwicklung der nächsten Tage abwarten. Timoschenko hat am Wochenende die Übergangsregierung maßgeblich besetzt, ihr enger Vertrauter Alexander Turtschinow ist in Personalunion Parlamentssprecher und Übergangspräsident. Bis zur Bildung einer neuen Regierung leitet Arsen Awakow das Innenministerium. Die Nummer drei bei der Vaterlandspartei, Arsenij Jazenjuk, könnte Wirtschaftsminister, aber auch Ministerpräsident werden. Derzeit verhandelt er mit internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds über Milliardenkredite, weil das Land, nach 2008, erneut auf einen Staatsbankrott zusteuert.

Vitali Klitschko gilt als Favorit der deutschen Bundesregierung, angeblich befürwortet Berlin eine Doppelspitze in Kiew. Der erfahrene Poroschenko soll Ministerpräsident werden und sich in der Funktion vor allem um Wirtschaft und Finanzen kümmern, Klitschko als internationales Aushängeschild den Ruf der Ukraine verändern.

Maidan-Aktivisten in Führungsposten und Verwaltung?

Ob diese Gedankenspiele des Westens aufgehen, ist nicht sicher. Die Demonstranten auf dem Maidan wollen ihre Leute in einer neuen Regierung sehen, viele wünschen sich sogar, dass einer von ihnen Regierungschef und Präsident wird. Doch die Personaldecke der Aktivisten und der paramilitärischen Gruppen ist dünn.

Julia Timoschenko machte am Montag den Vorschlag, Kabinettsposten oder andere Führungsposten in der Verwaltung mit Leuten der Maidan-Aktivisten zu besetzen. Timoschenko will den Sachverstand derer nutzen, die seit Monaten auf dem Platz stehen. Der Aufruf der Ex-Regierungschefin richtet sich an Vertreter von Nichtregierungsorganisationen wie der Demokratischen Allianz und Publik Sektor – beides Gruppen, in denen sich keine Gewalttäter befinden. (mit AFP)

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