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Politik: Umsteuern

Die Verschiebung der Steuerreform traf die Union überraschend. Jetzt reagiert sie – und stellt die eigene Linie in Frage

Von Antje Sirleschtov

und Robert Birnbaum

Der Kanzler hat die Union kalt erwischt, und sie weiß es. „Jetzt wird’s spannend“, sagt einer aus der engeren Führung von CDU und CSU. Dass fünf Wochen vor dem Wahltag ein Ereignis wie die Jahrtausendflut alle Wahlkampf-Terminkalener über den Haufen schwemmen würde, hat ja schon niemand vorher ahnen können. Nach Gerhard Schröders Steuerreform-Coup aber schwant den Unionsstrategen, dass noch ganz anderes ins Schwimmen geraten könnte. „Wir dürfen jetzt keine Fehler machen“, heißt es in der Union. „Das Risiko steigt.“

Schröders Idee, als Notopfer für die Flut-Opfer die Steuerreform 2003 um ein Jahr zu verschieben, traf eine CDU/CSU, die auf diesen Gedanken nicht gekommen war. Der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann schmetterte prompt ein „Nein“ ins nächste Mikrofon. Noch am Abend wurde der Schleswig-Holsteiner ausgebremst: „Im Prinzip ja - aber...“ lautet seither die von den obersten Strategen ausgegebene Linie. Doch je genauer diese Strategen über den Kanzler-Vorstoß nachdenken, desto mehr merken sie, dass er den Kandidaten Edmund Stoiber in eine schwierige Lage bringt.

Dass man den Regierungsvorschlag nicht einfach ablehnen durfte, war sofort allen klar gewesen. Stoiber wäre als Verweigerer hingestellt worden, der in der Stunde der Not die Verantwortung nicht erkennt. Überdies beugte eine simple Einsicht der Versuchung vor, im Bundesrat eine Blockade-Front der unionsregierten Länder aufzurichten: Landesväter wie Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt, erst recht Georg Milbradt aus Sachsen würden kaum Parteiraison über Fluthilfe stellen. „Die Sachsen nehmen jeden Euro, egal von wem“, prophezeit ein CDU-Präsidiumsmitglied.

Einfach der Regierung zustimmen ging aber aus Unionssicht auch nicht. So verständigte man sich auf eine Sprachregelung, die nun alle unisono verbreiten: Die Aussetzung der Steuerreform sei ungerecht, weil nur jene Bürger zur Solidarität mit den Flutopfern verpflichtet würden, die von der geplanten Steuersenkung 2003 eigentlich profitieren sollten – und das seien die Bezieher kleiner Einkommen und der Mittelstand. Außen vor bleibe die Großindustrie. Und wenn schon Belastung, dann gefälligst für alle.

Das klingt einleuchtend und liegt voll auf Stoibers Linie, sich als Anwalt der kleinen Leute zu präsentieren. Und doch ist es eine Kehrtwende: Die Union, angetreten mit dem Ruf nach weiterer Entlastung, propagiert nun im n der sozialen Gerechtigkeit eine zusätzliche Steuererhöhung. Zwar läuft auch das von der Rot-Grün geplante Aussetzen der Reformstufe 2003 auf höhere Steuern hinaus. Trotzdem droht eines der zentralen Wahlkampf-Versprechen Stoibers und seines Wirtschaftsfachmanns Lothar Späth gegenstandslos zu werden. Wenn die Regierung gar auf den Ruf nach Belastung auch großer Unternehmen eingehen sollte, wäre gleich ein weiteres Wahlkampf-Argument kein Thema mehr: Stoibers Vorwurf, Rot-Grün bevorzuge die Großen.

Was Wunder, dass sich prominente Koalitionspolitiker die Hände reiben. Mit tätiger Hilfe der Opposition könnte die Regierung ihre Steuerreform an einem Punkt nachbessern, der auch manchem ihrer eigenen Finanzpolitiker quer im Magen liegt. Finanzminister Hans Eichel fordert die andere Seite kühl auf: „Wenn die Union weitere Belastungen will, dann soll sie ihre Vorstellungen benennen.“ Der Sozialdemokrat weiß genau: Das ist schwer.

Für die Union heißt all dies mindestens in Teilen eine Neuausrichtung des Wahlkampfs. Das Spitzenteam um Stoiber und die CDU-Chefin Angela Merkel zog die Notbremse: Die Vorstellung des „Sofortprogramms“ für die ersten 100 Tage nach einem Regierungswechsel, für diesen Donnerstag geplant, wurde bis auf Weiteres vertagt. In dem Programm stehen schließlich noch die alten Versprechungen auf weniger Steuern. Überdies hat das Wahlkampf-Team „40 plus“ an dem Tag anderes zu tun: Abstimmung mit den Ministerpräsidenten der Union für den Bund-Länder-Gipfel, zu dem Schröder geladen hat. Bis dahin muss klar sein, wieviel von der jetzigen Sprachregelung übrig bleibt.

So haben die Regierenden Oberwasser, und die Union schwimmt. Viel herumrudern kann sie nicht. „In diesen zwei Wochen“, sagt einer aus der Unionsführung, „entscheidet sich die Wahl.“ Das sehen führende Rote ebenso: „Dies ist die Woche der Entscheidung“, sagt ein SPD-Präsidiumsmitglied.

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