zum Hauptinhalt
Innenminister Thomas de Maizière (CDU)

© Reuters/Kai Pfaffenbach

Update

Umstrittene Asylpolitik: De Maizière nennt Abschiebung von Afghanen "richtig und notwendig"

Ein Drittel der 34 nach Afghanistan abgeschobenen Asylbewerber waren nach Angaben des Innenministers Straftäter. Die umstrittene Praxis werde "behutsam" fortgesetzt, sagt de Maizière.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die umstrittene Sammelabschiebung abgelehnter afghanischer Asylbewerber verteidigt. "Solche Rückführungsaktionen sind richtig und notwendig, um unser Asylsystem funktionsfähig zu halten", sagte de Maizière am Donnerstag in Berlin. Die Praxis solle "verantwortungsvoll und behutsam" fortgesetzt werden.

Unter den aus Deutschland nach Afghanistan abgeschobenen 34 abgelehnten Asylbewerbern waren nach Angaben de Maizières ein Drittel Straftäter. Sie seien wegen Vergehen wie Diebstahl, Raub, Drogendelikten, Vergewaltigung und Totschlag verurteilt worden, sagte de Maizière am Donnerstag in Berlin. Teilweise seien die Afghanen direkt aus der Haft heraus abgeschoben worden. Unter den Männern seien keine freiwillig Ausgereisten gewesen. Die Lage für sie sei in Afghanistan „hinreichend sicher“.

Das Flugzeug mit den abgelehnten Asylbewerbern war um kurz nach 5.00 Uhr (Ortszeit) von Frankfurt am Main kommend in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelandet. Dort wurden sie laut de Maizière von der Polizei, Vertretern der Internationalen Organisation für Migration (IOM), des afghanischen Flüchtlingsministeriums und Mitarbeitern der deutschen Botschaft empfangen. Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Taliban-Rebellen gibt und es immer wieder zu Anschlägen kommt.

Eine Abschiebung zunächst gestoppt

Nach Angaben von Flüchtlingsinitiativen waren die betroffenen Menschen in Bayern und in Hamburg untergebracht, teilweise über Jahre hinweg. Eine vorgesehene Abschiebung stoppte jedoch das Bundesverfassungsgericht. Es gab dem Antrag des 29-Jährigen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statt, weil ihm sonst die Möglichkeit weitgehend verwehrt wäre, den von ihm gestellten Asylfolgeantrag weiterzuverfolgen. Die Frage, ob Abschiebungen nach Afghanistan derzeit verfassungsrechtlich zulässig sind, ließ das Gericht ausdrücklich offen. Ein zweier Antrag eines anderen Afghanen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen seine drohende Abschiebung wurde abgelehnt.

Der Bayerische Flüchtlingsrat berichtete von dem Afghanen Kefayat N., der in Dingolfing nachts um drei Uhr aus dem Fenster sprang, als die Polizei ihn festnehmen wollte. Er wurde in eine Klinik eingeliefert. Stephan Dünnwald, Sprecher des Flüchtlingsrats, ging dennoch davon aus, dass auch N. in das Flugzeug nach Afghanistan gesetzt wurde – „dann eben mit einem Gips“, sagte er dem Tagesspiegel. Am Flughafen kamen mehrere hundert Menschen zusammen, um gegen die geplante Sammelabschiebung zu demonstrieren. In Sprechchören forderte die Menge: „Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord, Bleiberecht für alle, jetzt sofort!“. Unter den Demonstranten befanden sich einige Linken- Politiker, darunter die Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler.

Insgesamt 34 Afghanen wurden heute von Frankfurt ausgeflogen. Sie sollen zunächst in Kabul landen.
Insgesamt 34 Afghanen wurden heute von Frankfurt ausgeflogen. Sie sollen zunächst in Kabul landen.

© Boris Roessler/dpa

Wie viele Bundespolizisten die Abgeschobenen begleiteten, ist nicht bekannt. Auch ärztliche Begleitung soll nach Angaben des Flüchtlingsrats mit an Bord sein. Man habe sich also darauf eingestellt, sagte Dünnwald, „dass auch medizinische Fälle abgeschoben werden“. Vom Bundesinnenministerium war zunächst nichts über die Aktion zu erfahren. Ein Sprecher sagte, dass die Rückführungen nicht angekündigt würden – auch, um sie nicht zu gefährden. Minister Thomas de Maizière (CDU) besteht aber schon seit längerer Zeit auf die Flüge.

Flüchtende sollen abgeschreckt werden

Damit soll deutlich signalisiert werden, dass nicht alle Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland aufgenommen werden. Auch sollen Menschen von der oft lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer abgeschreckt werden. De Maizière zufolge lebten am Stichtag 30. September rund 12500 zur Ausreise verpflichtete Afghanen in Deutschland.

Dass es darunter auch schwere menschliche Schicksale gibt, zeigt der Bayerische Flüchtlingsrat am Beispiel des 31- jährigen Afghanen Saleh Z.: Dieser ist nach Angaben der Organisation seit fünf Jahren in Deutschland und lebte bisher in Kempten im Allgäu. Er hatte dort seine eigene Wohnung und arbeitete bei einem Bäcker, der ihm auch eine Lehrstelle geben wollte. Aus Angst vor einer bevorstehenden Abschiebung versuchte er, nach Frankreich zu flüchten. In Pforzheim aber wurde er gefasst und kam ins Gefängnis. Dort verübte er einen Suizidversuch und kam in ein psychiatrisches Gefängniskrankenhaus in Calw, wo er sich bis Mittwoch aufhielt. Wahrscheinlich wird auch er jetzt abgeschoben – „er stand bis zuletzt auf der Liste“, sagte Flüchtlingsrats-Sprecher Dünnwald.

Bisher wurden abgelehnte afghanische Asylbewerber in Deutschland häufig jahrelang geduldet. Gerichte verhinderten wegen der unklaren Sicherheitslage immer wieder Abschiebungen in das Land, das Jahrzehnte von bürgerkriegsähnlichen Zuständen geplagt war. Immer wieder unklar ist auch heute noch, wo in Afghanistan die Lage als sicher bezeichnet werden kann und wo nicht. Selbst die Nato-Mission gesteht ein, dass weite Teile des Landes unter Kontrolle der radikal-islamistischen Taliban stehen.

Die Regierung aber hält Abschiebungen für vertretbar und hat innerhalb des Landes sogenannte sichere Zonen definiert. Grünen-Chefin Simone Peter verwies auf die „sich ständig verschlechternde Sicherheitslage“ in Afghanistan. Die Bundesregierung mache sich indirekt der Menschenrechtsverletzungen mitschuldig. Der Flug am Mittwoch sollte der Anfang einer ganzen Reihe solcher Rückführungen sein. Für Anfang Januar ist bereits die nächste Maschine gechartert. Berlin hatte von Anfang 2016 bis in den Sommer hinein langwierig mit der Regierung in Kabul über die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern verhandelt. (mit AFP, dpa)

Zur Startseite