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Der Juristentag spricht sich für die Vorratsdatenspeicherung aus.

© dpa

Umstrittene Ermittlungsmethoden: Juristen fordern Trojaner-Einsatz und Vorratsdatenspeicherung

Für Strafverfolgungsmaßnahmen im Internet hat sich der Juristentag in München ausgesprochen. Ein neues Grundrecht auf Internetfreiheit halten die Juristen nicht für nötig.

Der Juristentag in München hat sich für den Einsatz umstrittener Ermittlungsmethoden zur Strafverfolgung wie Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen mittels so genannter Trojaner-Software ausgesprochen. Die Rechtsexperten verlangten allerdings zugleich, die neuen Maßnahmen an strenge Bedingungen zu knüpfen. Zudem soll es einen neues Gesetz geben, das den Handel mit gestohlenen Daten unter Strafe stellt. Für ein neues Grundrecht auf Internetfreiheit gebe es dagegen keine Notwendigkeit. Der Juristentag gilt als einflussreiches rechtspolitisches Gremium und wendet sich mit seinen Vorschlägen direkt an den Gesetzgeber.

Zur Vorratsdatenspeicherung beschloss der Kongress, Telekommunikationsanbieter sollten generell nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der einschlägigen EU-Richtlinie verpflichtet werden, Verkehrsdaten für mindestens sechs Monate zu speichern. Die umstrittene Online-Durchsuchung, bei der mittels Software ans Internet angeschlossene Computer ausgespäht werden können, soll angesichts der Verschlüsselungsmöglichkeiten für gespeicherte Daten erlaubt werden. Sie sei ein wichtiges Ermittlungsinstrument, hieß es. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Intim- und Privatsphäre müssten beachtet werden. Nachdem es Kritik an unzureichend gesicherter staatlicher Überwachungssoftware gegeben hatte, soll künftig eingesetzte Technik von unabhängigen Stellen zertifiziert werden, etwa durch den Datenschutzbeauftragten. Die Online-Durchsuchung ist bisher nur zur Abwehr schwerster Gefahren im Gesetz für das Bundeskriminalamt zugelassen.

Der Juristentag forderte den Gesetzgeber auf, er solle bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) Klarheit schaffen. Dies ist eine Methode, um mittels eingeschleuster Software beispielsweise Gespräche über den Internetdienst Skype abzulauschen. Heimliches Eindringen in ein informationstechnisches System zum Zweck repressiver Überwachung soll hier ebenfalls dann möglich sein, wenn die eingesetzte Software unabhängig zertifiziert wird. Bislang ist umstritten, ob die Quellen-TKÜ auf Grundlage der geltenden Strafprozessordnung durchgeführt werden kann.

Aufgeschlossen steht der Juristentag einer Anregung des Strafrichters am Bundesgerichtshof Armin Nack gegenüber. Er hatte vorgeschlagen, die unübersichtlich geregelten Überwachungsbefugnisse der Ermittler nicht mehr nach dem Stand der jeweiligen Technik zu regeln, sondern nach der Tiefe des Grundrechtseingriffs. So soll nicht mehr für jede Internettechnik ein eigener Eingriffstatbestand geschaffen werden müssen. Der Juristentag beschloss nun, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen sollen künftig nicht mehr an körperlichen Beweisgegenständen orientiert sein, sondern funktionsbezogen geregelt werden.

Um eine Strafbarkeitslücke im Hinblick auf den Geheimnis- und Datenschutz im Internet zu schließen, soll ein neuer Straftatbestand "Datenhehlerei" eingeführt werden, verlangte der Juristentag. Dieser wird von Ermittlern gefordert, um unter anderem den Handel mit illegal erworbenen personenbezogenen Informationen zu unterbinden. Ob ein solcher Straftatbestand auch Fahnder betreffen kann, die gestohlene Bankdaten von Steuerhinterziehern kaufen, ließ der Juristentag offen. Strafbar soll jedenfalls nicht der Erwerb von Daten sein, der ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dient, hieß es.

Die Rechtsexperten wandten sich gegen ein eigenes Grundrecht auf freie Internetnutzung. Hier genügten die Rechte zur Presse- und Meinungsfreiheit aus dem Grundgesetz sowie die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es gebe grundsätzlich auch kein Recht auf anonyme Nutzung. Jeder Nutzer müsse auch unter Pseudonym identifizierbar sein. Nur dann ließen sich Rechtsverstöße wirksam verfolgen. Internetdienste sollen Klarnamen und Netzverbindung ihrer Nutzer registrieren.

Die Juristen forderten jedoch dringend mehr Persönlichkeitsschutz im Internet. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei auch beim Persönlichkeitsrechts- und Datenschutz im Internet zu beachten. Grundsätzlich soll es aber kein "Recht auf Vergessen" innerhalb fester Fristen geben, wenn Nutzer in die Verbreitung von Informationen freiwillig eingewilligt hätten. Hier sei auch das Informationsrecht der Öffentlichkeit zu beachten. Nutzer müssten ausdrücklich einwilligen, eine stillschweigende Zustimmung (Opt-out-Modell) reiche nicht.

Bei der Frage, was gelöscht werden muss, sollen Abstufungen gelten, je nachdem ob die Daten etwa die Intimsphäre oder nur die allgemeine Sozialsphäre betreffen. Nur so könnten Konflikte flexibel ausgeglichen werden, hieß es. In einer knappen Abstimmung sprachen sich die Juristen dagegen aus, Betreiber von Suchmaschinen wie Google für Persönlichkeitsrechtsverletzungen haften zu lassen, die von Suchergebnissen ausgelöst werden. Zuletzt war die Frau des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff, Bettina Wulff, gegen Google vorgegangen, weil die Suchmaschine sie in einen Zusammenhang mit Prostitution bringt.

Die Verbreitung von Bildern öffentlicher Plätze oder Geschehnisse sei zulässig, solange die Personen darauf nicht identifizierbar sind, beschloss der Juristentag zudem. Ein bloßes "Gefühl ständiger Beobachtung" durch Kameras sei nicht geeignet, die Verbreitung einzuschränken.

Der Deutsche Juristentag, Europas größter rechtspolitischer Kongress, geht am Freitag mit einer Diskussion zur Zukunft der Europäischen Union zu Ende. Angekündigt haben sich unter anderem der Philosoph Jürgen Habermas und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle.

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