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Tausende Polen demonstrierten gegen die Abkehr der rechtskonservativen Regierung von europäischen Werten.

© Czarek Sokolowski/dpa

Update

Umstrittene Justizreform: Polen entmachtet die Richter

Polens rechtskonservative Regierung setzt die Aushöhlung des Rechtsstaates weiter fort. Tausende demonstrieren in Warschau für die Unabhängigkeit der Justiz.

Der erneute Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Warschau erfolgte nach erprobtem Muster: nachts, zu Beginn der Ferienzeit und ohne parlamentarische Debatte. Die regierende nationalkonservative Partei „PiS“ will so den öffentlichen Widerstand minimieren. Vor drei Wochen haben in Polen die Sommerferien begonnen. Doch das Parlament musste auf Wunsch des Parteichefs, „Präses“ Jaroslaw Kaczynski, der hinter den Kulissen die Fäden zieht, in der Hauptstadt bleiben, um „das Thema Gerichte vor der Sommerpause abzuschließen“.

Um halb drei Uhr in der Früh am vergangenen Sonnabend stimmte die zweite Parlamentskammer, der Senat, für die Beendigung der unabhängigen Richterwahl. Die erste Kammer, der Sejm, hatte den Gesetzentwurf drei Tage zuvor verabschiedet – ohne darüber zu debattieren.

Das Vorgehen löste Massenproteste in Warschau aus. Tausende demonstrierten am Wochenende für die Unabhängigkeit der Justiz. Auch die EU reagiert schneller und energischer als bei früheren Attacken der PiS auf Demokratie, Medienfreiheit und Rechtsstaat. Am Montag verurteilten fünf Fraktionsvorsitzende im Europaparlament – Europäische Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke – das Vorgehen. „Diese Gesetze sind nicht vereinbar mit den EU-Verträgen und der Mitgliedschaft.“

Die Europäische Kommission will sich am Mittwoch mit dem Konflikt befassen. Sie hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet, weil die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien bedroht sei. Eine Verurteilung ist allerdings nur möglich, wenn alle anderen EU-Staaten dafür stimmen. Bisher schützt Ungarn mit der Androhung eines abweichenden Votums Polen davor.

Das Gesetz löst den Landesrichterrat (KRS) auf, der bisher als von der Regierung unabhängiges Organ die Richter bestellte, und unterstellt das Nachfolgegremium dem Justizminister sowie der Regierungsmehrheit im Parlament. Der Justizminister darf künftig alle Gerichtspräsidenten und ihre Stellvertreter entlassen und neue ernennen.

Am Dienstag stellte sich auch der polnische Präsident Andrzej Duda, der selbst der PiS angehört, unerwartet gegen die umstrittene Gerichtsreform. Er verlangte eine Überarbeitung des Gesetzes, das in der jetzigen Form „wie ein politisches Diktat“ bei der Richterbesetzung wirke. Er drohte, auch die geplante Reform des Obersten Gerichts zu blockieren.

Duda äußerte die Sorge, die Reform könne zu einer parteipolitischen Unterwanderung der Justiz führen. Der Richterrat dürfe nicht "einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden", sagte er. "Das ist nicht zulässig." Als Kompromiss schlug er vor, die Mitglieder des Landesrichterrats künftig mit 60-Prozent-Mehrheit vom Parlament wählen zu lassen. Damit wäre die PiS für ihre Personalvorschläge auch auf Stimmen anderer Parteien angewiesen. Das Gesetz war bereits vergangene Woche im Parlament verabschiedet worden, kann ohne Dudas Unterschrift aber nicht in Kraft treten.

Unterstützung bekam Duda am Abend von tausenden Demonstranten. Die Regierung will aber an ihren Plänen festhalten. Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ am Abend keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Die Partei werde "die Reformen ganz zu Ende bringen", sagte sie vor Abgeordneten.

Nun soll der Oberste Gerichtshof aufgelöst werden

Denn diese Woche soll das nächste Element der „Justizreform“ durch den Sejm gepeitscht werden. Dieser Entwurf würde den Obersten Gerichtshof auflösen und den Richtern dort ihr Amt nehmen. Vor Monatsende soll auch der Senat zustimmen. Damit wäre die Unabhängigkeit der Justiz vollends beseitigt und das Gerichtswesen der Regierung unterstellt – obwohl es doch zum Prinzip der Gewaltenteilung gehört, dass eine unabhängige Justiz die Regierung kontrollieren soll. Am Dienstag setzte die PiS diesen zweiten Teil der „Reform“ kurzfristig auf die Tagesordnung. Parallel kündigte Vize-Justizminister Marcin Warchol Änderungen am Entwurf an, um den „Bedenken entgegenzukommen“. Man könne die Entscheidung über die Entlassung der Richter am Gerichtshof dem Landesrichterrat überlassen statt dem Minister. Das wirkt wie ein Scheinzugeständnis, das in der Sache wenig Unterschied macht, da der Landesrichterrat künftig vom Justizminister abhängig sein soll.

In der Weihnachtspause hatte die PiS die Entmachtung des Verfassungstribunals vollendet. Es hatte zuvor mehrere, von der PiS verabschiedete Gesetze für verfassungswidrig erklärt. Die PiS installierte Richter, die nicht ordnungsgemäß bestellt worden sind, am Verfassungsgericht. Staatspräsident Duda ernannte die PiS-loyale Juristin Julia Przylebska zur Vorsitzenden des Verfassungstribunals. Sie ist die Ehefrau des polnischen Botschafters in Berlin, Andrzej Przylebski. Ihm wird vorgeworfen, er habe früher für den kommunistischen Geheimdienst gearbeitet; er bestreitet das.

Das Verfassungstribunal und der Oberste Gerichtshof haben das Vorgehen der PiS mehrfach für verfassungswidrig erklärt. Regierung und Parlamentsmehrheit ignorieren das mit der Begründung, die Urteile seien noch nicht rechtskräftig, da sie nicht veröffentlicht seien. Das ist eigentlich Pflicht der Regierung, doch die weigert sich und liefert sich damit selbst einen Vorwand, warum sie die Urteile angeblich nicht beachten müsse.

Die PiS hat es möglicherweise auch deshalb eilig mit der Entmachtung der Richter, weil das Oberste Gericht gleich nach der Sommerpause, am 12. September, entscheiden soll, ob die Ernennung Przylebskas zur Vorsitzenden des Verfassungstribunals rechtmäßig war.

Liberale Medien sprechen von Verfassungsbruch

Liberale Medien wie die „Gazeta Wyborcza“ verurteilen das Vorgehen der PiS als Verfassungsbruch. Konservative Kommentatoren, zum Beispiel Marek Cichocki in der „Rzeczpospolita“, verteidigen die Reform mit dem Hinweis, dass der Rechtsstaat vielerorts in Europa durch den Terror und andere Ereignisse herausgefordert sei. Auch anderswo werde die Gewaltenteilung nach neuen Regeln interpretiert. In Frankreich gelte der Ausnahmezustand bereits seit November 2015. Kanzlerin Merkel habe die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, ohne sich mit der Opposition in Deutschland und den EU-Partnern zu beraten.

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