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Vergiftetes Lob. Der grüne Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn sagt, dass der Bund nun die Zahlen und Fakten in ihrer Widersprüchlichkeit wahrnehme.

© dapd

Umstrittener Bahnhof: Ist das Projekt Stuttgart 21 schon tot?

Die Debatte über einen Ausstieg aus dem Milliardenprojekt Stuttgart 21 ist wieder entbrannt. Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im Ländle. Die grün-rote Regierung von Baden-Württemberg will nicht für höhere Kosten geradestehen.

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Seit Jahren wird über das Projekt Stuttgart 21 heftig gestritten. Die Debatte dreht sich nicht nur um den Bau des unterirdischen Bahnhofs, sondern auch um die Finanzierung. „Solide geplant“ sei das Projekt, sagte 2008 der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU). Im „Memorandum of understanding“ ging man von 2,8 Milliarden Bau- und Planungskosten und einem Risikofonds von 1,3 Milliarden Euro aus. Schon damals gab es Zweifel: Ein Gutachten der S-21-Gegner prophezeite eine Kostenexplosion auf mindestens 6,9 Milliarden Euro. Mittlerweile hat die Deutsche Bahn das Projekt tatsächlich auf 6,8 Milliarden Euro veranschlagt. Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, spricht sogar von „mehr als zehn Milliarden Euro“. Die Debatte über einen Ausstieg ist wieder entbrannt – nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im Ländle.

Projektpartner für Stuttgart 21 sind die DB AG, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Regionalverband und die Flughafengesellschaft Stuttgart. Sie teilen sich die Kosten. Doch die grün-rote Landesregierung will nicht für höhere Kosten geradestehen. Und auch der neu gewählte Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) will nicht mehr zahlen. Jeder müsse über Alternativen nachdenken, sagte er vor kurzem. Am Dienstag ergänzte Kuhn: „Ich begrüße die neue Nachdenklichkeit beim Bund, der immerhin Eigentümer der Deutschen Bahn ist. Bei dem Projekt Stuttgart 21 nimmt das Bundesverkehrsministerium endlich die Zahlen und Fakten in all ihrer Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit wahr.“

Nach der Kabinettssitzung in Stuttgart betonte Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann: „Wir eröffnen keine Ausstiegsdebatte.“ Diesen Satz wiederholte wenig später sein Verkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne). Auch der Landtagsfraktionschef des Koalitionspartners SPD, Claus Schmiedel, will keine Ausstiegsdebatte. Nach dem Bekanntwerden des internen Dossiers des Bundesverkehrsministeriums ist diese Aussage so etwas wie das neue Stuttgarter Regierungsmantra – und der kleinste gemeinsame Nenner.

Denn auch knapp zwei Jahre nach der gewonnenen Landtagswahl und über ein Jahr nach der Volksabstimmung birgt das Milliardenprojekt Stuttgart 21 für die grün-rote Koalition weiter Sprengkraft. Die Grünen mobilisierten bis zur Volksabstimmung im November 2011 gegen S 21. Die SPD war mehrheitlich für die Verwirklichung des Projekts. Seitdem die Bürger gegen den Ausstieg gestimmt haben, ist der Gegensatz zwar formal aufgehoben, wird aber mit jeder neuen Negativnachricht über das Projekt erneut infrage gestellt.

„Das Volk hat entschieden. Für uns gilt das Ergebnis der Volksabstimmung. Daran sind wir gebunden“, sagte Kretschmann. Er betonte aber, dass er nicht bereit sei, „das Risiko eines Debakels wie beim Berliner Flughafen“ zu tragen. Die Landesregierung werde sich an Mehrkosten über den ursprünglich vereinbarten Finanzrahmen von 4,52 Milliarden Euro nicht beteiligen. „Das ist Konsens in der Koalition.“ Der Ball liege jetzt beim Aufsichtsrat der Bahn. Nur der könne eine „andere Debatte“ anstoßen. „Wir eröffnen sie nicht.“

Doch die Diskussion über Alternativen läuft spätestens seit Dezember, nachdem die Bahn erklärt hatte, dass der Kostenrahmen steige. Und auch bei der Beurteilung des Dossiers gehen die Meinungen innerhalb der Koalitionsparteien weit auseinander. „Dieses Dossier ist Teil einer gezielten Stimmungsmache. Es ist ein Papier ohne Unterschrift und Absender, für das keiner geradesteht. Es ist auch voller Widersprüche und Fehler“, sagte SPD- Fraktionschef Schmiedel, der stets an vorderster Front für S 21 gefochten hat. Doch auch in der SPD gibt es kritische Stimmen. Auf dem Landesparteitag Anfang März wollen Projektgegner einen Antrag gegen den Weiterbau stellen.

Der grüne Landesverkehrsminister Hermann interpretiert das Dossier anders. Das Papier „spricht Bände“. Auch Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer hält den Inhalt des Dossiers „für plausibel und nachvollziehbar“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Eigentlich“ sei das Projekt mit dieser Analyse tot, meint Palmer. Andererseits sei das Projekt schon oft tot gewesen und dann wieder zum Leben erweckt worden. „Die spannende Frage ist: Setzt sich die Fachebene mit ihrer Sachanalyse diesmal durch oder wird es wieder politisch zugekleistert? Ramsauer kleistert ja schon wieder.“ Der Bundesverkehrsminister trat Spekulationen entgegen, der Bund distanziere sich von Stuttgart 21. Das sei „Quatsch“, versicherte der CSU-Politiker am Dienstag.

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