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Umstrittenes Gesetz: Die Homoehe entzweit Frankreich

Selten ist ein Thema in Frankreich so kontrovers diskutiert worden wie das Gesetz zur Homoehe. Mit dessen Verabschiedung tobt ein Kulturkampf, über den selbst Franzosen erschrecken.

Es waren dann 136 Stunden und 46 Minuten. So lange hat die Debatte in der Nationalversammlung gedauert. Und Corinne Carré hat sie von Anfang bis Ende mitverfolgt. Jede einzelne Minute betraf sie persönlich, sie und ihre Lebensgefährtin Virginie Bocher. Denn es ging im Parlament um das Gesetz zur Homoehe, und Corinne und Virginie wollen heiraten.

„Heiraten“, sagt Corinne, „das mag altmodisch sein, bürgerlich, kleinkariert, wie immer man das nennen will, aber wenn es einem so lange verwehrt wird, dann ändert das alles.“

Sie wird Coco genannt, ihre Haare, weißblond trägt sie mit 49 so, dass eine Hälfte kurz geschoren, die andere etwas länger ist. Sie will ein Kind. „Wir wollten das von Anfang an, heiraten, Kinder kriegen“, sagt auch ihre Freundin Virginie, die zehn Jahre jünger ist. „Wir sind beide romantisch, und sogar unsere Familien warten drauf.“

Der Tag des 23. April, an dem das Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich ermöglicht, dann endlich verabschiedet wurde, ist für Corinne und Virginie ein Freudentag. Doch wie für viele andere homosexuelle Paare liegt auch für sie ein Schatten über dem Datum. Denn es bildete den Auftakt für eine seit Monaten scharfe Kampagne, die ein anderes Gesicht von Frankreich gezeigt hat, eines, das man so nicht kannte und auch nicht vermutete: erzkatholisch, antimodern, rückwärtsgewandt und vor allem homophob.

Selten ist ein Thema in Frankreich so heiß und kontrovers diskutiert worden; selten schien die Gesellschaft in zwei so unversöhnliche Teile gespalten. Nach 136 Stunden und 46 Minuten Debatte hatten sich die Parteien noch immer nicht angenähert. Das genaue Wortprotokoll einer einzigen Wochenendsitzung umfasst mehr als 300 000 Worte. Nach wie vor ist eine kleine Mehrheit von 53 Prozent für die Homoehe. Aber was das Recht der Adoption betrifft, hat sich das Gewicht verschoben: Jüngste Befragungen zeigen, dass inzwischen 56 Prozent der Franzosen dagegen sind, während es im Dezember 2012 nur 48 Prozent waren.

Virginie konnte sich die Debatte nicht antun, wie sie sagt, zu deprimierend sei das gewesen. Aber Corinne hat alles mitverfolgt: die großen Momente wie die Rede von Justizministerin Christiane Toubira, die Geschichte schreiben wird, den Jubel, den Applaus, die stehenden Ovationen. Aber eben auch die üblen Beschimpfungen und außergewöhnlichen Entgleisungen. Während der 136 Stunden und 46 Minuten gab es Momente, da Corinne die Tränen in die Augen schossen und sie wirklich stolz darauf war, Französin zu sein – und es gab andere, da sie sich am liebsten irgendwo versteckt hätte und nie wieder hervorgekommen wäre.

Ob sie die Reaktion der Gegner überrascht habe?

„Nicht wirklich“, sagt sie, „nur das Ausmaß der Gewalt und Feindlichkeit, das habe ich mir nicht träumen lassen.“

Tatsächlich kam dieses katholische Erdbeben aus dem Nichts und hat alle überrascht. Selbst Präsident François Hollande, der nichts anderes getan hatte, als eines seiner 60 Wahlversprechen einzulösen. Auf der Liste dieser Versprechen stand es auf Platz 31. Natürlich hätte es angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Frankreichs andere Prioritäten geben können, aber es war für ihn einfach, das Vorhaben mit den politischen Mehrheiten jetzt umzusetzen. Immerhin eins.

Die Gegner der „Ehe für alle“ fühlten sich übergangen und stellten die Legitimität der Regierung infrage. Lautstark haben sie geklagt, dass man nicht auf sie höre, dass Hollande ein elender Diktator und Frankreich keine Demokratie mehr sei. Von Bürgerkrieg war die Rede. Auch davon, dass er, wenn Hollande wirklich Blut wolle, Blut bekäme.

Aber wollte Hollande Blut? Es ist die schrille Tonlage eines Kulturkampfes in Frankreich, bei dem unter dem Vorwand, die Moral zu bewahren, sämtliche Ideale aufgegeben werden.

Corinne und Virginie sind seit elf Jahren ein Paar. Sie leben zusammen, sie arbeiten zusammen, sie machen Musik. Gemeinsam sind sie aus Paris in den Vorort Joinville-Le-Pont im Osten der Stadt gezogen, in ein Einfamilienhaus mit Keller, in dem sie ungestört proben können. Forget the Heroes heißt ihre Band, vergesst die Helden. Ihre Liedtexte sind auf Englisch, und vielleicht ist das der Grund, warum sie in Frankreich nie den Durchbruch geschafft haben. Deswegen bieten sie inzwischen Soundillustrationen an, Vertonungen für Dokumentarfilme, Theaterinszenierungen, Webseiten, Firmen, was auch immer. Ihre finanzielle Lage sei der eigentliche Grund, sagen sie, warum sie bislang kein Kind haben.

Die Gegner haben eine selbsternannte Ikone: Frigide Barjot

Im Französischen gibt es das Wort der Kampflesbe nicht. Aber es könnte sein, dass Corinne es gefallen würde. Früher, erzählt sie, habe sie sich regelmäßig mit Männern geschlagen. Früher, als sie noch in Heteroläden ging, wo sie die Anmache der Männer nicht ertrug. Corinne macht jetzt nicht Angst, dass Zehntausende auf die Straße gehen, um gegen ihr, Corinnes, Recht auf Gleichbehandlung zu demonstrieren. Aber sie sieht, dass es vor allem die jungen Schwulen und Lesben sind, die durch die Ereignisse verunsichert werden: „So viel Hass haben die einfach noch nicht erlebt.“

Auf den „Demos für alle“, die sich in Wahrheit gegen eine Minderheit richten, wurde gebetet und gesungen, aber auch gehetzt und geschlagen. Konservative Politiker defilierten neben rechtsextremen in seltener Eintracht – und für viele Beobachter ist diese Annäherung nur ein Vorgeschmack auf künftige Allianzen. Zur Tat schreiten radikalisierte Schlägertrupps, die sich der Homophobie genauso leicht wie der Fremdenfeindlichkeit verschreiben.

Dass sich eine kleine Minderheit so viel Gehör verschaffen und die Medien mit immer neuen Bildern und Appellen versorgen konnte, verdanken die Gegner der Homoehe vor allem ihrer selbsternannten Ikone Frigide Barjot. Sie, die im rosafarbenen Minirock die Demos anführt, wird gerne als Schauspielerin, Satirikerin, Buchautorin hingestellt. In Wahrheit ist sie ein frei schwebendes Atom, von Beruf eher Erbin, begnadetes Kommunikationstalent, einst selbsternannte Pressesprecherin von Papst Benedikt XVI., jedenfalls bis zu dessen Abdankung, und bewegt sich seit ihrer fernen Jugend im Dunstkreis einer Clique von rechts-anarchistischen Dandys, die ihr vor 25 Jahren das Pseudonym verpassten – ein Spiel mit dem Namen Brigitte Bardots. Ihr ist es gelungen, der Bewegung einen Anstrich von Modernität und Coolness zu geben, der ihren reaktionären Kern etwas kaschiert. Sie, die einst in den Schwulenclubs von Paris ihren Spagat auf der Bar oder dem Piano machte, vollzieht ihn jetzt gedanklich: Sie habe nichts gegen die Homoehe, aber etwas gegen die Adoption.

„Manchmal hatte ich das Gefühl, gar nicht in Frankreich zu sein“, sagt Virginie. Sie ist Bretonin, trägt ein weißes Hemd, einen blauen V-Pullover, mit der Rebellion gegen gesellschaftliche Konventionen hat sie sich nicht lange abgegeben. Sie spielt Geige, hat viele Jahre das Konservatorium besucht und es sogar zu hohen Auszeichnungen gebracht. Eine ganze Weile hat sie Männergeschichten gehabt, aus denen nichts wurde und nichts werden konnte, was sie erst begriff an dem Tag, an dem sie Corinne traf.

Anfangs, erzählt sie, habe sie gern auf der Straße Corinnes Hand gehalten. Inzwischen habe sie sich das abgewöhnt. „Die vulgären Bemerkungen, die man sich ständig anhören muss, haben mir die Lust daran verdorben.“ Ignorieren könne sie die nicht. Sie weiß, dass sie viel ruhiger als ihre Freundin wirkt, aber wenn sie sich ärgert, versichert sie, explodiere sie viel leichter.

Es sind seltsame, unverständliche Schlachten, die da gefochten werden. Seit der Einrichtung des Pacs, der eingetragenen Lebensgemeinschaft im Jahr 1999, ist die Adoption für homosexuelle Paare in Frankreich möglich gewesen. Vor dem Gesetz fungiert nur ein Partner als Elternteil. Der andere hatte keine Rechte. Das ändert sich nun: Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aufwachsen, werden durch die Ehe mehr geschützt als je zuvor.

Die Franzosen sind überrascht vom Ausmaß der Homophobie

Corinne kennt Frigide Barjot – „barjot“ heißt übrigens „durchgeknallt“. Sie kennt sie aus ihren Zeiten in den einschlägigen Homo-Clubs wie dem Banana Café in Paris. Der Volksfestcharakter, den sie der Bewegung verliehen habe, sagt Corinne, dürfe nicht über ihren gefährlichen Diskurs hinwegtäuschen, der die Homophobie salonfähig gemacht habe. Morddrohungen gegen Abgeordnete und Minister gehören inzwischen zur Tagesordnung. Der Vorsitzende der Nationalversammlung, Claude Bartolone, erhielt sogar einen mit Schießpulver gefüllten Brief. Die homosexuelle Journalistin Caroline Fourest, spezialisiert auf die rechtsextreme Szene und damit den Gegnern der Homoehe ein doppelt rotes Tuch, ist auf einem Bahnhof tätlich angegriffen worden. In Lille wurde eine Schwulenbar zertrümmert, aber am schlimmsten hat es den Niederländer Wilfred de Bruijn getroffen, der in Paris von drei, vier Männern zusammengeschlagen wurde, die nur sagten: „Ach, schau mal, Schwule.“ Das Foto seines zerschundenen Gesichts, das er auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat, gilt inzwischen als das Antlitz von Frankreichs Homophobie.„Der französische Traum ist zerbrochen“, bemerkt Corinne und fügt hinzu: „Es gibt in Frankreich eine alte, schwulen- und lesben- und, um genau zu sein, auch fremdenfeindliche Basis, und wenn die wirtschaftliche Lage derart bedrohlich ist wie im Augenblick, bekommen die Leute Angst. Wir Homosexuellen sind für eine bestimmte Schicht in Frankreich zum Sündenbock geworden.“

„Wir sind nicht homophob“, skandierten die Demonstranten auf ihren zahllosen Protestmärschen, während sie gleichzeitig von „Sodom und Gomorrha“ sprachen und das Ende des Abendlandes ausriefen. „Ein Kind braucht einen Vater und eine Mutter“, steht auf den Banderolen, die sie durch Paris tragen. Es gehe ihnen, betonen sie, nur um die Kinder. Und tatsächlich scheint es, als wäre ihre Sache ganz selbstlos. Aber kann es sein, dass in Frankreich zum ersten Mal die Massen auf die Straße gehen, nicht weil man ihnen ein Recht wegnehmen will, sondern weil man einer anderen Minderheit eines zusprechen will?

Selbst hartgesottene Politiker und Schwulenaktivisten wie der sozialistische Abgeordnete Jean-Luc Romero sind überrascht von dem Ausmaß der Homophobie. „Dabei ist das hier alles andere als eine Revolution“, sagt er. „Frankreich ist das 14. Land, in dem die gleichgeschlechtliche Ehe möglich ist nach Ländern wie Kanada, Belgien und vor allem Spanien und Portugal, die man für katholischer hielt.“

Als Romero in den frühen 80er Jahren aus der Provinz nach Paris kam, war gerade das Gesetz abgeschafft worden, das die Homosexualität als soziale Plage bezeichnete und unter Strafe stellte. 2002, er war etwas über 40 damals und noch Mitglied der konservativen UMP, bekannte er sich zu seiner Homosexualität und teilte öffentlich mit, dass er HIV-positiv sei. Seither gehört Romero zu den unermüdlichen Verfechtern der Gleichstellung und hat das politische Lager gewechselt. Während der vergangenen Monate hat er jede homophobe Hasstirade weitergetweetet. Warum? „Um den Franzosen zu zeigen, dass alle Barrieren gefallen sind und was im Schutz der Anonymität der sozialen Netzwerke heute möglich ist.“

Vor vielen Jahren hat Frigide Barjot eine symbolische Hochzeit für ihn und seinen Freund zelebriert. Sie sagte damals, wenn es eines Tages wirklich so weit sein sollte, dass er vor dem Gesetz heiraten dürfe, solle er sie einladen. Aber das wird Jean-Luc Romero garantiert nicht tun, wenn er am 27. September seinem Freund und Lebensgefährten vor dem Bürgermeister von Paris das Ja-Wort geben wird.

Corinne und Virginie überlegen im Augenblick, wie man eine Hochzeit mit möglichst wenig Geld ausrichtet und wie sie das mit dem Kind machen werden. In Belgien kostet die künstliche Befruchtung zwischen 500 und 4000 Euro, je nach Alter. Aber es geht auch viel einfacher. Ein guter Freund will gerne der biologische Vater ihres zukünftigen Kindes sein.

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