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Die Waffeninspekteure – hier ein Konvoi in Damaskus am Sonntag – kommen in Syrien bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten zum Einsatz.

© AFP

UN-Resolution zu Syrien: Giftgas-Inspekteure nehmen Arbeit auf

Die UN-Giftgas-Mission in Syrien ist historisch einmalig – am Dienstag beginnt die Arbeit der Inspekteure. Unterdessen wurde bekannt, dass Deutschland bis 2011 Chemikalien nach Syrien lieferte.

Jetzt müssen die Waffeninspekteure ran: Spätestens am Dienstag soll die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) in Syrien mit ihrer Arbeit beginnen. Das Ziel: Unter OPCW-Kontrolle muss bis Mitte 2014 das gesamte C-Waffenprogramm des syrischen Assad-Regimes beseitigt sein. Ein Massaker mit den geächteten Waffen wie am 21. August im Raum Damaskus soll sich nicht wiederholen.

Am Montag wurde bekannt, dass die deutschen Chemikalien-Exporte nach Syrien ein deutlich größeres Ausmaß haben, als bisher bekannt. Das Wirtschaftsministerium hat keine Hinweise auf eine Nutzung für die Chemiewaffen-Produktion. Linke und Grüne sind dennoch empört.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) hatte am Samstag in New York mit der Resolution 2118 der OPCW den Auftrag erteilt, die Vernichtung zu überwachen. Das oberste UN-Gremium reagierte damit erstmals mit einem harten Beschluss auf den zweieinhalb Jahre dauernden Bürgerkrieg in Syrien. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einer „historischen“ Entscheidung. Auch der Generaldirektor der OPCW, Ahmet Üzümcü, wählte große Worte: „Ich und meine Kollegen sind bereit, diese historische Verantwortung zu übernehmen“, sagte er. Ban kündigte zugleich den Termin für die lange geplante Syrien-Friedenskonferenz in Genf an: Mitte November werden die Vereinten Nationen der Gastgeber sein.

Die Führung in Damaskus erklärte sich offen für einen Dialog mit den Regimegegnern bei einer Friedenskonferenz, lehnte aber die von der Opposition geforderte Machtübergabe kategorisch ab. Der syrische Außenminister Walid al Muallim betonte im Interview mit dem Fernsehsender Sky News Arabia, dass Präsident Baschar al Assad bis zur nächsten Wahl Mitte 2014 das legitime Staatsoberhaupt sei. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die gespaltene syrische Opposition zu Geschlossenheit auf. Nach Angaben eines Sprechers begrüßte Ban am Samstag bei einem Gespräch mit Oppositionsführer Ahmed al Dscharba in New York die Zusage, dass dessen Nationale Syrische Allianz eine Delegation zur Syrienkonferenz entsende. Zugleich forderte Ban die Gruppe aber auf, sich mit anderen Oppositionsgruppen zu verständigen. Ziel müsse eine gemeinsame Delegation sein, sagte Ban.

In der Geschichte der Abrüstung ist die Operation in Syrien einmalig. Noch nie zuvor musste ein Land, in dem ein blutiger Bürgerkrieg tobt, ein ganzes Waffenprogramm herausgeben. Die Hauptverantwortung für den Schutz der OPCW-Inspekteure trägt das Regime des Machthabers Baschar al Assad. Dass die Organisation keine Zeit verlieren will, demonstrierte sie mit einem Syrienplan, den sie am vergangenen Freitag vorlegte. Darin gibt die OPCW straffe Fristen vor: So soll Syrien bis kommenden Freitag eine weitere Liste mit detaillierten Angaben zu den Giftsorten, der Munition und Produktionsstätten abliefern. Die syrischen Fertigungsanlagen für die Waffen sollen bis zum 1. November vernichtet sein. Allerdings muss die OPCW noch Einzelheiten für die Zerstörung ausarbeiten.

Unterdessen haben Oppositionelle und Geschäftsleute im türkischen Istanbul eine Vereinigung der Syrischen Demokraten gegründet. Die Bewegung will den Sturz des Assad-Regimes herbeiführen und gegen die Ausbreitung radikaler Islamistengruppen in Syrien kämpfen. Zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung gehört auch Ayman Asfari, ein britischer Geschäftsmann mit syrischen Wurzeln, dessen Vermögen das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ auf 1,9 Milliarden US-Dollar schätzt. „Die Stimme des zivilisierten Syriens muss lauter werden“, sagte Asfari. „Wir wollen der Welt zeigen, dass die Behauptung von Assad, sein Regime sei die einzige Alternative zu den extremistischen Gruppen, falsch ist.“

Bis Beginn des Bürgerkrieges lieferte Deutschland Chemikalien nach Syrien

Wie jetzt bekannt wurde, hat Deutschland bis zum Beginn des syrischen Bürgerkriegs Chemikalien in das Krisenland geliefert, die zur Herstellung von Giftgas genutzt werden können. Das Bundeswirtschaftsministerium räumte am Montag ein, dass die Menge der zwischen 1998 und April 2011 exportierten Substanzen mit 360 Tonnen fast drei Mal so groß ist wie bisher bekannt. Es gebe aber weiterhin keine Zweifel an der zivilen Verwendung der Chemikalien, die für insgesamt rund eine Million Euro nach Syrien verkauft wurden.

Die Grünen nannten die Lieferungen bis ins Jahr 2011 hinein „katastrophal“, die Linke sprach von „politischem Wahnsinn“. Die Exporte wurden genehmigt, obwohl Syrien zu den wenigen Staaten zählte, die der internationalen Konvention zur Ächtung von Chemiewaffen von 1997 nicht beigetreten waren.

Vor zwei Wochen hatte das Ministerium nach einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion bereits mitgeteilt, dass in den Jahren 2002, 2003, 2005 und 2006 insgesamt 134 Tonnen Chemikalien aus Deutschland nach Syrien geliefert worden waren, die auch zur Herstellung von Giftgas verwendet werden können. Jetzt liegt eine komplette Liste für die Jahre 1998 bis 2011 vor.

Das Wirtschaftsministerium erklärte, die Substanzen seien für die Verwendung in der Schmuckindustrie, zur Fluorierung von Trinkwasser oder auch zur Herstellung von Zahnpasta ausgeführt worden. „In allen diesen Fällen wurde die geplante zivile Verwendung der Güter plausibel dargestellt“, erklärte das Ministerium. Auch eine aktuell vorgenommene nochmalige Prüfung habe keine neuen Erkenntnisse ergeben, die Zweifel an der zivilen Nutzung begründen würden. Man habe sich dabei nicht nur auf Zusicherungen der Empfänger verlassen, sondern auch eigene geheimdienstliche Erkenntnisse genutzt.

Der Export sogenannter Dual-Use-Güter, die zivil und militärisch genutzt werden können, muss in Deutschland vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle genehmigt werden. Die deutschen Lieferungen gehen bis in die Zeit der rot-grünen Bundesregierung (1998 bis 2005) zurück und wurden dann von der großen Koalition (2005 bis 2009) und der schwarz-gelben Regierung (2009 bis 2013) fortgeführt. Im Mai 2011 wurde die Ausfuhr chemischer Dual-Use-Güter im Zuge der Sanktionen gegen Syrien verboten.

Die Kämpfe in Syrien ging indes weiter. Laut der oppositionsnahen Syrischen Beobachterstelle für Menschenrechte bombardierte die syrische Luftwaffe am Sonntag eine Oberschule in Raka. Die in London ansässige Organisation stellte ein Video ins Internet, auf dem zahlreiche Leichen zu sehen waren, einige lagen unter Büchern. Die meisten Opfer seien unter 18 Jahren, es habe auch zahlreiche Verletzte gegeben, erklärte die Gruppe, die ihre Informationen über ein Netzwerk von Informanten in Syrien bezieht. Rebellen eroberten das im Nordosten des Landes gelegene Raka im März, es ist die einzige Provinzhauptstadt, die ganz unter der Kontrolle der Aufständischen steht. Die Organisation verurteilte den Luftschlag scharf und erinnerte das Regime in Damaskus an das Versprechen, keine Schulen und Universitäten anzugreifen.

Wenige Stunden vor der Bombardierung von Raka griffen die Assad-Gegner mehrere Positionen der regulären Streitkräfte nördlich von Damaskus an. Dabei seien 19 Soldaten getötet worden, berichtete die Beobachtungsstelle. Allein am Samstag kamen nach Angaben der Nichtregierungsorganisation landesweit mindestens 130 Menschen ums Leben. (mit dpa)

Jan Dirk Herbermann

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