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Rettungsring für die Welt. Umweltaktivisten von Greenpeace haben am Stand von Cancun Luftkissen aufgeblasen, die kleine Inselstaaten kaum retten werden.

© Ronaldo Schemidt/AFP

UN-Verhandlungen: Alle gegen einen

Bei UN-Verhandlungen gilt eigentlich das Prinzip der Einstimmigkeit – diesmal wurde es ignoriert. Denn die 16. Klimakonferenz im mexikanischen Cancun wollte unbedingt einen Erfolg.

Es ist eine Premiere, die Folgen haben wird. „Ich nehme Ihre Ansicht zur Kenntnis“, sagt Patricia Espinosa zum Vertreter Boliviens und schwingt den Hammer der Konferenzvorsitzenden. Sie schlägt auf das Pult. „Der Text ist damit verabschiedet.“ Großer Beifall brandet auf bei 193 Delegationen, die erschöpften Unterhändler erheben sich morgens um halb vier und fallen sich in die Arme. Nur Pablo Solon, der Klimabotschafter des „plurinationalen Staats Bolivien“ bleibt sitzen. Er hat eine Machtprobe einer gegen alle gewagt. Und verloren.

Denn die 16. UN-Klimakonferenz im mexikanischen Badeort Cancún wollte unbedingt einen Erfolg. Auch wenn es bei den Verhandlungen zwischen Staaten, Staatengruppen und diversen Interessen oft genug so zäh voranging, dass Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte: „Langsamkeit ist noch untertrieben.“ Lange schienen die Gespräche festgefahren an den altbekannten Problemen: China und die USA blockierten sich gegenseitig, die EU fand wenige fortschrittliche Partner und der Rest der Welt verfolgte seine eigenen Interessen. Dass Japan gleich zu Beginn erklärte, man werde sich auf keinen Fall an die Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls in einer zweiten Periode nach 2012 gebunden fühlen, gab den Verhandlungen einen frühen Dämpfer.

Aber es gab eben auch eine Menge guten Willen. Der Schock von Kopenhagen, wo für das große internationale Abkommen alle wichtigen Staatsmänner einschwebten und dann scheiterten, saß allen in den Knochen, sagten Verhandler. „Es wird sehr offen und fair verhandelt, es gibt weniger Blockaden in Verfahrensfragen“, sagte der deutsche Verhandlungsführer Karsten Sach zu Beginn der zweiten entscheidenden Woche. Brasilien zeigte sich konstruktiv, auch Venezuela wurde gelobt. Die Briten beschlossen während der Konferenz zu Hause ein radikales Klimaschutzprogramm, alles Signale, die die Konferenz wohlwollend aufnahm.

Anscheinend kamen die Signale aber nicht in Bolivien an. Schon Mitte der Woche verließ die Delegation aufgebracht ein Treffen, auf dem angeblich Geheimabsprachen stattfanden. Da blitze kurz das Gespenst von Kopenhagen auf: Damals hatten sich vor allem die „Alba“-Staaten Südamerikas übergangen gefühlt, als die Top 20 der Weltwirtschaft den Abschluss hinter verschlossenen Türen auskungelten und den anderen vorlegten.

Doch Cancún hatte eine Konferenzpräsidentin, die peinlich darauf achtete, diese Fehler zu vermeiden. Ein großes Maß an Offenheit gegenüber den kleinen Staaten prägte den Gipfel, Espinosa wechselte im Plenum des öfteren vom Diplomatenenglisch in das vertraute Spanisch, um mit den Latinos von Du zu Du zu sprechen. Sie machte keine „Stockfehler“, lobten die Verhandler und dankten es ihr mit einem Auftritt wie einem Popstar in der entscheidenden Abschlusssitzung: Minutenlange stehende Ovationen, als die Präsidentin der Konferenz und mexikanische Außenministerin das Podium betrat und sichtlich gerührt, die Hände auf dem Herzen, den Beifall entgegen nahm.

Der Showdown mit Solon konnte beginnen. Der bolivische Diplomat, im legeren Poloshirt, aber mit geschliffener Sprache und Umgangsformen, klagte als Vertreter eines kleinen Landes das Recht ein, gegen den Konsens zu stimmen. Das Land versteht sich als Fürsprecher der indigenen Völker und benachteiligten Gruppen, hatte Mitte des Jahres in Cochabamba zum alternativen Klimagipfel gerufen und spricht der „Mutter Erde“ eigene Rechte in der Verfassung zu – die Verfassungsänderung wurde just zum Klimagipfel durchgesetzt. An dem Vertrag hatte Solon viele Dinge auszusetzen, die auch westlichen Umweltschützern schwer im Magen liegen: Die Fokussierung auf eine kapitalistische Marktordnung, das Übergewicht der USA, die Dominanz der westlichen Länder, die Geringschätzung traditioneller Lebensgemeinschaften. Doch als Solon am letzten Tag auf der Pressekonferenz nicht auf die Frage antwortete, ob er Verbündete habe, wurde klar: Bolivien steht allein. „Und an Bolivien wird die Konferenz nicht scheitern“, sagten alle Beobachter.

Dabei gilt in den UN-Klimaverhandlungen das Konsensprinzip. Aber heißt Konsens Einstimmigkeit? Das klagte Solon ein, der Rest der Versammlung sah das anders. Selbst seine wenigen Verbündeten blieben stumm. Die anderen Parteien, die im diplomatischen Schlagabtausch zwischen dem „Chair“, der Vorsitzenden und der „Party Bolivia“ zuhörten, ließen mit lautem Jubel für Espinosas Einlassungen erkennen, dass die Konferenz zu ihrer Präsidentin stand und selbst ein zweifelhaftes Verfahren akzeptieren würde. Über diese Frage werden nun sicher juristische Doktorarbeiten geschrieben. Röttgen jedenfalls fand es gut, dass „die Konferenz klargemacht hat, dass Obstruktion nicht akzeptiert wird“. Und natürlich, wie ein Beobachter bemerkte, hätte man dieses Spiel nicht mit den USA spielen können. Klimaverhandlungen sind eben auch Machtspiele. Aber auch das ist nicht ganz neu. Als 1997 das Kyoto-Protokoll verabschiedet wurde, fiel ebenfalls eine Gegenstimme unter den Tisch. Damals war es Saudi Arabien.

Bernhard Pötter

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