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Außenminister Westerwelle (FDP) sieht Zweifel, ob eine Aufwertung der Palästinenser in der Uno dem Friedensprozess dienlich wäre.

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Update

UN-Vollversammlung: Deutschland enthält sich bei Palästina-Entscheidung

Außenminister Westerwelle zweifelt, ob eine Aufwertung der Palästinenser in der Uno dem Frieden dienlich ist. Deutschland wird sich deshalb bei der Abstimmung enthalten. Europa ist in der Frage gespalten, doch überraschenderweise ist ein prominenter israelischer Politiker für den Antrag.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte am Donnerstag, aus deutscher Sicht seien Zweifel angebracht, “ob der heute von den Palästinensern angestrebte Schritt zum jetzigen Zeitpunkt dem Friedensprozess dienlich sein kann. Wir befürchten, dass er eher zu Verhärtungen führt.“ Die UN-Vollversammlung entscheidet über eine diplomatische Aufwertung der Palästinenservertretung in der Weltgemeinschaft.

Am Mittwochabend machten auch die USA ihre Position in dieser Frage noch einmal deutlich: US-Außenministerin Hillary Clinton lehnte den Abbas-Plan erneut ab. Der einzige Weg, um eine dauerhafte Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern zu erreichen, seien direkte Verhandlungen, sagte Clinton am Mittwochabend in Washington. „Ich habe oft gesagt, dass der Pfad zu einer zwei Staaten-Lösung, die die Hoffnungen des palästinensischen Volkes erfüllt, über Jerusalem und Ramallah führen muss, nicht über New York.“

Der frühere israelische Ministerpräsident Ehud Olmert unterstützt dagegen den Antrag der Palästinenser. „Ich glaube, dass der palästinensische UN-Antrag im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien der Zwei-Staaten-Lösung steht“, sagte der einflussreiche Oppositionspolitiker der US-Zeitschrift „The Daily Beast“.

Sorgen machen mögliche Strafaktionen Israels, das keinen Palästinenserstaat vor einem Friedensschluss will.
Sorgen machen mögliche Strafaktionen Israels, das keinen Palästinenserstaat vor einem Friedensschluss will.

© AFP

Palästinensische Politiker haben in den vergangenen Wochen viel geplant und noch mehr geredet – oft in aller Öffentlichkeit, aber noch öfter hinter verschlossenen Türen. Galt es doch, zunächst das ziemlich unwegsame Terrain der Nahost- Diplomatie umfassend zu sondieren, bevor der große Schritt gewagt wird. Da braucht es vor allem sensible Überzeugungsarbeit. Sonst wäre die ganze Arbeit vergebens gewesen.

Doch danach sieht es nicht aus. Alles ist bestens vorbereitet für das große Ereignis: Am heutigen Donnerstag will Mahmud Abbas für die Palästinenser den Status eines Beobachterstaates bei den Vereinten Nationen beantragen. Und aller Voraussicht wird in New York eine deutliche Mehrheit der 193 Mitglieder den Wunsch nach einer politischen Aufwertung erfüllen – gegen den erklärten Widerstand der USA und Israels. Und gegen die Bedenken Deutschlands.

Dass die Bundesregierung dem Ansinnen der Palästinenser-Führung skeptisch gegenübersteht, durfte auch vor der Klarstellung über die Enthaltung durch Außenmninister Westerwelle aufgrund des besonderen Verhältnisses zu Israel als sicher gelten. Bereits am Mittwoch hatte Regierungssprecher Steffen Seibert klargestellt, dass die Bundesrepublik  Abbas’ Antrag die Zustimmung verweigern wird.

Damit ist Europa weit von einer einheitlichen Linie entfernt. So will Frankreich für die Aufwertung der Palästinenser stimmen, auch Spanien, Österreich, Portugal und Dänemark haben ein entsprechendes Votum bereits angekündigt. Großbritannien schließt eine Zustimmung ebenfalls nicht aus. Allerdings müsse die Resolution zugunsten der Palästinenser die Perspektive der Friedensgespräche offenhalten, lautet die Einschränkung im Londoner Außenministerium. Wenn Großbritannien tatsächlich für die Aufwertung stimmen würde, wäre dies ein erheblicher Prestigegewinn für die Palästinenser. Denn noch im vergangenen Jahr hatte sich London bei der Abstimmung über die Mitgliedschaft Palästinas in der UN-Organisation Unesco enthalten. Aber selbst wenn London für den Status als Beobachterstaat stimmt, werden längst nicht alle 27 EU-Länder in der Vollversammlung dem Beispiel der Briten folgen. Diplomaten gehen davon aus, dass sich bei der anstehenden Entscheidung bei den Mitgliedstaaten der EU das Muster der Abstimmung in der Unesco vom Oktober 2011 in etwa wiederholen wird. Damals hatte eine Mehrheit der Vereinten Nationen gegen den Willen der USA, Israels und Deutschlands die Aufnahme Palästinas in die Bildungs- und Kulturorganisation gebilligt. Elf EU-Staaten, darunter Frankreich, stimmten für die Aufnahme, ebenfalls elf dagegen. Fünf EU-Länder enthielten sich seinerzeit der Stimme.

Abbas hat an Einfluss eingebüßt

Sorgen machen mögliche Strafaktionen Israels, das keinen Palästinenserstaat vor einem Friedensschluss will.
Sorgen machen mögliche Strafaktionen Israels, das keinen Palästinenserstaat vor einem Friedensschluss will.

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Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bedauert, dass es auch diesmal kein einheitliches Votum der Europäer geben wird. „Wir als Europäer können nicht einerseits überall auf der Welt für die Menschenrechte eintreten und es dann andererseits in Palästina hinnehmen, dass ein Staat ohne Sicherheit und Würde leben muss“, sagte er dem Tagesspiegel. Weil die EU-Staaten eine einheitliche Linie angesichts der Aufwertung des Status der Palästinenser vermissen ließen, müssten sie sich „zu Recht den Vorwurf der Doppelzüngigkeit gefallen lassen“, sagte er. Luxemburg werde den Antrag der Palästinenser unterstützen, kündigte Asselborn an.

Für den Ausgang der Abstimmung sind die Stimmen Europas allerdings nicht entscheidend. Die meisten Staaten werden den Antrag der Palästinenser befürworten. Einen derartigen Erfolg auf der Weltbühne kann Mahmud Abbas gut gebrauchen. Denn der 77-Jährige büßt in den eigenen Reihen immer rascher Macht und Ansehen ein. Auch wenn er seit zwei Jahren nicht mehr mit Israel gemeinsam am Verhandlungstisch saß, gilt er bei vielen seiner Landsleute als zu nachgiebig, zu kompromissbereit. Sie fordern schon lange eine wesentlich härtere Gangart gegenüber den Besatzern. Der eigene Präsident scheint ihnen dafür ungeeignet.

In der Tat hat sich das Machtgefüge in der Krisenregion in den vergangenen Monaten grundlegend verschoben. Auch wenn der Westen stets beteuert, auf palästinensischer Seite sei Abbas der Ansprechpartner für den Friedensprozess, ist der Fatah-Chef längst ins Hintertreffen geraten. Die Hamas im Gazastreifen hat ihm realpolitisch den Rang abgelaufen.

Beim jüngsten Konflikt zwischen den Radikalislamisten und Israel ist das augenfällig geworden. Zwar klopften etwa Außenminister Guido Westerwelle und seine US-Kollegin Hillary Clinton in Ramallah Abbas ermutigend auf die Schulter, aber allen Beteiligten – auch und gerade auf muslimisch-arabischer Seite – war klar: Über das Ende des Kurzkrieges wird im Gazastreifen und in Mohammed Mursis Ägypten entschieden, nicht im fernen Westjordanland. Also machten Regierungschefs, Außenminister und Emire demonstrativ den Hamas-Herrschern ihre Aufwartung. Für Mahmud Abbas blieb kaum mehr als eine Statistenrolle. Autorität haben die anderen.

Doch vielleicht gelingt es Abbas, mit dem Vorstoß bei den Vereinten Nationen zumindest ein wenig Einfluss zurückzugewinnen. Der angestrebte Beobachter-Status ist zwar nur eine kleine Lösung – die USA hatten vergangenes Jahr eine Vollmitgliedschaft der Palästinenser mit ihrem Veto verhindert –, doch selbst aus dieser ließe sich völkerrechtlich einiges Kapital schlagen. Vor allem verspricht die Aufwertung mehr politisches Gewicht im Konflikt mit Israel. So hätte Abbas künftig die Möglichkeit, den Internationalen Strafgerichtshof anzurufen, um Kriegsverbrechen der Besatzungsmacht und die jüdische Siedlungspolitik anzuprangern. Das würde zwar ohne faktische Folgen bleiben. Doch ein Erfolg auf dem Propagandaschlachtfeld wiegt aus Sicht der Palästinenser eine ganze Menge, wenn es um die langersehnte Staatlichkeit und Souveränität geht. Und der Weg dahin soll auch mit dem jetzigen Vorstoß bei den UN geebnet werden.

Allerdings kann der Schritt durchaus unangenehme Folgen haben. Die USA sind verärgert und drohen der Autonomiebehörde mit dem Ende der finanziellen Unterstützung. Denn Washington ist wie Jerusalem der festen Überzeugung, dass eine Annäherung im Nahost-Konflikt nur in bilateralen Gesprächen zwischen Israelis und Palästinensern erreicht werden kann. Die Zwei-Staaten-Lösung über den Umweg der Vereinten Nationen einzufordern, stelle alle bisherigen Verhandlungsprinzipien grundsätzlich infrage.

Noch vor kurzem hatte Israel demonstrativ angekündigt, sich an Abmachungen wie die von Oslo womöglich nicht mehr gebunden zu fühlen. Dem Vernehmen nach hat Jerusalem inzwischen allerdings seinen Widerstand gegen den „vertragsbrechenden einseitigen Schritt“ aufgegeben. Wenn auch zähneknirschend. (mit dpa/Reuters)

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