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Politik: Unbeeindruckt von Unmut und Misere sitzt Jugoslawiens Präsident noch immer fest im Sattel

Je hoffnungsloser die Lage, desto schriller die Rhetorik. Zoran Djindjic nimmt kein Blatt mehr vor den Mund.

Je hoffnungsloser die Lage, desto schriller die Rhetorik. Zoran Djindjic nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. Es steht viel auf dem Spiel, und es gibt nicht mehr viel zu verlieren: "Serbien muss Milosevic aus den Händen genommen werden; er benimmt sich wie ein unvernünftiges Kind, das sein Spielzeug zerbricht und für Experimente nutzt", schimpft Serbiens prominentester Oppositionsführer und Demokratenchef. Und er erhöht den Einsatz zum Beginn der möglicherweise finalen Konfrontation. Die Serben wollen nicht mehr länger die Subjekte des ungeliebten Mannes sein, den immer weniger als ihren Präsidenten akzeptieren. Zwei Millionen Menschen wollen Zoran Djindjic und seine "Allianz für den Wechsel" in den nächsten Wochen auf die Straße bringen. Das wäre so etwas wie eine Volksabstimmung mit den Füßen und mit einer deutlichen Mehrheit von Serbiens müder Wahlbevölkerung.

Das Ziel ist hoch gesteckt und Djindjic macht auch schon klar, was die Konsequenzen sind, sollte das ehrgeizige Vorhaben zur Rettung Serbiens scheitern: "Wir sind von einem Virus angesteckt, wir haben keine Gegenmedizin und die Frage ist jetzt, ob der Virus Abwehrkräfte mobilisiert oder ob wir daran zu Grunde gehen werden."

Der Pathos in den Worten des Oppositionsführers ist nicht zu überhören. Doch diesmal scheint keine Übertreibung dem Ernst der Lage gerecht werden zu können. Man hat sich einiges ausgedacht, um die Massen zu mobilisieren und den Druck auf das Regime zu erhöhen. So will man mit einem Generalstreik das öffentliche Leben lahm legen. Doch in einem Land, in dem fast alle ohne Arbeit und Einkommen sind, klingt die Ankündigung eines Streiks wie ein schlechter Witz. Auf den Plätzen in den Städten Serbiens soll die Bevölkerung an inszenierten Schauprozessen Anklage gegen die Repräsentanten des Regimes erheben können. Milosevic und Konsorten werden sich selbstverständlich nicht zur Verfügung stellen. Die Opposition will deshalb möglichst naturgetreue Puppen auf die Anklagebank setzen. Doch der Bevölkerung ist schon lange nicht mehr zum Spaßen zu Mute. Verunsicherung und Angst sind angesagt.

Eine Mehrheit will den Regimewechsel. Eine Mehrheit will aber auch nicht zu den Kundgebungen gehen, weil sie sich vor einer Verhaftung fürchtet. Andere bangen ganz einfach um ihren Anspruch auf die tägliche warme Suppe in den öffentlichen Küchen oder um den freien Besuch im staatlichen Ambulatorium. Und die Hälfte ist laut einer Umfrage auch mit der chronisch zerstrittenen Opposition unzufrieden. Ein Volk will seinen Autokraten los werden und weiß nicht, wer den Job übernehmen könnte. Die Angst vor dem Bürgerkrieg wird vom Regime kräftig geschürt. Milosevic kann sich noch immer auf Fernsehen, Armee und Polizei stützen, um seine Macht zu verteidigen. In den staatlichen Medien werden die Oppositionsführer als "Verräter" und "fünfte Kolonne" im Dienste der Nato und des feindlichen Westens an den Pranger gestellt. Die loyalen Chefs der Armee und der gefürchteten Polizei haben klar gemacht, dass sie das Regime mit allen Mitteln gegen "den inneren Feind" verteidigen werden.

Im Milosevic-Fernsehen ist von der Misere draußen im Land noch immer nichts zu sehen. Dabei Kinder können nicht zur Schule gehen, weil die Eltern ihnen keine Schuhe kaufen können. Im Hospital können sich nur Begüterte Rettung erhoffen. Am ärmsten sind die serbischen Flüchtlinge aus dem Kosovo dran. Sie existieren offiziell gar nicht. Man hat sie nicht nur vom Bildschirm verbannt. Mit Barrikaden und Polizeisperren werden sie auch von der Hauptstadt Belgrad ferngehalten. Die Staatskassen sind leer, und die Notenbank druckt wieder neue Scheine. Wenn Journalisten darüber schreiben, können sie auch mal von der Polizei abgeholt werden. Den Boten der schlechten Nachricht trifft noch immer die Strafe. Die Rentner bekommen jetzt kein Bargeld mehr, sondern werden mit wertlosen Coupons abgespeist. Damit sollen die betagten Frauen und Männer die Elektrizitätsrechnungen bezahlen. Stromausfälle sind schon jetzt und noch vor Beginn der kalten Jahreszeit an der Tagesordnung.

Wie soll es denn erst werden, wenn der Winter richtig beginnt? Serbien würden 30 bis 50 Prozent der Kapazitäten fehlen, diagnostizierte ein UN-Vertreter in Belgrad vor ein paar Tagen nüchtern. Ganze Städte hängen oft an einem Fernheizkraftwerk, von der Nato zerbombt oder Opfer jahrelanger Misswirtschaft. Ein paar hundert Rentner sind kürzlich auf die Straße gegangen, doch die Mehrheit der einst treusten Milosevic-Anhänger fügt sich fatalistisch ins schwere Schicksal. Speiseöl oder Zucker gibt es seit zehn Tagen nur, wenn man sich zu früher Morgenstunde anstellt. In den langen Warteschlangen wird über die "neue Weltordnung", über die Amerikaner oder die Kosovo-Albaner geschimpft.

Treibstoff ist seit den Nato-Luftangriffen auf Raffinerien und Lager noch immer rationiert. Gegen Bargeld gibt es Gutscheine, die man dann an der Tankstelle einlösen kann. Doch Benzin und noch seltener Diesel gibt es nur auf dem Schwarzmarkt, und dort wird gerne mit Wasser oder anderen "Zutaten" gestreckt. Selbst die Landwirte in der ehemaligen Kornkammer Vojvodina üben ihren stillen Boykott. Serbien könne internationale Sanktionen "mindestens tausend Jahre" überleben, hatte Präsident Milosevic in einem seiner seltenen Interviews frohlockt. Jetzt werden im einst autarken Serbien selbst Lebensmittel knapp, weil die Bauern dem Staat ihre Ernten nicht länger zu Spottpreisen verkaufen wollen. Überfluss gibt es nur am Staats-TV, wo sich Erfolgsmeldungen vom Wiederaufbau nach dem Ende der Nato-Luftangriffe häufen. Wer sie in Frage stellt, wird als "Verräter" gebrandmarkt.

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