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Politik: Unbefriedete Bezirke

Bleibt das Brandenburger Tor von Nazi-Aufmärschen verschont? Die Regierung kann es nicht versprechen

Berlin - Otto Schily beeindruckt man mit solchen Fragen nicht. Warum erst jetzt, vor dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, an dem sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf Deutschland richten wird? „Sicher spielt der Jahrestag eine Rolle“, antwortet der Bundesinnenminister gelassen. Nicht nur der 8. Mai, sondern auch der kommende Sonntag in Dresden hat Schily und seine Kabinettskollegin, Justizministerin Brigitte Zypries, zur Eile getrieben. Vor dem rechten Aufmarsch in Dresden soll klar sein: Das neue Versammlungsrecht und die Verschärfung des Strafrechtsparagrafen gegen Volksverhetzung werden am 8. Mai in Kraft sein, um den NPD-Aufmarsch vor dem Brandenburger Tor an diesem Datum zu verhindern.

Die Regelungen sind der vorgezogene Teil einer länger geplanten „Generalrevision“ des Versammlungsrechts. Sie zielen auf Orte wie das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal in Berlin, die wegen ihrer Symbolkraft eine ideale Bühne für rechtextremistische Demonstrationen sind. Eine Versammlung soll künftig verboten werden, wenn sie „an einem Ort stattfindet, der in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert …“ Eine Liste solcher Orte soll in einer Rechtsverordnung festgelegt werden, das Berliner Holocaust-Mahnmal stünde an erster Stelle. Die zweite Änderung des Versammlungsrechts zielt in Verbindung mit einer strengeren Definition der Volksverhetzung im Strafgesetzbuch auf rechtsextremistische Aufmärsche, etwa vor dem Brandenburger Tor. Danach kann eine Versammlung verboten werden, wenn „die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft in einer Weise verherrlicht oder verharmlost wird, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“ Stoff für politische und rechtliche Konflikte liefert vor allem diese Regelung. Die Minister selbst räumten gestern ein, dass sie keine Sicherheit gegen das Bild der Springerstiefel unter dem Brandenburger Tor gibt: Denn der Nachweis der Störung des öffentlichen Friedens muss, wie bisher, konkret erbracht werden. Bei den Grünen, in der Union und ganz entschieden von der FDP wird zudem problematisiert, ob das Versammlungsrecht damit nicht in die Grauzone zum „Gesinnungsrecht“ gerät. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind aber Grundrechte, die das Verfassungsgericht streng bewacht.

Die FDP lehnt den Vorschlag deshalb ab. Die Grünen haben ihn begrüßt und wollen jetzt „unverzüglich in die Beratungen eintreten, um die Vorschläge zu prüfen.“ Denn Schily und Zypries haben mit der Veröffentlichung ihrer Initiative einer koalitionsinternen Einigung vorgegriffen: Die rot-grünen Beratungen sind erst für die nächste Woche angesetzt: am Montag ein Innenexpertentreffen, am Dienstag eine Koalitionsrunde.

Die Union schlägt einen anderen Weg vor. Sie will eine weiträumige Bannmeile oder einen „befriedeten Bezirk“ um Reichstag, Brandenburger Tor und Holocaust-Mahnmal. Dann dürfte dort niemand demonstrieren. Diese Entscheidung wäre eine Sache des Parlaments – und damit eine, die die beiden Bundesminister demonstrativ dem Bundestag überlassen. Sie sei ja nicht einmal Mitglied des Bundestags, sagt Zypries. „Das ist Parlamentsangelegenheit“, sagt auch Schily. Und zeigt deutlich Sympathien. Die Vorschläge der Opposition seien „durchaus diskussionswürdig“. Das werde aber in der Koalition anders gesehen.

Ein Verbot der NPD ist unterdessen wieder in weitere Ferne gerückt: Die Innenminister der Länder sprachen sich am Freitag dagegen aus.

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