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Politik: Und das Parlament sagt Ja, Herr Thierse?

Stunden der Not sind Stunden der Exekutive. Fühlen Sie sich wohl dabei?

Stunden der Not sind Stunden der Exekutive. Fühlen Sie sich wohl dabei?

Wieso soll ich mich in Stunden der Not wohl fühlen? Dass dies die Stunden der Exekutive sind - das war noch nie anders. Das ist kein Anlass für Kritik. Da habe ich mich nicht zu beklagen. Ich hoffe sehr, dass wir eine handlungsfähige Regierung behalten.

Und das Parlament, so wirkt es, hat nur noch zu exekutieren.

Das stimmt ja nicht. Die Bundesregierung hat sich bezüglich des Parlaments angemessen und klug verhalten, sie hat regelmäßig die Fraktionsvorsitzenden und die Parteivorsitzenden informiert, sie ist mit Regierungserklärungen vor den Bundestag gegangen, es hat drei Bundestagsdebatten gegeben, intensive, sehr ernsthafte, dem Thema angemessene Debatten. Das heißt also, die Ängste und Hoffnungen, die Grundentscheidungen der gegenwärtigen Politik sind im Parlament behandelt worden.

Aber nicht abgestimmt worden.

Abgestimmt werden können Gesetzesvorlagen, es können wirkliche Entscheidungen abgestimmt werden. So weit ist es nicht. Aber es sind Entschließungsanträge mit ganz großer Mehrheit nach intensiver Debatte abgestimmt worden, Entschließungsanträge, die den Standpunkt, die Position der Bundesregierung unterstützen.

Ist das Parlament also ausreichend eingebunden in die Entscheidungsprozesse?

Ja. Dass ein Parlament nirgendwo in der Welt in der Lage ist, detaillierte Entscheidungen über militärische Operationen und Taktik über mögliche Einsätze vorher ausführlich in Ausschüssen und öffentlich zu debattieren - das ist doch nun auch das Selbstverständlichste der Welt.

Aber das Parlament will bei aller Souveränität die Regierung erkennbar nicht in Bedrängnis bringen.

Es ist so. Aber das habe ich als Parlamentspräsident nicht zu kritisieren. Fraktionen sind autonom. Wenn es ihrer politischen Überzeugung entspricht, die Regierung zu unterstützen, dann ist das kein Einwand gegen das Parlament. Es spricht eher dafür. Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, dass in Grundfragen, zumal in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, offensichtlich ein großer Konsens zwischen den wichtigsten deutschen Parteien herrscht.

Wie passt dazu, dass ein Mitglied des Bundestags anderen Abgeordneten sagt: Und seid ihr nicht auf unserer Linie, dann werden wir euch zeigen, was die Linie ist? Das entspricht ja nicht unbedingt dem Selbstverständnis frei gewählter Abgeordneter.

Ich bin an dieser Stelle sehr gelassen. Das Parlament wie die einzelnen Abgeordneten und ausdrücklich auch die SPD-Fraktion sind selbstbewusst genug, mündliche Einschränkungen der Freiheit des Abgeordneten abzuwehren. Genau das ist passiert. Es ist nicht meines Amtes, von außen öffentlich in Willensbildungen einer Fraktion einzugreifen. Das habe ich als stellvertretender Parteivorsitzender in den entsprechenden internen Beratungen getan. Aber öffentliche Zensuren über Äußerungen außerhalb des Parlaments erteile ich nicht. Ich sage nur: Die Freiheit des Abgeordneten ist ein hohes, sogar in der Verfassung verankertes Gut, das darf nicht angetastet werden.

Und wird es doch.

Nach dem deutschen Parlamentsverständnis haben wir nicht das Gegeneinander von Regierung auf der einen Seite und Parlament auf der anderen Seite. Das ist etwa in den USA der Fall. In Deutschland wird die Regierung aus dem Parlament heraus gewählt und ist angewiesen auf die Unterstützung der Parlamentsmehrheit, so dass das Gegeneinander, das Gegenspiel der Kräfte eben eines ist zwischen Regierungsmehrheit und Opposition. Das heißt: Abgeordnete der Regierungsmehrheit werden unter anderem deshalb gewählt, damit sie eine Regierung unterstützen. Daran zu erinnern, sich immer wieder zusammenzuraufen im Streite und dafür auch zu sorgen, dass es die Mehrheit gibt - das ist, glaube ich, keine Schädigung der parlamentarischen Demokratie.

Aber können wir mit dem Abgeordneten Thierse darüber reden, wie man sich gegen unbotmäßige Einflussnahme wehrt?

Ach, entschuldigen Sie, dass man als Politiker nicht allzu zart besaitet sein sollte, das ist doch bekannt. Ich finde, es ist was Selbstverständliches, dass man für seine Meinung auch und gerade dann steht, wenn sie unbequem ist. Wenn ich Bequemlichkeit haben will, darf ich nicht ins Parlament gehen.

Abgeordnete sind ihrem Gewissen verpflichtet und ihrer Fraktion. Was hat Vorrang?

Das ist ja jetzt ein bisschen Beckmesserei! Also natürlich, in Gewissensfragen, von denen es in der Politik gar nicht so furchtbar viele gibt.

Krieg und Frieden?

Moment mal. Ich meine grundsätzlich, dass man nicht jede politische Frage zu einer Gewissensfrage umstilisieren soll. Es gibt auch einen liederlichen Umgang mit dem Gewissen, wenn man etwa behauptet, etwas sei eine Gewissensentscheidung, um sich der Argumentation und der Diskussion zu entziehen. Dass eine Fraktion unter anderem die Aufgabe hat, sich um gemeinsame Standpunkte zu bemühen, damit sie die mit ihrem ganzen Gewicht innerhalb des Parlaments und der Öffentlichkeit vertreten kann, ist vernünftig. Wenn ein Abgeordneter davon abweicht, hat er gegenüber seiner Fraktion die Pflicht zu argumentieren, sich zu erklären und dafür einzustehen. Nicht mehr und nicht weniger ist verlangt.

Kommen Abgeordnete noch ausreichend vor bei der Bestimmung der Ziele bundesrepublikanischer Politik?

Sowohl beim Thema Mazedonien wie auch beim Anti-Terror-Kampf gibt es ausführlichste Information, intensivste Diskussion, so dass sich kein Abgeordneter beklagen kann, er würde unfair behandelt, ihm würden Informationen entzogen, er habe keine Chance, sich seine Meinung zu bilden. Wenn er denn bereit ist, sich darauf einzulassen und nicht sagt, es interessiert mich alles nicht, ich habe meine Emotion, die reicht mir. Das wäre für einen Politiker zu wenig.

Die Aktion Essential Harvest ist ja nun ein Beispiel dafür gewesen, dass der Bundestag erst zugestimmt hat und dann erst die Bundeswehr marschieren kann. Muss das beim Anti-Terror-Kampf auch so sein?

Das hat mit dem Gang der Ereignisse zu tun. Wie soll das Parlament schneller sein als bestimmte Ereignisse, die wir ja nicht vorhersehen können? Daraus kann man nicht wirklich einen Vorwurf gegen das Parlament konstruieren. Ich will außerdem daran erinnern, dass der berühmte Parlamentsvorbehalt, den das Verfassungsgericht bestätigt hat, ja mit einer klaren Einschränkung versehen ist: Bei Gefahr im Verzuge, wenn eben die Ereignisse so schnell sind, dass eine ausführliche Beratung in Ausschüssen und im Plenum nicht möglich ist, kann eine Regierung nicht sagen, wir entscheiden nichts, weil das Parlament gerade nicht bei Fuße ist.

Einen Vorratsbeschluss kann man sich nicht vorstellen?

Ein Vorratsbeschluss hätte wieder den Nachteil, dass er aussieht wie eine Selbstentmachtung des Parlaments. Wir wissen nicht genau, worüber wir zu entscheiden hätten, aber wir entscheiden vorsorglich - das fände ich als Abgeordneter nicht gut. Ich finde es auch falsch, den Eindruck zu erwecken, als würden Deutschland und der Bundestag förmlich darauf drängen, uns militärisch zu beteiligen, als seien wir besorgt, dass wir nicht mit von der Partie seien.

Gibt es in diesem Zusammenhang, bei diesem Thema, noch so etwas wie linke und rechte Standpunkte?

Die gemeinsame Weltzivilisation, ich sage ausdrücklich nicht bloß die westliche, ist herausgefordert durch einen massenmörderischen Anschlag. Wir erleben das als eine gemeinsame Gefährdung, ich glaube, das ist auch die Stimmungslage in der Mehrheit der Bevölkerung. Sowohl die Politik als auch die Parlamentarier haben verantwortbare Antworten darauf zu geben, wie man dieser Gefährdung begegnen kann. Und an dieser Sache werden natürlich auch Grundüberzeugungen zu prüfen sein. Die eigentliche Herausforderung ist auch eine intellektuelle.

Zu begreifen, was sich verändert hat?

Ich habe Schwierigkeiten, das, was da passiert, mit dem Begriff Krieg zu versehen, denn es handelt sich nicht um einen Krieg in dem uns vertrauten, entsetzlichen Sinne des Wortes. Hier handelt es sich um etwas anderes. Ich nehme ein Wort auf, das von Erhard Eppler überzeugend in die Debatte eingebracht wurde: Hier handelt es sich um privatisierte Gewalt, um Formen marodierender Gewalt, wie wir sie in Afrika schon erlebt haben, wo die staatlichen Autoritäten zerfallen und nur die Gewalt bleibt. Entstaatlichte Gewalt, die nicht kalkulierbar ist. Sie wird gespeist aus der Erfahrung von Ungerechtigkeit und zieht ihre Motivation aus religiösem Fanatismus. Wie kann man dieser Herausforderung begegnen? Wahrscheinlich erleben wir die brutale und erschreckende Seite dessen, was vor vielen Jahren einmal emphatisch als Weltinnenpolitik formuliert worden ist.

Das bedeutet?

Wir sehen plötzlich, dass die Rückseite der Globalisierung, der Entgrenzung der Welt, eben sozusagen auch die grenzenlose privatisierte, marodierende Gewalt ist. Wie kann man sich gegen sie wehren? Offensichtlich reicht es nicht, nett zu sein, den Dialog zu fordern, Gebete zu formulieren. Offensichtlich reicht es auch nicht anzukündigen, dass wir uns jetzt über die Ursachen verständigen müssen.

Sondern?

Wenn ein Verbrechen geschehen ist, dann reagiert der Staat pflichtgemäß mit Gewalt darauf, indem er versucht, die Täter zu fassen. Nicht so sehr aus Gründen der Rache oder Vergeltung, sondern vor allem, um die Wiederholung zu verhindern. Wenn ich organisierte Gewalt vor mir habe, die Mafia zum Beispiel, die Menschenhandel, Rauschgifthandel betreibt, muss ich die Organisatoren, die Hintermänner fassen. Wenn ich das übertrage auf diese Form internationaler marodierender und privatisierter Gewalt, dann steht die Staatengemeinschaft, an ihrer Spitze die unmittelbar herausgeforderten USA, vor derselben Frage: Gewalt einzusetzen, sie aber so zu dosieren, dass sie begrenzt, dass sie zielgerichtet ist und dass das Ende absehbar ist - das ist es, was uns alle sorgenvoll beschäftigt.

Was verändert sich denn für die deutsche Außenpolitik nach dem 11. September?

Wir haben nach und nach, gelegentlich unter Schmerzen, begriffen, dass das vereinigte Deutschland nunmehr ein souveränes und nicht mehr besetztes Land ist, gleichberechtigt mit den anderen europäischen Staaten, aber auch gleich verpflichtet. Unsere Nachbarn erlauben uns nicht mehr, mit dem Hinweis auf die deutsche Geschichte und die Spaltung, Sonderrechte für uns in Anspruch zu nehmen und uns bestimmten Verpflichtungen zu entziehen. Das war ein sehr mühseliger Prozess, bis hin zu den Entscheidungen über Mazedonien. Im Grunde kann man etwas ironisch und bitter sagen, dass uns alle Sonderwege ausgetrieben worden sind.

Erleben wir das Ende des Pazifismus?

Ich antworte mit Eppler, der ja nun wirklich eine der führenden Persönlichkeiten in der westdeutschen Friedensbewegung war. Er sagt, irgendwie passt der Pazifismus nicht mehr für diese Herausforderung durch eine andere Art von Gewalt. Er gehört in eine andere Zeit. Wer auf keinen Fall Gewalt anwenden will im Kampf gegen die Terroristen, der muss sagen, wie er verhindern kann, dass der Triumph, den die haben, nicht zur Fortsetzung des Terrorismus führt. Aber es ist trotzdem gut, dass wir Deutsche in der Frage der militärischen Antwort so skeptisch sind. Und wir sollten uns weiter des Militarismus enthalten.

Haben wir aus der Geschichte gelernt?

Doch, ja, wir haben die geschichtliche Lektion gelernt. Aber die geschichtliche Lektion heißt nicht, wegzuschauen, sondern hinschauen, sich bemühen, Probleme aufgreifen, heißt Teilhabe.

Wie zum Beispiel?

Die Europäer sollten aus ihren eigenen Erfolgsgeschichten etwas lernen. Und zu den größten Erfolgsgeschichten der europäischen Nachkriegspolitik gehört die KSZE, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dazu gehört die OSZE-Geschichte. Ich wünsche mir sehr, dass Europa es fertig bringt, dieses Modell auf die arabisch-islamische Welt zu übertragen.

Können Sie sich vorstellen, dass Deutschland im Nahen Osten, bei dem Vertrauen, das es auf beiden Seiten hat, eine führende Rolle spielen kann? Dass es eine Art KSZE-Prozess für diese Region einleiten kann?

Ich kann es mir vorstellen, und ich wünsche es mir auch. Meine Erfahrung dort ist, dass die arabischen, islamischen Länder wirklich Erwartungen an Deutschland haben. Wir werden fast schon überschätzt. Aber wir sind da in der Pflicht.

St, en der Not sind St, en der Exekutive. F&uuml

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