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"Und erlöse uns von allen Üblen" #10: Unerwartete Begegnung in der Tiefgarage

Der Mörder von Joachim Freypen flüchtet vom Tatort. Verleger Schwarzkoff bringt seine Starreporterin heim. Der Attentäter muss eine Entscheidung treffen. Ein Fortsetzungsroman, Teil 10.

Was bisher geschah: Der Mörder hat zugeschlagen - der Parteichef der Nationalen Alternative, Joachim Freypen, hat eine Kugel im Kopf. Der Attentäter glaubt, die Flucht gut vorbereitet zu haben.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 10 vom 25. Juni.

Karl Mulder war früher bei der Mordkommission in Dresden und einer der Gallionsfiguren, die in Elbflorenz Montag für Montag bei Pegida-Aufmärschen auftraten, bis ihm der Politiker das doppelte Gehalt bot und zu seinem persönlichen Sicherheitschef machte. Er hätte sich seitdem für Freypen vierteilen lassen und deshalb schnell gehandelt, als er vor ein paar Monaten das Protokoll vom Verhör jenes französischen Kriminellen in die Hand bekam, das ihm sein Chef zugeschoben hatte mit dem Befehl, sich darum zu kümmern.

Vorsichtig den Glassplittern auf dem Teppich ausweichend geht der vierschrötige schwere Mann, den sie hinter seinem Rücken Quasimodo nennen, zum Schreibtisch, betrachtet eine Weile den Toten, stößt mit einem tiefen Seufzer den angehaltenen Atem aus und und wendet sich zum zerbrochenen Fenster. Er schaut hinüber zu den Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, dann tritt er hastig einen Schritt zurück.

"Geht aus der Schussbahn, wer weiß, ob das Schwein nicht auch noch uns abknallen will ." Dann schluchzt er plötzlich auf und das klingt fast pervers aus diesem massigen Körper. Sofort gewinnt er wieder seine Fassung: "Einer muss nach unten und die Polizei reinlassen, und jetzt raus hier. " Mulder drängt die Männer mit einer Handbewegung zurück ins Vorzimmer und winkt auch dem herrisch zu, der immer noch von draußen wie gelähmt auf den Ermordeten starrt. Als er allein im Raum ist, durchsucht er blitzschnell die Taschen des Toten, öffnet Schubladen auf dem Schreibtisch, geht die auf dem Boden verstreut liegenden durch. Dann schließt er hinter sich die Tür zu Freypens Zimmer, stellt sich davor, als ob er jetzt den Toten schützen muss. Ich krieg dich, denkt er, ich krieg dich, und wenn ich den Rest meines Lebens damit verbringe, dich zu jagen. Ich bring dich um.

Als der Mann, dem Mulders Racheschwur gilt, in der Tiefgarage aus dem Fahrstuhl tritt, hört er ein Auto, das gerade die Rampe herunterfährt und dann irgendwo bremst, bevor das Summen des Motors erstirbt. Er drückt sich in den Schatten zwischen zwei Betonpfeiler und macht sich ganz schmal, atmet flach ohne ein Anzeichen von Panik. In der plötzlichen Stille kann er Stimmen einer Frau und eines Mannes unterscheiden, dann ein unterdrücktes Stöhnen, das Knistern von Stoff, so etwas wie ein Handgemenge.

Vorsichtig schaut er um die Ecke. Die Frau auf der Motorhaube erkennt er sofort an ihren roten Haaren, zu oft hat er das Foto von Andrea Hofwieser gesehen, deren Wohnung er gerade verlassen hat. Sie liegt da wie eine Kühlerfigur und strampelt mit den Beinen. Der riesige Mann im blauen Blazer, der sich auf sie geworfen hat , ist nur von hinten zu sehen. Mit einer Hand hält er ihr den Mund zu, die andere bewegt sich unter ihrem Rock. Sein Gewicht drückt sie fest nach unten. "Von wegen, keine Zeit und gute Nacht, mit mir doch nicht, mit mir doch nicht," stößt er hervor und bewegt seinen Körper auf ihr. Als sich die automatische Garagentür knarrend schließt, hebt er überrascht seinen Kopf, dann grunzt er wieder und drückt sich erneut gegen die Frau auf die Motorhaube.

Der Mann im Schatten, der das alles sieht, hat mit seinem französischen Freund während der Planung des Attentats alle Risiken besprochen, und dabei auch die Möglichkeit, im letzten Moment gestört zu werden. Die Zustimmung der Viererrunde für ein Todesurteil galt nur der Person des rechtsradikalen Politikers. Unschuldige durften nie durch ihre Beschlüsse gefährdet werden, das war so etwas wie ihre Geschäftsgrundlage. Schon bei ihrem allerersten Mordplan vor fast acht Jahren waren sie sich darüber einig gewesen, denn die moralische Begründung für ihre Unternehmungen, egal wo auf der Welt, basierten auf eben diesem Prinzip. Wir sind wie Scarabäus-Käfer, hatte einer von ihnen erklärt, die räumen auch den Mist weg, damit der Boden wieder atmen kann. Und wir räumen menschlichen Mist weg. Wo ist der Unterschied?

Wäre Freypen zum Beispiel nur für den Preis eines ebenfalls zu tötenden Leibwächters auszuschalten gewesen, weil es anders einfach nicht zu erledigen war, hätte er sofort die Aktion abbrechen müssen. Seine Flucht war ebenso genau ausgeklügelt worden, auch die Einzelheiten, wie er das Gewehr verschwinden lässt und wo ihn der Franzose abholen sollte und wie sie sich der Ringfahndung entziehen konnten, die sie selbstverständlich erwarteten.

Auf eine solche Situation wie die jetzt in der Tiefgarage ist er nicht vorbereitet, aber in seinem Job wird Improvisation in brenzligen Lagen laufend geübt. Es dürfte zur Rettung Andrea Hofwiesers vor dieser offensichtlich gerade stattfindenden Vergewaltigung reichen, laut zu husten und so zu tun, als sei er einer der Hausbewohner auf dem Weg zu seinem Auto. Dann hätte sie genügend Zeit, in den Fahrstuhl zu rennen und dessen Tür zu schließen. Beide würden ihn dabei aber zwangsläufig von vorne sehen und in ein paar Stunden wahrscheinlich ahnen, wer ihnen da in der Tiefgarage begegnet ist - spätestens dann, wenn die Meldungen vom Attentat im Netz Schlagzeilen gemacht haben.

Er muss also weg, und zwar schnell, bevor die Polizei die Gegend absperren lässt, und vor allem muss er unbemerkt abhauen. Sich zurückziehen in den Fahrstuhl und das Haus durch den Eingang verlassen, dann verschwinden. Geht ihn nichts an, was hier unten passiert. Hat mit Freypen nichts zu tun. Wichtiger ist seine Flucht. Er nimmt seine grüne Tasche und für einen Moment muss er ins Licht treten, weil der Lift ein paar Meter von seinem Versteck entfernt ist.

Und morgen lesen Sie: Joachim Freypens Mörder kümmert sich um Verleger Schwarzkoff. Seinen Fluchtplan muss der Attentäter ändern.

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