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"Und erlöse uns von allen Üblen" #11: Ein Mörder wird zum Retter

Der Rechtsnationale Joachim Freypen ist tot. Sein Mörder muss improvisieren und erteilt dem Zeitungsverleger Schwarzkoff eine Lektion. Ein Fortsetzungsroman, Teil 11.

Was bisher geschah: Der Parteichef der Nationalen Alternative ist tot, erschossen an seinem Schreibtisch. Sein Mörder hat auf der Flucht in der Tiefgarage eine unerwartete Begegnung.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 11 vom 26. Juni.

Die Frau hat ihren Kopf zur Seite gedreht, um dem Druck zu entkommen und dabei blickt sie ihm direkt in die Augen. Hilf mir, scheint sie zu bitten, aber natürlich kann sie nichts sagen, weil die Hand des Mannes, der über ihr liegt, ihren Mund verschließt. Ihre Augen halten den Mörder fest, und entkommen kann er denen nicht so einfach wie irgendeiner Polizeikontrolle.

Er zögert den Bruchteil einer Sekunde, lässt dann die Tasche fallen und steht nach einem kurzen Spurt direkt hinter ihrem Angreifer. Er braucht keine Waffe, denn für jede Art von Nahkampf, unter ganz anderen Vorzeichen, ist er ausgebildet, das hat er tausendmal trainiert. Ein einziger Schlag in den feisten Nacken vor sich, hinter das rechte Ohr, dann rutscht der Mann mit einem leisen Stöhnen von der Frau herunter bewusstlos auf den Boden.

Langsam und wie in Trance und als könne sie es noch gar nicht glauben, richtet sich Andrea Hofwieser auf und umklammert dabei ihren Retter. Dann fängt sie an zu schluchzen, weint aber nicht . Hilflos tätschelt er ihren Rücken, schon gut, ist alles vorbei, ist alles gut. Löst sich vorsichtig von ihr. Noch immer zeigt er keinerlei Anzeichen von Nervosität , obwohl er weiß, dass es nun wirklich Zeit wird für ihn.

"Wohnen Sie hier?"

Sie nickt, schaut ihn dabei nicht an und richtet ihr Kleid.

"Und der da?"

Sie schüttelt, wiederum schweigend, den Kopf.

"Dann gehen Sie in Ihre Wohnung, es ist doch nichts weiter passiert, ich bin ja rechtzeitig gekommen. Ich kümmere mich um das hier. "Er stößt mit dem Fuß den Bewusstlosen auf dem Boden an.

Wieder nickt sie. Dann öffnet sie den Mund, um zu sprechen, aber es kommt nur ein Krächzen. Sie räuspert sich und reibt sich mit der Hand über die Kehle. "Danke", sagt sie dann kaum hörbar, "danke."

"Ist das Ihr Auto?", fragt er und zeigt auf den grünen Jaguar, dessen Fahrertür offen steht, obwohl er ja weiß, dass sie einen Golf fährt, denn auch das hatte PIOS über sie gespeichert.

"Nein, der gehört dem da," aber sie schaut nicht auf den Körper, der neben dem Kofferraum liegt.

"Wer ist das?"

"Jens-Peter Schwarzkoff. Mein ... mein Chef. Dieses Schwein." Sie schluckt ein paarmal und wischt sich dann die Wangen trocken, auf denen noch der Speichel ihres Angreifers klebt.

"Beeilen Sie sich, bevor der wieder aufwacht. Fahren Sie einfach rauf in Ihre Wohnung. Ich erledige das schon. "

Sofort bemerkt er seinen Fehler. Woher soll er, der Fremde in der Garage, denn wissen, dass ihre Wohnung oben im Haus liegt und nicht zum Beispiel im Erdgeschoß? Andererseits: Von der Tiefgarage aus gesehen ist alles oben, beruhigt er sich.

"Was machen Sie?"

Doch er hört ihr nicht mehr zu und beginnt schon damit, den Bewusstlosen zur rechten Tür des Autos zu schleifen, die er öffnet, um ihn auf dem Vordersitz zu verladen. Noch einmal dreht er sich zu der Frau im schwarzen Kleid um, dabei rutscht ihm die Brille auf die Nase, achtlos schiebt er sie zurück, aber sie hat seine grünen Augen gesehen.

"Machen Sie sich um mich keine Gedanken. Und ..."

Sie unterbricht: "Soll ich nicht die Polizei...?" Lässt den Satz aber abgebrochen in der Luft stehen , weil selbst sie daran zweifelt, ob sie die rufen soll. Sie hat ihre Fassung schnell wieder gewonnen, das macht die Erfahrung als Polizeireporterin, da hat sie schon viel Schlimmeres erlebt. Wenn auch bisher nicht am eigenen Leib. Der Schock würde sie erst später überfallen.

"Keine Polizei," antwortet er und diesmal blickt er ihr direkt ins Gesicht, "eigentlich ist ja nichts passiert. Wollen Sie etwa Ihren Chef anzeigen? Dem wird nichts geschehen, er hat sie ja nicht vergewaltigt, nur einen Versuch gestartet. Kann sich immer rausreden, dass er einen Blackout hatte, dass er betrunken war. War er denn betrunken?"

Sie nickt.

Er will automatisch fragen: "Und Sie?" - aber das geht ihn nichts an und außerdem muss er schnellstens weg.

"Ich werde ihm auch ohne Polizei eine Lektion erteilen, die er nicht vergisst. Aber jetzt gehen Sie endlich," und drängt sie fast mit Gewalt Richtung Fahrstuhl.

Und als sie noch immer zögert: "Sagen Sie mir , wie Sie heißen, und ich rufe Sie später an, wenn alles vorbei ist. " Als ob er ihren Namen nicht wüsste. "Andrea Hofwieser, ich stehe im Telefonbuch. Und Sie?"

Aber bevor er antworten kann, was er selbstverständlich nicht vorhat, schließt sich die Fahrstuhltür hinter ihr. Er rennt zurück zum Jaguar, nimmt unterwegs seine Tasche, wirft sie auf den Rücksitz und steigt ein. Der Schlüssel steckt noch. Da der Bewusstlose neben ihm ein wenig stöhnt, schlägt er ihm zur Sicherheit mit der Handkante noch einmal hinters Ohr. Stille. Dann richtet er Schwarzkoff auf und schnallt ihn fest. Dessen Kopf rutscht zur Seite. Sieht jetzt aus wie ein Schlafender oder ein betrunkener Beifahrer. Er startet die Limousine, lässt die Fensterscheibe herunter und fährt dicht an den dicken schwarzen Schalter heran, auf dem "GARAGENTOR" steht. Bei laufendem Motor drückt er drauf und rumpelnd geht das Tor vor ihm auf. Dann gibt er vorsichtig Gas.

Auf der Straße hält er kurz und fährt dann immer an der Elbe entlang bis zu den Landungsbrücken. Dort muss er warten, weil mit Blaulicht und rasendem Tempo mehrere Polizeiwagen über die Kreuzung rasen. Er sieht ihnen im Rückspiegel nach und als sie verschwunden sind, beschleunigt er den Jaguar und fährt geradeaus weiter. Ein Licht auf seinem Handy leuchtet. Er greift danach, ohne die Straße aus den Augen zu verlieren, und hält sich strikt an die vorgeschriebene Geschwindigkeit.

"Doch ein Problem. Fahr mal Richtung Stadtpark und such Dir da einen Parkplatz. Ich melde mich."

Ohne eine Antwort abzuwarten, drückt er auf den Aus-Knopf und macht das Radio an. Musik, noch keine Eilmeldung vom Attentat auf Freypen. Er prüft im Rückspiegel, ob einer hinter ihm fährt. Nichts. Betätigt den elektrischen Hebel für das linke Seitenfenster und atmet die frische Luft ein. Der Kerl neben ihm stinkt nach Alkohol. Dann nimmt er die zerknüllten blauen Plastikhüllen aus der Tasche und wirft sie während der Fahrt raus, anschließend seine Brille. Den Schlüssel zu Andrea Hofwiesers Wohnung gleich hinterher. Am Schluss reißt er sich den grauen Schnurrbart ab, den er erst vor ein paar Stunden in der Toilette eines Restaurants angeklebt hat , und auch der verschwindet in der Nacht irgendwo auf der Straße. Morgen würde das den Straßenkehrern unter all dem anderen Dreck nicht weiter auffallen. Er schließt das Fenster.

Bleibt nur noch das Gewehr in der Tasche auf dem Rücksitz. Aber er will jetzt nicht anhalten, lieber das Risiko eingehen, mit dem Ding im Auto weiterzufahren, bis er sich davon befreien kann. Jede Waffe setzen sie nur einmal ein, und versenken oder vergraben die bei Gelegenheit an möglichst passender Stelle. Selbst wenn mal wirklich eine gefunden würde, keine Spur führt zu ihnen. Alle Waffen, die er und seine drei Freunde benutzen, stammen entweder aus den Beständen osteuropäischer Armeen, sind bar bezahlt worden und nirgends registriert. Oder aus Einbrüchen gewisser Spezialisten im Westen, die sich aus den Depots bei den neuesten Errungenschaften der NATO bedienen und damit ihr Geld verdienen. Außerdem ist ihm schon heute morgen eine Idee gekommen, wo und vor allem wie man diesmal die Waffe loswerden kann.

Und morgen lesen Sie: Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf. Freypens Leibwächter macht sich Gedanken.

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