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"Und erlöse uns von allen Üblen" #13: Der Mörder entspannt sich bei Wein und Mozart

Die Polizei hat keine heiße Spur zum Mörder des rechtsnationalen Parteichefs Freypen. Ein Fortsetzungsroman, Teil 13.

Was bisher geschah: Der Rechtsnationale Joachim Freypen ist in der Hamburger Parteizentrale erschossen worden. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 13 vom 28. Juni.

Der schmale Balkon um die Parteizentrale ist auf der Seite von Freypens Raum von Lampen erleuchtet worden, die sich die Beamten aus den anderen Büros besorgt haben. Auch hier draußen finden sie nur ein paar Glassplitter. Über dem Parkdeck taucht knatternd ein Polizeihubschrauber auf, entfernt sich dann und sucht mit einem großen Scheinwerfer die Dächer der umliegenden Häuser ab. Könnte sein, dass der Attentäter seine Waffe einfach weggeworfen hat, bevor er geflüchtet ist. Fehlanzeige, meldet der Pilot per Funk, aber das überrascht Krucht nicht. Der Kriminalrat, ein introvertierter Mann, der in seiner Freizeit am liebsten auf ländlichen Äckern nach Scherben vergangener Zeiten sucht, also ein höchst merkwürdiges Hobby pflegt, hat nie damit gerechnet, dort oben irgend etwas zu finden außer ein paar toten Tauben. Aber es gehört nun mal zum Routineprogramm in solchen Fällen.

An der Garageneinfahrt unten stehen Kameraleute und ein paar aufgeregte Reporter sprechen in ihre Mikrophone. Keiner fragt sich, warum die so schnell nach dem Notruf aus der Parteizentrale hier eingetroffen sind. Dass der Polizeifunk in verschiedenen Redaktionen der Stadt abgehört wird, ist ein offenes Geheimnis. Üblicherweise treffen Journalisten und Kripo gleichzeitig an einem Tatort ein. So auch hier.

Uniformierte Polizisten haben sich hinter das wieder heruntergelassene Eisengitter gestellt, aufgeregtes Quaken aus ihren Walkie-Talkies mischt sich mit den Stimmen der Berichterstatter. Vorbeikommende Autofahrer, aber das sind heute am Einheitstag eher Touristen aus den neuen Bundesländern, verringern ihr Tempo und starren neugierig auf die taghell ausgeleuchtete Szene. "Was wird denn hier gedreht?", brüllt einer aus dem heruntergedrehten Fenster. "Großstadtrevier", schreit einer der Journalisten zurück und lacht meckernd.

Die Ringfahndung war unmittelbar nach der Meldung von der Ermordung Freypens ausgelöst worden - in drei Varianten, wie es in den Bestimmungen seit den damaligen Attentaten der RAF vorgeschrieben war. Einmal im Umkreis von fünf, einmal von zehn, einmal von zwanzig Kilometern. Das hatte zwar in der Vergangenheit noch nie etwas gebracht, weder beim Rohwedder-Mord noch beim Bombenanschlag auf Herrhausen, gehörte aber zur selbstverständlichen polizeilichen Routine. Weil durch entsprechende Veröffentlichungen mögliche Täter ebenfalls genau nachlesen konnten, wie eine Ringfahndung funktioniert, funktionierte sie nicht.

Die Absperrungen in diesem Fall sind konzentriert auf Brücken, Unterführungen und Zufahrten für die naheliegenden Autobahnen Richtung Bremen, Hannover, Lübeck und Berlin, aber auch die Elbchaussee und das Freihafengelände wurden abgeriegelt. Für den Flughafen und die drei großen Hamburger Bahnhöfe wurde parallel dazu Alarmstufe Eins ausgelöst. Klang zwar professionell, aber da keiner wusste, wonach man suchen musste , blieb auch das eher Aktionismus. Es gab keine Personenbeschreibung, keinen Hinweis auf die Waffe, auf ein mögliches Fluchtfahrzeug, es gab einfach nichts. Der Helikopter sollte sich bereithalten, falls unten auf einer der überwachten Kreuzungen etwas passierte.

Alle Maßnahmen bedeuteten nichts weiter als die gewohnte Praxis bei Großfahndungen, eine Art von Demonstration für die Öffentlichkeit, denn so recht glaubte in der Einsatzzentrale keiner an einen Erfolg. Der Mörder hatte nicht nur theoretisch genügend Zeit, zu Fuß zu entkommen, seine Waffe in irgendeines der umliegenden Fleete zu werfen, in eine U-Bahn einzusteigen und sich anschließend in einem stillen Vorort auf den Nachhauseweg zu machen. Er konnte sogar einer der Schaulustigen sein, die sich angelockt von den Fernsehscheinwerfern und den Polizeisirenen inzwischen unten eingefunden hatten und beim Abtransport der Leiche live dabei sein wollten. Niemand wusste außerdem, ob man einen jungen Mörder suchte oder einen alten, eine Mörderin oder vielleicht sogar ein mordendes Paar.

Die Straßen, die links und rechts um die Alster füh­ren, werden gerade mit grün­weißen VW-Bussen der Schutzpolizei dichtgemacht, als ein paar hundert Meter entfernt von den Absperrungen die beiden Männer im Mercedes am Hotel Smolka vorfahren und ihre Golftaschen ausladen. Es ist fast eine dreiviertel Stunde seit dem Mord vergangen, aber das kann nur einer so genau abschätzen, der Mörder.

"Vergiss nicht, die Alarmanlage anzumachen," sagt der Fahrer zu ihm beim Aussteigen, "man weiß heutzutage nie, wer sich nachts so herumtreibt."

Der andere, in Jeans und mit weißem T-Shirt unter dem eleganten Jackett, verbeißt sich nur deshalb ein Lachen, weil in dem Moment der Portier herauskommt und sie begrüßt: "Hatten Sie einen erfolgreichen Tag, meine Herren?" Er bietet an, ihnen die Golftaschen reinzutragen, was sie dankend annehmen. "Sagen wir mal so: Wir sind zufrieden. Es gab ein, zwei besonders gelungene Schüsse," antwortet der Franzose auf englisch und klopft gegen eine der Taschen, "was natürlich am guten Gerät lag und weniger an meinem Freund hier." Diesmal kann der sein Lachen nicht unterdrücken, und der Portier wundert sich ein wenig, denn so komisch fand er die Bemerkung nun auch wieder nicht. Er begleitet beide ins Haus. Sie lassen die Schläger auf ihre Zimmer bringen und bestellen sich eine Flasche Sancerre unten in die Bar, dazu ein paar Sandwiches, denn bis zu den Tagesthemen, die sie sich aus gegebenem Anlass anschauen werden, haben sie noch genügend Zeit. Aus verborgenen Lautsprechern in der Wand klingt ein Klavierkonzert von Mozart.

Und morgen lesen Sie: Polizeireporterin Andrea Hofwieser hat eine Ahnung - und landet einen Scoop.

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