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"Und erlöse uns von allen Üblen" #17: Eine Polizeireporterin kommt groß raus

Die Medien stürzen sich auf den Mord am Rechtsnationalen Joachim Freypen. Ein Ermittler wundert sich über die Exklusivfotos. Ein Fortsetzungsroman, Teil 17.

Was bisher geschah: Der Vorsitzende der Nationalen Alternative ist erschossen worden. Der Mörder macht sich Gedanken, weil er am Tatort gesehen worden ist.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 17 vom 2. Juli.

Andrea Hofwieser hat natürlich den Bericht im Fernsehen angeschaut. Joachim Freypen ist ihr egal, sie empfindet kein Bedauern darüber, dass es den erwischt hat. Die Rechten sind ihr so fern wie die Linken. Sie bezeichnet sich gerne als politisch unkorrekt, nur an Facts interessiert und nicht an Ideologie. Sie wurmt sich vielmehr wegen mangelnder Professionalität.

So wie sich der Mörder ärgert, dass er nicht ans Bekennerschreiben gedacht hat, macht sie sich Vorwürfe, dass sie nicht auf die Idee gekommen ist, per Handy den Tatort auch noch zu filmen. Hätte beim Sender ihres Chefs ganz nette Einschaltquoten gebracht und ihr natürlich auch. Ihm gehört die Mehrheit an Action TV, einer Station, die hinter den anderen Privatsendern RTL, SAT 1/PRO 7, Vox schon Platz vier in der Skala und damit den Sprung in die schwarzen Zahlen erreicht hat.

Berühmt sind die Teams von Action TV dafür, mit bereits laufenden Kameras bei Opfern und möglichen Tätern und überhaupt bei Verdächtigen zu klingeln und bedenkenlos alles zu senden, auch wenn ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Das wirkt authentisch und mit dieser Masche sind sie groß geworden. Machen zwar inzwischen alle nach, aber sie gelten als die besten, und vor allem, sie haben diese Form der Berichterstattung erfunden. Das Motto, nur die Toten und die Zoten bringen Quoten, gilt zwar. Aber echt müssen sie sein. Die Toten.

Die Reporterin trocknet ihre Haare, zieht sich Jeans und einen Pullover und dicke Wollsocken an und wartet auf die ihr versprochene Mail mit ihrem Artikel. Dann räumt sie die verstreuten Kleidungsstücke weg, zögert ein bisschen, als sie den Stapel in der Hand hält, geht dann kurz entschlossen auf den Etagenflur und wirft alles, auch das teure Kleid, das sie heute zum ersten Mal getragen hat, in eine Klappe neben ihrer Tür. Von dort fällt der Müll über eine Rutsche direkt in die Container, die im Keller stehen.

Wäre auch ein schöner Film gewesen für Action TV, denkt sie, wenn man den Besitzer der Fernsehstation unten in der Tiefgarage hätte filmen können beim Versuch, eine seiner Reporterinnen zu vergewaltigen. Wirklich ein schöner Film. Für einen anderen Sender.

Dabei fällt ihr wieder der Mann ein, der ihr geholfen hat. Warum der sich noch nicht bei ihr gemeldet hat? Sie kann sich nicht entsinnen, ihn jemals im Haus gesehen zu haben. Was nichts bedeuten muss, sie kennt ja nicht einmal die Leute, die mit ihr auf demselben Flur wohnen. Sie versucht den Gedanken zu packen, der ihr entwischt war, als sie vorhin am Fenster stand und die Fotos machte. Hatte irgendwas mit dem Mann zu tun, aber was war es noch mal? Aus der Wohnung dringt das Pling ihres Laptops. Sie geht rein macht Licht und setzt sich in den Sessel, um zu lesen, was aus ihrem telefonischen Bericht gemacht worden ist.

MITTEN IN HAMBURG: RECHTER POLITIKER

AM SCHREIBTISCH ERSCHOSSEN: EXKLUSIV

"Seinen Mörder hat er nicht gesehen: Joachim Freypen, 59, Vorsitzender der Nationalkonservativen Alternative ist gestern Abend in seinem Büro ermordet worden. Der Schuss ist nach Meinung der Polizei von einem der umliegenden Häuser abgefeuert worden, wahrscheinlich von einem Dach. Kriminalrat Georg Krucht (41), der die Ermittlungen leitet: "Kein Kommentar«. Er bestätigte gegenüber der Abendpost nur, dass zwei Schüsse gefallen sind, beide stammen wohl aus einem Gewehr. Näheres würden erst weitere Untersuchungen ergeben. Wie bekannt wurde, hat der Generalbundesanwalt den Fall übernommen und Spezialisten vom Bundeskriminalamt nach Hamburg in Marsch gesetzt.

Joachim Freypen, dessen Partei nicht im Bundestag vertreten ist, wollte morgen auf der Moorweide eine Kundgebung abhalten. Der rechte Politiker, der Frau und zwei erwachsene Kinder hinterlässt, ist im Hauptberuf Besitzer einer Maschinenfabrik in Dresden und vielfacher Millionär. Die morgige Veranstaltung soll zu einer Gedenkfeier für ihn umfunktioniert werden. Die Partei hat Polizeischutz angefordert, weil man angeblich weitere Anschläge befürchtet.

Abendpost-Reporterin Andrea Hofwieser hat als einzige Journalistin den Tatort und die Leiche gesehen. Hier ihr Bericht:

"Joachim Freypen, vor dem sich so viele fürchteten, als er noch lebte, liegt mit blutigem Kopf auf dem Schreibtisch (siehe Foto). Die Kugel seines Mörders hat ihn von vorne getroffen. In die Stirn. Durch die zerschossenen Fenster dringt die Nacht von Hamburg. Beamte der Mordkommission untersuchen den Tatort. Auf dem Balkon arbeitet die Spurensicherung fieberhaft. Ein Mann steht vor der Deutschlandfahne, die an einer Wand des Büros hängt. Einer diktiert in ein Tonbandgerät. Aufregung! Chaos! Aus der Ferne hört man Polizeisirenen, über dem Parkdeck, auf dem die Nationalkonservativen ihr Hauptquartier haben, dröhnt ein Hubschrauber. Dann kommen zwei weißgekleidete Männer ins Zimmer, die eine Bahre tragen ( Foto). Sie heben vorsichtig den toten Politiker von seinem Stuhl und legen ihn in einen Plastiksack. Verlassen den Raum. Zurück bleiben die Experten der Hamburger Mordkommission und die Fragen: Warum wurde Freypen erschossen? Wer war sein Mörder? Wohin ist er geflüchtet? Die Ringfahndung, die sofort ausgelöst worden ist, hat noch keine Ergebnisse erbracht.

Soweit der Bericht vom Tatort. Lesen Sie morgen in unserer Sonntagsausgabe weitere Exklusivberichte."

Nun ja, denkt Andrea Hofwieser, es dürfte nicht gerade den Kisch-Preis geben dafür, aber in Anbetracht der Zeit, die sie hatte, ist es okay. Vor allem wird sich morgen die Zeitung mit dieser Schlagzeile verkaufen, denn wer hat schon solche Fotos? Das muss sich vor allem die Konkurrenz fragen, freut sie sich, die wird sich gewaltig ärgern und über die Klickzahlen gleich auf der Abendpost-Homepage erst recht.

Allerdings fragte sich das nicht nur die Konkurrenz, denn auch Georg Krucht ist online und hat den Artikel gelesen.

Und morgen lesen Sie: Das BKA übernimmt die Ermittlungen. Der Verleger erfährt vom Mord an Freypen.

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