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"Und erlöse uns von allen Üblen" #19: Eine Witwe bleibt ungerührt

Der Verleger Schwarzkoff erfährt vom Tod seines alten Freundes. Die Witwe des Ermordeten denkt an die Partei. Ein Fortsetzungsroman, Teil 19.

Was bisher geschah: Der Chef der Nationalen Alternative ist von der Wohnung der Journalistin Andrea Hofweiser aus erschossen worden. Die Ahnungslose war nicht daheim - hat aber unwissentlich den Mörder in der Tiefgarage getroffen.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 19 vom 4. Juli.

Schwarzkoff geht nicht auf das ein, was seine Frau sagt, er hat seinen Kopf in den Händen vergraben. Wenn es ihm besser ginge, würde er sie wahrscheinlich gleich umbringen und am Ende seines Gartens in die Elbe werfen, egal, was anschließend mit ihm passiert.

Joachim erschossen. Sein Freund Joachim. Sie waren zusammen bis 1976 im Internat in Salem, sie hatten danach zusammen in München studiert. Zumindest so getan. Vielmehr das Geld ihrer Väter, die so wenig Zeit für ihre Kinder hatten wie einst deren Väter für sie, für schnelle Autos und schöne Mädchen und Partys ausgegeben. Bis beide, fast gleichzeitig, von ihren Familien zurückgerufen wurden. Joachim zunächst nach Reutlingen, wo die Fabrik seines Vaters ihre Maschinen produzierte hatte, bis er dann nach der Wiedervereinigung den Hauptsitz nach Dresden verlagerte, weil ihm die Treuhand für ein paar Mark leer stehende Werkhallen verkaufte und weil die Löhne halb so hoch waren wie die im Westen, und er, Schwarzkoff nach Hamburg in den Verlag. Das war 1983.

Beide waren dann auf ihre Art erfolgreich und beide blieben befreundet, auch als sie feststellen mussten, dass ihre Frauen sich überhaupt nicht mochten. Was Schwarzkoff egal war, der mochte seine eigene Frau auch nicht.

Den Weg Freypens auf die rechte Seite hatte der Verleger nicht mitgemacht, weil ihn das politische Machtspiel ganz einfach nicht reizte, das aber seinem Freund im Gegensatz zu Julia auch nie übel genommen, weil er es für eine spätpubertäre Anwandlung hielt. Ihn interessieren nur die Auflage seiner Zeitung und die der Bücher seines Verlages und die Quoten seines Senders und in jüngster Zeit die Klickzahlen des Internetauftritts seines Medienkonzerns. Mit rechten Parolen waren die nicht zu steigern.

"Er hat dich noch gesucht", unterbricht Julia Schwarzkoff seine Gedanken, "klang ziemlich dringend. Hat sich wie üblich am Telefon nicht gemeldet, aber benehmen konnte er sich der Herr Führer noch nie. Du solltest ihn im Büro zurückrufen. Na ja, den Rückruf kannst du dir sparen."

"Ich wusste nicht mal, dass er heute schon in Hamburg ist. Wir hatten uns für Sonntag verabredet im Club ..."

Er schüttelt den Kopf. Stöhnt leise. Die Bewegung hat seinen pochenden Schmerz in den Schläfen verstärkt. Er reibt sich hinter dem Ohr. Ein dicker Knubbel. Da, wo ihn der Mann in der Tiefgarage getroffen hat, als er gerade ... Wieder schüttelt er den Kopf, als könne er damit alles ungeschehen machen, und wieder stöhnt er auf.

"Julia, kannst du mir bitte mal ein paar Aspirin und ein Glas Wasser bringen? Mir geht es nicht so gut."

"Das sehe ich mit Freude. Hol es dir doch selbst."

Und geht ohne ein weiteres Wort nach oben in ihr Schlafzimmer. Schwarzkoff bleibt eine Weile unten sitzen, bevor er sich mühsam erhebt und gebrochen wie ein alter Mann in sein Arbeitszimmer schlurft. In der Schublade seines Schreibtisches findet er ein paar Tabletten, die er trocken runterschluckt. Dann schenkt er sich einen Whisky ein und geht hinaus in den nächtlichen Garten. Luft, bloß Luft.

Karl Mulder hatte es noch vor Mitternacht geschafft, in die Türkei durchzukommen. Er stand während des Gesprächs aufrecht, als müsse er dem Toten auch jetzt eine Art von letzte Ehre erweisen.

"Ja bitte?"

Er erkannte die Stimme von Helga Freypen.

"Hier Mulder. Sie müssen jetzt sehr stark sein ...", begann er, aber sie unterbrach ihn sofort. "Weiß ich alles schon. Schon mal was gehört vom Internet und von Breaking News? Und außerdem, merken Sie sich: Ich bin stark, Mulder, ganz im Gegensatz zu Ihnen offensichtlich. Nehmen Sie sich zusammen, Mensch. Sie jammern ja rum wie ein türkisches Klageweib. Was würde mein Mann von Ihnen denken? Schicken Sie mir für morgen früh das Flugzeug, hierher, zehn Uhr. Ich will in Hamburg auf der Moorweide dabei sein. Und ich werde auch reden dort, notieren Sie das schon mal. Das wird uns Stimmen bringen. Beerdigung dann in Dresden, notieren Sie auch das und überlegen Sie sich eine würdige Form. Gute Nacht!"

Die Leitung war tot. Karl Mulder hielt fassungslos den Hörer noch ein paar Sekunden in der Hand, bevor er langsam auflegte. In der Tat, dachte er, in der Tat, die ist wirklich stark. Aber er konnte Helga Freypen dafür nicht bewundern. Denn irgendwie hatte er den Eindruck, dass die nicht so traurig war, wie es sich für eine deutsche Witwe geziemte.

Und morgen lesen Sie: Die Witwe des Ermordeten macht Pläne. der Leibwächter kommt unter Druck.

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