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"Und erlöse uns von allen Üblen" #21: Das Geheimnis von Loch Neun

Der Mörder sucht ein Versteck für die Tatwaffe. Verleger Schwarzkoff kommt eine schreckliche Nacht teuer zu stehen. Ein Fortsetzungsroman, Teil 21.

Was bisher geschah: Der Mörder des Parteichefs der Nationalen Alternative macht sich daran, die Spuren der Tat zu verwischen. Die Gattin des Verlegers Schwarzkoff lässt ihren Mann leiden.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 21 vom 6. Juli.

Sogar eine Leiche hätten die beiden am Sonntagmorgen unbemerkt hier verstecken können. Das Clubhaus liegt einen langen Abschlag weit entfernt, also fast zweihundert Meter, und von dort sind die Männer mit ihren Golfbags nur als kleine Figuren zu erkennen. Außer dem noch verschlafenen Clubwirt, der gerade die Stühle von den Tischen nimmt, ist aber keiner zu sehen, der sich für sie interessieren könnte. Ungewöhnlich an einem Sonntag, denn normalerweise bekommen Gäste an solchen Tagen keine Tee-Time, weil viele der regulären Mitglieder nur an Wochenenden Zeit haben und deshalb zuerst bedient werden wollen. Haben schließlich viel Geld dafür bezahlt.

Heute ist alles anders, denn am Ende der Stadt, im renommierten Club Falkenstein, zu dem auch der Verleger Jens-Peter Schwarzkoff gehört, spielen Bernhard Langer und Martin Kaymer zum Abschluss der Saison für einen guten Zweck, zugunsten von UNICEF. Wer sich mit ihnen messen will, hat pro Loch zehntausend Euro zu spenden. Deshalb sind heute die betuchten Hamburger Golf-Fans alle draußen in Blankenese. Als Spieler oder als Zuschauer.

Schwarzkoff übrigens, im Vorstand von Falkenstein für Finanzen zuständig, hat seine Teilnahme kurzfristig abgesagt. Wie es heißt, aus persönlichen Gründen. Seine Frau Julia, die ihn gerne vertritt und alle achtzehn Löcher gebucht hat, damit ihn die vergangene Nacht auch richtig etwas kostet, erklärt die Abwesenheit ihres Mannes mit dem Tod seines Freundes Freypen. Müssen Sie verstehen, die kannten sich seit ihren gemeinsamen Internatszeiten. Beeilt sich aber schnell hinzuzufügen, dass politisch zwischen den beiden selbstverständlich Welten lagen. Erzählt auch nichts davon, dass sie ihren Jens-Peter vor ein paar Stunden schnarchend auf dem Bootssteg gefunden hat, wo er betrunken neben seiner leeren Whiskyflasche eingeschlafen war. Dass er selbst unter anderen Umständen nicht in der Lage gewesen wäre, aufrecht zu stehen, geschweige denn gar einen Schläger zu schwingen.

Sie hat ihn übrigens nur deshalb geweckt, weil es ihr peinlich gewesen wäre, wenn ihn das Personal so gefunden hätte. Allerdings nicht sehr liebevoll in die Wirklichkeit zurückgeholt, sondern mit einem kalten Wasserstrahl aus dem Gartenschlauch, der in der Nähe lag. 

An diesem Morgen um zehn Uhr sind wegen des UNICEF-Turniers am Falkenstein die beiden Spieler, die Mitgliedskarten eines französischen Clubs, ausgestellt auf die Namen Knauter und Lefèvre präsentiert haben, hier draußen in Gut Kaden allein auf weiter Flur. Nur bei Großveranstaltungen wird in der Nähe ihres derzeitigen Standorts eine Tribüne aufgestellt, denn Loch Neun ist ein sogenanntes Inselgrün, da gibt es spektakuläre Schläge zu sehen und manche buchstäblich im Wasser versinkenden Hoffnungen.

Sie haben um sieben Uhr früh in ihrem Hotel nur schnell eine Tasse Kaffee getrunken und dann ausgecheckt, sich bereits eine Stunde später für den ersten Abschlag unter wolkenverhangenem Himmel eingefunden.

Die Nachrichten, die sie während der Fahrt im Auto gehört haben, vermeldeten: Keine neuen Spuren im Mordfall Freypen. Der Sprecher wies darauf hin, dass am frühen Nachmittag eventuell um den Hamburger Dammtorbahnhof herum mit Verkehrsstaus zu rechnen sei, weil die Nationale Alternative eine Trauerkundgebung mit der Witwe des Ermordeten plane und zudem Gegendemonstrationen erwartet würden.

Der falsche Lefèvre führt bereits mit drei Schlägen, als sie an Loch Neun ankommen, weiß aber, dass dies nicht an seiner bestechenden Tagesform liegt, sondern an den besonderen Umständen. Weil sich sein Partner auf etwas ganz anderes konzentriert, ist der mental nicht so gut drauf. Sagt er. Denn Golf beginne im Kopf. Sein Abschlag runter vom Hügel auf das sogenannte Hundebein nach rechts ist wieder missglückt, der Ball bleibt zehn Meter vor dem seines Gegners liegen. Der zweite Schlag vom Plateau soll dann auf dem Inselgrün landen, aber da wollen sie aus ganz anderen Gründen hin. Schilf und Wasserrosen säumen den Teich, ein kleiner Holzsteg führt zum Putting Green.

Der Mann, der sich Knauter nennt, tut so, als habe er erneut zu kurz geschlagen und seinen Ball am modrigen Ufer verloren. Er stochert mit einer Art stählernem Greifer, der hier stets am Rand liegt, im Wasser herum und fischt nach einer weißen Kugel. Sein Freund reicht ihm wie zufällig das Handtuch mit dem eingewickelten G36-Gewehr aus der Golftasche. Er blickt sich einmal sorgfältig in aller Ruhe um, lässt dabei keinen Winkel des Platzes aus, und drückt dann blitzschnell die Mordwaffe in den Schlamm zwischen dem Schilf. Legt ein paar Steine darauf, die er mit seinem Eisen Acht festklopft. Das Handtuch legt er gefaltet wieder in ein Seitenfach seiner Tasche. Alles zusammen dauert keine dreißig Sekunden. Dann nimmt er den Golfball, den er zuvor da platziert hat, aus dem Stahlfänger und hält ihn triumphierend hoch, als habe er ihn gerade erst gefunden. Falls jemand sie zufällig beobachtet haben sollte, passt diese Geste genau zur vorgeblichen Situation.

"Hier wird keiner suchen. War eine gute Idee", sagt der Franzose, zu dem der falsche Name Lefèvre besser passt als Knauter zu dem britisch wirkenden Deutschen. Knauter klang wie Krauter, wie Kraut, und damit verdammt deutsch. "In Krimis schmeißen die Täter ihre Waffen immer über irgendwelche Brückengeländer oder vergraben sie im Garten, und davon geht dann auch die Polizei aus, wenn sie nach Beweisen sucht."

Falls die Gärtner den Schlamm umgraben, aber das werden die sicher nicht vor dem nächsten Frühjahr zum Saisonbeginn 2016 machen, und dabei die Waffe finden sollten, würde niemand auf die Idee kommen, dass ausgerechnet die beiden ehrenwerten Gäste Knauter und Lefèvre, die im Oktober mal zwei Tage hier waren, etwas mit dem dann wahrscheinlich ziemlich verrotteten Gewehr zu tun haben. Oder dass es gar eine Verbindung zu den Ereignissen von gestern gab, dem Mord an Freypen. Ein Gewehr an Loch Neun auf einem Golfplatz weit entfernt von Hamburg könnte in diesen Zeiten eher die Vermutung nähren, dass russische Mafiosi jetzt schon zum Golfspielen nach Deutschland kommen.

Der Deutsche, von dem die Spannung spürbar abgefallen ist, zieht ein anderes Eisen aus seinem schottenkariert gemusterten Bag. "Wollen Sie etwa noch weiterspielen, Monsieur Knauter?" fragt der Franzose in gespielter Höflichkeit und schlägt dabei seinen Ball vom Rande des Greens mit einem leichten Schlag ins Loch. Wartet dann auf seinen Partner, der ebenfalls nur einen Schlag braucht. Sie gehen über die kleine Brücke wieder zurück auf den Rasen und prüfen konzentriert noch einmal sorgfältig das Ufer ringsum. Nichts zu sehen von der Waffe, die sie gerade am Grunde des Teiches eingegraben haben. Auch bei klarem Wasser nicht.

"Und ob wir spielen, ist doch erst die Hälfte geschafft."

Und morgen lesen Sie: Der Leibwächter sucht nach Erklärungen.

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