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"Und erlöse uns von allen Üblen" #39: Kleopatras erster Mord

Der Geheimbund vier junger Polizisten nimmt seine Arbeit auf. Opfer gibt es genug. Ein Fortsetzungsroman, Teil 39.

Was bisher geschah: Vier Polizisten gründen den Geheimbund Kleopatra, um Verbrecher zu richten. Sie glauben an Mord für eine gerechte Sache.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 39 vom 24. Juli.

An einem Montag in der zweiten Januarwoche des Jahres 2007 saßen sie vormittags endlich nicht nebeneinander, sondern im Saal verteilt, denn die Sitzordnung ging in Den Haag nach einzelnen Ländern und nicht nach Freundschaften, hörten eher gelangweilt als interessiert der Rede des EUROPOL-Direktors zu. Die war öde, aber das hatten die Reden von Behördenchefs egal wo auch immer so an sich.

Die Wanderung in den Vogesen und ihre Beschlüsse lagen an diesem Vormittag solange zurück, als seien seitdem Jahre vergangen und nicht nur ein paar Monate. Das ganze schien nur ein absurder Traum gewesen zu sein. Retin jedoch hatte nichts vergessen, denn er vergaß grundsätzlich nie etwas. Kleopatra erst recht nicht. Den seltsamen Decknamen hätte selbst er, der Erfinder, nicht rational begründen können. Keiner von ihnen würde allerdings in der Zukunft in die Verlegenheit kommen, nach entsprechenden Erklärungen suchen zu müssen, denn niemand kam je auf die abstruse Idee, gestandene Polizisten ausgerechnet nach einer  Figur aus grauer Vorzeit zu fragen.

Warum auch? Lionel Zartmann und Peter McFerrer und Ruud van Rey wussten aber sofort, was gemeint war, als sie in ihren Büros einen Umschlag von Retin vorfanden, der sie zu einem Essen in seine Wohnung bat. "Ich und Kleopatra freuen uns auf euch", stand auf der Einladung. Typisch für Alain übrigens der Schlusssatz, denn so kannten sie ihn: "Etwaige Absagen werden mindestens mit dem Tode bestraft."

Das Essen war nur ein Vorwand und deshalb nicht der Rede wert, es gab verschiedene Schüsseln mit Salat und ein paar geräucherte Makrelen, die von dem Kater gierig beäugt wurden. "Apropos, das hier ist Kleopatra", hatte Retin grinsend erwähnt, als sie um den Tisch herum saßen, "ich nenne ihn aber nur Kleo." Die anderen starrten verblüfft den Kater an, was dem sichtlich unangenehm war, woraufhin der ausgiebig gähnte.

Alain wollte offensichtlich keine Zeit verlieren mit Nebensächlichkeiten, denn kaum hatten sie gegessen, unterbrach er fast rüde die Erzählungen seiner Freunde von Familie und dem vergangenen Weihnachtsfest und den ersten Erfahrungen in Den Haag. "Gibt es Vorschläge für unsere erste Aktion?", fragte er und schaute die anderen der Reihe nach gespannt an. Sie hatten zwar vor ihrem Umzug nach Den Haag nicht mehr miteinander reden können, außer berufsbedingten kurzen Sachanfragen per Telefon keinen Kontakt gehabt, aber jetzt würde sich zeigen, ob wie abgemacht über mögliche Kandidaten nachgedacht worden war. Vor allem, ob sie immer noch entschlossen waren, etwas zu tun statt nur zu reden. Kleo, der Kater, hatte wie auf ein geheimes Zeichen von Alain aufgehört zu fressen und saß mit gespitzten Ohren da, als gehöre auch er zum Komplott. Was irgendwie ja stimmte.

Mc Ferrer drückte seine Zigarette aus. "Mein Vorschlag: Dieser Hisbollah-Scheich, der nächsten Monat zu einer Augenoperation in die Schweiz kommen soll." Van Rey blickt ihn spöttisch an: "Das wisst ihr auch schon?" Wurde aber gleich ernst: "Wie ich höre, aber auch das ist ebenfalls nur für euch bestimmt, haben unsere israelischen Freunde da schon eine Idee. Da wollen wir uns lieber nicht einmischen, sonst fliegen wir aus Versehen mit in die Luft. Wie ist es denn damit: Ich habe aus verlässlicher Quelle einen Tipp bekommen , dass einer der ETA-Anführer, der schon viele Polizisten eigenhändig umgebracht hat, gar nicht so weit entfernt in Biarritz zu einem Familientreffen erwartet wird. Kommunion seines Patenkindes. Die Herrschaften sind zwar zu üblen Killern geworden, aber dabei gute Katholiken geblieben. Biarritz, Restaurant mit Hinterzimmer, das einem von dieser Bande gehört. Haben wir zufällig erfahren. Eigentlich sollte das Tonband mit dem abgehörten Gespräch gerade gelöscht werden, aber da ich Dienst hatte ..."

Diesmal war es Zartmann, der unterbrach: "Seid wann kannst du spanisch?" Van Rey lachte: "Einen Scheiß kann ich. Aber wenn einer mit verzerrter Stimme schlechtes Englisch spricht und sein Gesprächspartner noch schlechter, weil er Franzose ist, entschuldige, Alain, und die Nummer, die gewählt wurde, einen ganz bestimmten Impuls auslöst, hört man halt genauer hin. Ihr könnt sicher sein, er ist es. Also?"

So wurde Kleopatras Uraufführung beschlossen, ohne Gegenstimmen, wie es ihre Regeln verlangten, und Retin glaubte nicht an Zufall, dass ausgerechnet er es war, den es als ersten traf. Um im Bild zu bleiben: Der Regie führen musste beim Debüt.

Jeder andere wäre in Biarritz allerdings auch aufgefallen, der blonde van Rey oder der rothaarige Peter McFerrer oder der so britisch wirkende Lionel Zartmann. Ende März waren Touristen an der Atlantikküste selten. Gefunden wurde der Terrorist übrigens am Tag nach seinem heimlichen Biarritz-Trip am Steuer seines Autos. Er musste während der Fahrt einen Herzschlag bekommen haben, vermutete die spanische Polizei, hatte wohl noch die Kraft gehabt, rechts ranzufahren und versucht, sich vom Sitzgurt zu befreien, auszusteigen, sich Luft zu verschaffen. Aber offensichtlich war es zu spät. Auf dem Totenschein stand Herzschlag und sein Begräbnis war fast ein Volkstrauertag, denn in die­sem Teil Spaniens galten ETA-Verbrecher als Helden.

"Du hast mir eigentlich nie erzählt, wie du das mit dem Basken damals geschafft hast," sagt Lionel, als sie die Ausfahrt Den Haag Centrum erreichten und die Autobahn verließen.

"Das war nicht so aufregend", antwortet Retin, "das heißt, aufregend war es schon, für mich. Über Mord hatte ich ja nur gelesen bis dahin. Die Methode war nicht so aufregend, meine ich. Als wir damals den Beschluss gefasst haben, musste ich darüber nachdenken, wie ich es anstelle. Erinnerst du dich an den Fall des Giftmordes, den sie uns in Colmar analysiert haben? Irgendwo in England war das, glaube ich. Der wäre ohne das Geständnis des Mörders nie rausgekommen, so simpel war die Methode, so unverdächtig. Drei an sich harmlose Mittel werden in der richtigen Dosierung gemischt und schon sind sie tödlich. Mit einer Zeitverzögerung von maximal drei Stunden sind sie garantiert wirksam. Darin lag mein Risiko und gleichzeitig die Chance, unbemerkt davonzukommen. Die verschiedenen Tropfen habe ich mir in einer Apotheke in Den Haag besorgt. Dann ein paar Tage Urlaub in Biarritz zum Eingewöhnen, waren schwer zu bekommen, weil wir ja gerade erst angefangen hatten mit der Arbeit. Ich habe eine kranke Großmutter erfunden, die mich vor ihrem Tod noch einmal sehen wollte. Weil ein Kellner in dem Restaurant ausgefallen war, der Arme muss nachts unglücklich gestürzt sein und ist erst am Montag im Krankenhaus wieder zu sich gekommen, war der Besitzer ganz dankbar, dass sich am Sonntagmorgen dessen Cousin bei ihm meldete und einsprang."

"Dieser Cousin hieß zufällig Alain, nehme ich an?"

"Gleich, nicht so hastig. Ist schließlich über sieben Jahre her. Kann sein, dass der Cousin Alain hieß, ja. Als ich sicher war, aus welchem Glas der Ehrengast trank, und als sich alle mit dem Kommunionskind zu einem Abschiedsfoto versammelten, habe ich ein paar von meinen Tropfen ins richtige Glas geschüttet. Die sind geschmacklos, farblos, man kann sie also nicht schmecken im Wein und natürlich auch nicht erkennen. Das war eigentlich schon alles. Ich habe mir meinen Lohn auszahlen lassen, schließlich hatte ich gute Arbeit geleistet und sie haben mir noch eine Flasche Armagnac für meinen kranken Cousin eingepackt. Dann habe ich mit den anderen gewinkt, als unser baskischer Freund ins Auto stieg, um die paar Kilometer in Richtung Spanien zu fahren. Danach habe ich mich auch verabschiedet und den nächsten Zug nach Den Haag genommen. Im Grunde lief das so einfach."

"Ich wusste gar nicht , dass es Tropfen gibt, die erst nach drei Stunden tödlich wirken. Kommt mir vor wie in einem schlechten Krimi, wenn dem Autor nichts anderes mehr einfällt."

"Doch, gibt es. Frag mal deinen Arzt oder Apotheker, aber frag bitte nicht, wenn andere zuhören. Ich habe es von einem Freund, der ist Heilpraktiker. Sicher war auch ich erst, als die Meldung vom Tod dieses Kerls im Figaro erschien, aber das habt ihr ja alle auch gesehen. Seine Freunde werden immer noch darüber nachdenken, wer der Cousin des Kellners in Wirklichkeit gewesen ist. Vielleicht sollte ich sie mal zum Essen besuchen?"

Und morgen lesen Sie: Der Mörder bekommt eine Email.

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