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"Und erlöse uns von allen Üblen" #47: Die Fassade der Chefermittlerin

Der Mord am Rechtsnationalen Freypen beschäftigt die anderen Parteien. Ermittlerin Hornstein und der Täter grübeln. Ein Fortsetzungsroman, Teil 47.

Was bisher geschah: Der Mord am rechtsnationalen Parteichef Freypen kommt einigen nicht ungelegen. Die Ermittlungen gehen nicht recht voran.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 47 vom 1. August.

Ein paar Straßen weiter trifft sich eine Stunde später der Parteivorstand des CDU-Koalitionspartners. Auch bei der SPD steht das Attentat von Hamburg als Punkt eins auf der Tagesordnung. Der starke Mann in dieser Runde zeigt auf die "WEM NÜTZT FREYPENS TOD?"- Schlagzeile der Zeitung, die ein ehemaliger Kanzler seiner Partei gemeinsam mit der Glotze als entscheidend für alle Wahlen bezeichnet hatte: "Das ist genau die Frage, die wir auch öffentlich stellen müssen, nämlich wer hinter dem Mord steckt und wer davon profitiert. Genau richtig, was die hier machen, die verstehen ihr Geschäft."

Wohl deshalb hat er denen gleich nach dem Attentat ein Interview gegeben und sich darüber beklagt, dass deutsche Polizisten von einer lahmarschigen Bürokratie daran gehindert werden, effizienter zu sein. Was zwar nichts mit dem Fall Freypen zu tun hatte, aber bei Polizisten immer gut ankommt. Auch die sind in zwei Jahren potentielle Wähler. Verblüfft fragt die Schatz­meisterin, deren Namen selbst in ihrer Partei jeder in dem Moment schon vergessen hat, in dem sie das Zimmer verlässt: "Wissen wir denn etwas?"

"Natürlich wissen wir nichts, woher auch", antwortet der Parteivorsitzende. "Aber dass die Schwarzen von seinem Tod profitieren und ganz bestimmt nicht die Linken und die Grünen oder wir, ist politisch betrachtet, eine Binse. Wenn der ihnen auf dem rechten Rand keine Wähler mehr abgraben kann, wählen die mangels Alternative doch wieder CDU."

"Haben wir jemanden beim BKA, der uns ein bisschen mit Material helfen könnte, einen von uns?", fragt hastig der Bundesgeschäftsführer. Er kommt aus Nordrhein-Westfalen, wo seine Partei in jahrzehntelanger Herrschaft die Kunst des Kungelns erfolgreich als Basisdemokratie verkauft hat. "Kann sein", antwortet zynisch der Chef, den sie "Dicker" nennen, "aber jeder in Wiesbaden wird sich angesichts unserer mageren Umfragewerte hüten, sein Parteibuch hochzuhalten. Also versucht es lieber über euer Landeskriminalamt."

Susanne Hornstein hat sich sogenannte Profile von Linksterroristen heraussuchen lassen, deren Methoden bei EUROPOL in Den Haag gespeichert sind. Ihre Anfrage wurde von Retin und Zartmann mit mehr Interesse zur Kenntnis genommen als von anderen. Selbst eine solche Spur, erklärte Susanne Hornstein ihren Leuten, so unwahrscheinlich sie sein mag, musste verfolgt werden. Detaillierte Beschreibungen von Giftmorden oder Anschlägen mit Autobomben legte sie gleich zur Seite, die passten nicht auf ihren Fall.

Darüber gab es übrigens einmal bei einer Tagung Ende 2006 in Colmar eine Art Symposium, erfuhr sie aus dem Anhang der Computerausdrucke. Sie speicherte die Information in ihrem Laptop, vielleicht ergab sich ja irgendwann die Gelegenheit, mit einem der Beamten zu sprechen, die damals bei der Tagung dabei waren. Attentate auf Manager oder Politiker, die von einem Scharfschützen begangen wurden, strich sie rot an. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Fingerübung, wie sie wusste, denn diese Beispiele hatten außer dem Kaliber der Mordwaffe und einer Beschreibung des mutmaßlichen Standorts des Schützen keine Erkenntnisse zu bieten. Vor allem keine Täterbeschreibungen, denn die Täter hatte nie einer gesehen. Dass es sich um ausgebildete Killer gehandelt haben muss, gilt in allen Fällen anhand der fehlenden Spuren, denn nur Profis hinterlassen keine, als sicher. Aber kein einziger Name waren den Unterlagen zu finden. Nicht mal ein Deckname.

Bei der Zeitungslektüre morgens im Hotel hat sie nur kurz überflogen, welche Forderungen deutsche Politiker nach dem Attentat aufgestellt haben. Sie liest ihren Kollegen, die mit ihr frühstücken, laut die Kernsätze vor, was keinen Eindruck auf die macht: "Aber der Dicke gehört doch zu eurer Partei", lästert sie und steckt sich hustend ihre erste Zigarette an, denn in ihrer Abteilung wissen sie untereinander von den jeweiligen politischen Vorlieben und machen kein Geheimnis mehr daraus, "der müsste euch doch gefallen." Das eben sei ihr Problem, geben die zurück, man würde aufgrund der Sprüche vermuten, dass der mögliche Kanzlerkandidat eher ein Mitglied der CDU sei. "Also eigentlich ein Mann für Sie, Chefin."

Susanne Hornstein hat ihr Parteibuch nie erwähnt, das hielt sie für unwesentlich, denn es hatte ihr in ihrer Karriere auch nicht genützt. Sie hat sich bei nächtlichen Gesprächen in ihrer Gruppe, als sie zum Personenschutz eingeteilt waren und es sich automatisch ergab, dass sie über Politiker sprachen, die sie bewachten, nur einmal aus Versehen geoutet. Und die anderen hatten im Gegenzug erzählt, wem die ihre Stimme gaben. Da alle die Radikalen von der einen und die von der anderen Seite gleichermaßen widerwärtig fanden, haben sie sich auf dieser Ebene der gemeinsamen Abneigung getroffen. Das funktionierte. Susanne Hornstein ist intelligent genug, um zu ahnen, dass zwar beim Aufstieg in der ganz besonderen BKA-Abteilung ihre Fähigkeiten und ihre Leistungen ausschlaggebend waren, wahrscheinlich aber unter vier bestimmten Augen auch ihre Nähe zur CDU eine Rolle gespielt hat.

Dass sie ohne Rücksicht auf politische Befindlichkeiten ermittelte, hatte sie allerdings in der Vergangenheit oft bewiesen und sie hat nicht vor, daran etwas zu ändern. Für die Tochter eines früh verstorbenen katholischen Kölner Notars war bei ihrem Eintritt in die CDU deren einstiges Ahlener Programm entscheidend gewesen. Da stand noch etwas drin von einer gerechten Welt, die es anzustreben gelte. Das hatte ihr gefallen. Daran glaubte sie heute noch. Trotz aller Rückschläge. Spricht aber nur mit ihrer Mutter darüber, um nicht als hoffnungslose Sozialromantikerin verlacht zu werden. Die höhere Tochter, die früher allein bei dem Gedanken an Wörter wie ficken und vögeln und Arschloch und Scheiße und Wichser rot geworden wäre, gab sich inzwischen abgebrüht und zynisch, und zu ihrem Wortschatz gehörte auch die Sprache der Straße. Das war ihre Fassade für die Männerwelt, in der sie lebte, ihr Schutz, ihr Panzer.

Es gab deshalb zwei verschiedene Frauen unter dem Namen Susanne Hornstein, die immer noch unberührte junge und die abgebrühte alte Kriminalistin. Insofern hatte Georg Krucht sie richtig eingeschätzt, als er ihr Maulhurerei unterstellte. Natürlich würde sie so etwas nie zugeben, nicht mal sich selbst gegenüber eingestehen.

Auch der Mann im fernen Den Haag, der Mörder, den sie suchte, ohne es zu wissen, wollte nicht darüber nachdenken, wer eigentlich sein Leben bestimmte, der junge Lionel oder der alte Zartmann.

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