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"Und erlöse uns von allen Üblen" #49: Ein geradezu klassisches Täuschungsmanöver

Eine neue Theorie zum Freypen-Mord sorgt für Unruhe. Die Ermittlerin schaut sich einen Lebenslauf näher an. Ein Fortsetzungsroman, Teil 49.

Was bisher geschah: Im Mordfall Freypen führt eine Spur angeblich zu anderen Rechten. Die Polizei denkt aber anders.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 49 vom 3. August.

Susanne Hornstein, die wieder mal vor einem vollen Aschenbecher und mit leerem Magen im Polizeipräsidium sitzt, liest ebenfalls den Artikel mit der Theorie des rechten Schützen und malt nachdenklich Männchen an den Rand der Zeitung. Sie hat zwar keine Ahnung, woher die das haben, aber sie gehört zu den wenigen, die wissen, dass die Vermutung mit dem Nazimörder schwachsinnig ist.

Sie hat in dem dort geschilderten Fall aus Schwerin ermittelt, und mit Freypen hatte das nichts zu tun. Das Waffenlager hatten arbeitslose Jugendliche angelegt, die Waffen stammten aus russischen Depots, die ihre Väter geplündert und dann versteckt hatten, sie wollten nur Geld verdienen durch Verkäufe und geständig waren sie auch schon gewesen. Alle waren bis zum Prozess wieder auf freiem Fuß, weil sie einen festen Wohnsitz hatten. Die Täter waren zwar blöde, aber genau das konnte der Mörder, den sie jagte, nicht sein. Sonst hätte sie ihn schon. Sie ruft eine Nummer an in Berlin.

"Soll ich ein Dementi herausgeben, bevor alle den Quatsch abschreiben?"

"Nein, nein, lassen Sie das. Ist doch ideal für uns, wer auch immer dahintersteckt. Der Mörder liest das auch und denkt, wir sind auf der falschen Spur. Was da steht, Susanne, ist Politik. Hat mit uns nichts zu tun, noch nicht ... Übrigens, haben Sie schon eine Spur?"

"Nein", sagt sie müde und deshalb aggressiv, "wir arbeiten daran. Aber wenn Sie eine bessere Idee haben ..."

"Bessere Idee nicht und keine besseren Leute". Sie wird rot und ärgert sich, dass sie sich so über das seltsame Lob freut, aber das sieht ihr Vorgesetzter am anderen Ende der Leitung ja nicht.

Um auf andere Gedanken zu kommen und weil sie aus Erfahrung weiß, dass sie danach einen freien Kopf haben wird, geht sie über Internet auf die Homepage des MENSA-Clubs und löst auf der angegebenen Website zur Entspannung ein paar Aufgaben. Schwierige Brocken, aber im Vergleich zu dem Rätsel, das sie zu bearbeiten hat, ein Kinderspiel. Der Denksport hilft ihr, sie ist wieder hellwach. Sie sucht auf ihrer Festplatte unter dem Stichwort Freypen und geht noch einmal die gespeicherten biographischen Daten des Ermordeten durch.

Da war es, was Susanne Hornstein nach der ersten Lektüre aufgefallen war und was sie als unwesentlich fast schon vergessen hatte. Aber eben nur fast, beglückwünscht sie sich selbst, nur fast. In seiner Biografie stand Salem verzeichnet, das Internat, in dem Freypen sein Abitur gemacht hatte. Da sie keine sinnvolle Spur hatten, um weiter zu ermitteln, beschließt sie, am nächsten Tag dorthin zu fahren. Vielleicht gab es in der Vergangenheit etwas, was ihnen helfen könnte. Flug nach Zürich, mit dem Auto an den Bodensee, abends wieder zurück. Klingt vernünftig und machbar.

Auch  andere lesen die sensationelle Geschichte, die dem Fall Freypen eine ganz neue Wendung geben könnte. Lionel Zartmann findet den Artikel im täglichen Pressespiegel von EUROPOL und glaubt natürlich nichts davon. Er weiß es schließlich besser. Aber das Ding hier riecht nach einer bewusst gesteuerten falschen Information und er überlegt, wem es denn politisch schaden würde, falls ein Nazi als Mörder Freypens gilt. Die Antwort ist nicht schwer: Und wem würde es nützen? Auch diese Frage lässt sich bei ein bisschen Nachdenken beantworten. Logisch also für den Kriminalisten, wer sich hinter den erwähnten gut unterrichteten Kreisen verbirgt.

Der Innenminister gratuliert seinem Pressechef zum guten Einfall mit der Aufmachung von Deutschlands größter Zeitung. Ein geradezu klassisches Täuschungsmanöver. Beide verstehen sich darauf, immer dann die Haifische abzulenken, wenn die sich ihnen bedrohlich nähern. Medienpolitik ist für sie in erster Linie Politik mit den Medien.

Helga Freypen hat die Vorabmeldung im Radio gehört, als sie sich innerlich auf die Gästeliste für die Beisetzung konzentrierte und äußerlich ganz in Schwarz hüllte. Kann das stimmen mit dem Konkurrenten ihres Mannes? Davon hatte er nie gesprochen. Ist dieser geheimnisvolle Dritte vielleicht wirklich heute da? Sie wird auf Schritt und Tritt von vier Bodyguards begleitet, die vor allem die umliegenden Dächer im Auge behalten.

Das nimmt die so gefangen, dass ihnen die Demonstranten vor der Dresdner Freypen-Fabrik mit den Pappschildern GOTT, WIR DANKEN DIR: EIN NAZI WENIGER gar nicht auffallen. Sonst hätten sie ihnen bestimmt gezeigt, wie gut sie sind als Schläger vor dem Herrn. Jean-Marie Le Pen hat übrigens im letzten Moment seine Teilnahme an der Trauerfeier abgesagt. Das Risiko ist ihm wohl zu groß, solange der Mörder seines Gesinnungsfreundes frei umherläuft.

Und morgen lesen Sie: Der Leibwächter bekommt Stoff zum Nachdenken.

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