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"Und erlöse uns von allen Üblen" #80: Ein Geständnis lässt Fragen offen

Verleger Schwarzkoff rückt mit der Wahrheit über die Tatnacht raus. Die Rolle der Reporterin ist ungeklärt. Ein Fortsetzungsroman, Teil 80.

Was bisher geschah: Verleger Schwarzkoff wird von der Polizei verhört. Er glaubt insgeheim an einen Racheakt seiner Reporterin Hofwieser.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 80 vom 3. September.

Jens-Peter Schwarzkoff überlegt fieberhaft. Es ist schon immer eine seiner Stärken gewesen, in scheinbar ausweglosen Situationen die richtige, die befreiende Idee zu haben. Früh geübt. Schon damals auf dem Bodensee. Was hätte er denn anders machen sollen, als sich dieses Mädchen für immer vom Leib zu schaffen? Die hatte ihn doch erpresst mit der Drohung, ihren Eltern zu beichten, dass sie von ihm ein Kind bekam. Die hatte doch verlangt, dass er sie heiraten sollte und das Geld abgelehnt, dass er ihr geboten hatte für die Reise nach England und die Abtreibung in London. Was wäre denn das für ein Leben für ihn gewesen, verheiratet mit einer Dorfschönheit aus kleinen Verhältnissen und in seinem Alter noch vor dem Abitur plötzlich Vater? Alle Karriereträume dahin, alles verpfuscht. Er musste doch etwas unternehmen.

Nein, Gewissensbisse hatte er nie gehabt wegen diesem Mord. War es denn überhaupt ein Mord? Er hat Susanne doch eigentlich nur helfen wollen, weil sie plötzlich unter Wasser neben ihm so erschreckt geschaut, Angst vor der Tiefe bekommen hatte. Sie in den Arm genommen und dabei musste er sie zu stark gedrückt haben. Diese Version hatte er nicht nur seinen Freunden erzählt, er hatte sich das so lange eingeredet, bis er selbst glaubte, dass es eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen ist. Er ist kein Mörder. Er doch nicht, er, Jens-Peter Schwarzkoff. Der große Jens-Peter Schwarzkoff. Der berühmte Verleger. Mörder sind doch ganz andere Typen, Verbrecher eben. Das haben sogar Susannes Eltern eingesehen, nachdem sein Vater ihnen beim Umzug in die Schweiz finanziell so geholfen hatte, dass sie bis an ihr Ende ohne Arbeit leben konnten.

"Also gut", sagt er entschlossen und setzt sich wie zum Schutz hinter seinen großen Schreibtisch, "ich will Ihnen erzählen, was wirklich passiert ist in dieser Nacht." Und er berichtet, erst stockend, dann immer schneller und den Blick der Beamtin vermeidend, dass er mit Andrea Hofwieser in die Tiefgarage ihres Hauses gefahren sei, ja, des IDUNA-Hauses, und plötzlich habe es ihn überkommen, was sonst wirklich nicht seine Art war, das müssen Sie mir glauben, Frau Hornstein, plötzlich sei es ihn überkommen - Medikamente vielleicht? Gemischt mit Alkohol? - und er sei über die Frau, ja, also er habe versucht sie zu küssen.

"Sie haben versucht, Sie zu vergewaltigen, wollen Sie sagen?", unterbricht ihn Susanne Hornstein tonlos.

"Also, so kann man das nicht sagen, ich bin doch kein Frauenschänder, ich meine ..." Er hört auf mit seinem Gestammel und nimmt wieder einen Schluck Whisky. Nein, nein, er sei kein Vergewaltiger. Kann sein, dass es so gewirkt hat auf Andrea. Kann sein, dass die diesen Eindruck gehabt haben muss von seiner Attacke. Andererseits wisse man bei Frauen nie, wie sie es meinen und ob sie wirklich nicht wollen oder nur erobert werden wollen und ...

" ... und wenn die sich nicht klar ausdrücken, dann muss der Mann halt zu anderen Mitteln greifen, wollten Sie das sagen, Herr Schwarzkoff? Mal so kurz in einer Tiefgarage unter den Rock grabschen oder? Einen Quickie auf der Motorhaube?", haut Susanne Hornstein grob dazwischen und schaut ihn angewidert an. Kein Wunder, denkt sie, dass Andrea Hofwieser so gezögert hat bei der Frage nach besonderen Vorkommnissen. Kein Wunder, dass der feine Herr da vor ihr freiwillig die doppelte Summe bezahlt hat für den Erstling seiner Reporterin. Ihr Eindruck bei der Lektüre des abgehörten Gespräches war also richtig gewesen, die Journalistin hatte ihren Chef schlichtweg erpresst. Was allerdings dafür sprechen würde, dass Schwarzkoffs Geschichte stimmt und sie in ihren Recherchen von vorne beginnen muss.

"Und weiter?"

"Nichts weiter", antwortet Schwarzkoff, ohne auf das einzugehen, was Susanne Hornstein gerade gesagt hat, "nichts weiter." Scheint sich wieder auf sicherem Terrain zu fühlen, denn nun wird seine Stimme wieder fester, nun ist er der seriöse weißhaarige Herr im Blazer, der im passenden Ambiente sitzt, seiner Bibliothek, der nur mal vor ein paar Wochen kurz aus der Rolle des Gentleman gefallen ist, aber passiert ist dabei letztlich ja nichts. Er wagt, als er weitererzählt, sogar schon wieder eine gewisse Em­pörung nach dem Motto, wofür bezahlen wir braven Bürger eigentlich die Polizei, wenn man nirgends mehr sicher ist?

Denn in dieser Tiefgarage da sei er auf einmal von hinten niedergeschla­gen worden. Bewusstlos am Boden gelegen. Er greift mit einer Hand hinter sein rechtes Ohr. Genau hier, genau hier hat der ihn getroffen. Da ist nichts mehr zu spüren, wie er feststellt, aber das ist jetzt unwichtig. Mehr als diesen einen Schlag hat er nicht mitbekommen. Aufgewacht sei er in seinem eigenen Auto irgendwann in der Nacht. Mit Kopfschmerzen und ohne Autoschlüssel und ohne überhaupt zu wissen, wo er war. Musste sich mühsam an die nächste Ecke schleppen, um das Straßenschild zu erkennen. "Den Rest kennen Sie", beendet er seine Erklärung.

"Falls es stimmt, ich sage falls, denn wir werden das natürlich nachprüfen, falls Ihre Geschichte stimmt und nicht wieder eine Lüge ist", erwidert Susanne Hornstein und sie sagt das so kalt, dass ihn das Gefühl, wie so oft in seinem Leben wieder mal gewonnen zu haben, gleich verlässt , "dann müsste Andrea Hofwieser den Mann, der Sie niedergeschlagen hat, ja eigentlich gesehen haben." Sie fügt nicht hinzu, den Mörder, obwohl das die naheliegende Schlussfolgerung wäre. Die außerdem zu Julia Schwarzkoffs Erzählungen von dieser Nacht paste. Ihr Mann, hatte die ihr doch berichtet, habe erst durch sie von Freypens Ermordung erfahren. Wenn sie recht hatte mit ihrer Beobachtung, konnte er nicht der Auftraggeber für das Attentat gewesen sein. Ihr Mann hatte auf sie verstört, geschockt gewirkt. Hornstein hatte das bezogen auf den Mord, den er befohlen hatte. So etwas kam ja nicht alle Tage vor, selbst ein harter Knochen wie Schwarzkoff könnte dabei Wirkung zeigen. Passte jetzt allerdings auch auf seine Geschichte, diese Verstörtheit. Wenn er beim Versuch einer Vergewaltigung bewusstlos geschlagen worden ist und nicht ahnte, wer das war, konnte das in der Tat zu Verstörungen führen.

Eigentlich konnte er doch eine solche Geschichte nicht erfunden haben, wer würde denn auf solche Ideen kommen? Einer zum Beispiel, fällt ihr spontan ein, der mit solchen und anderen abenteuerlichen Geschichten Geld verdiente - in Büchern, in Zeitungsserien, in Fernsehfilmen. Einer wie Schwarzkoff.

Sie vergisst, dass sie nicht alleine ist im Raum, sondern von Jens-Peter Schwarzkoff genau beobachtet wird. "Ich kann mir vorstellen, worüber Sie jetzt nachdenken", sagt der fast väterlich, um sich wieder ein Stückchen mehr aufs sichere Ufer der braven Bürger zu begeben, weit weg von irgendwelchen dunklen Machenschaften, weit weg von Erpressung und Mord: "Andrea Hofwieser hat den Mörder von Freypen gesehen. Und warum hat sie nichts davon erzählt?"

Zu spät bemerkt er seinen Fehler. "Weil es ihr vielleicht peinlich war, Herr Schwarzkoff? Weil sie zwangsläufig auch hätte erzählen müssen, dass ihr großartiger Chef versucht hat sie zu vergewaltigen? Dass sie nur zufällig vor dessen Attacken gerettet worden ist, weil Sie niedergeschlagen wurden?", holt Susanne Hornstein sofort das gerade verlorene Terrain zurück: "Bisher kenne ich nur Ihre Version der Geschichte. Mal sehen, was uns Frau Hofwieser erzählt."

Sie nimmt ihr Handy und drückt eine Taste. "Hornstein hier. Ich komme gleich. Können Sie mich bitte ablösen?" Dann macht sie dem Verleger unmissverständlich klar, dass er zwar selbstverständlich seinen Anwalt anrufen, ansonsten aber keine weiteren Gespräche führen dürfe, bevor sie nicht wieder zurückgekehrt ist. Ein Kollege werde ihn hier in seinem Haus bewachen. Schwarzkoff pr­testiert, aber das interessiert sie nicht weiter. Ob es ihm lieber sei, wenn sie ihn gleich aufs Präsidium bringen lasse, um ihn dort mit Andrea Hofwieser zu konfrontieren? Das ist ihm nicht lieber.

Georg Krucht hat ihren Platz eingenommen in der Bibliothek und lässt sich durch Schwarzkoffs Schweigen nicht stören. Schweigen ist für Krucht Erholung. Vor dem Haus steht ein beiger Audi mit zwei Zivilfahndern. Eher gelangweilt lassen die das Quäken des Funkgeräts an sich abprallen.

Und morgen lesen Sie: Die Reporterin überrascht die Ermittlerin.

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