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"Und erlöse uns von allen Üblen" #93: Die Ermittlerin lässt sich auf einen Betrug ein

Der Mörder und die Polizeireporterin werden ein Paar. Ermittlerin Hornstein will nicht noch mehr Tote. Ein Fortsetzungsroman, Teil 93.

Was bisher geschah: Freypen-Mörder und Ermittler Zartmann rät der Polizeireporterin zum Untertauchen. Beide fühlen sich zueinander hingezogen.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 93 vom 16. September.

"Folgende Strategie habe ich mir überlegt", erklärt Zartmann der Journalistin. "Zunächst müsste dieser öffentliche Verdacht gegen dich genauso öffentlich dementiert werden. Kein Mensch wird die simple Wahrheit glauben, weil die nicht gut genug ist für eine Schlagzeile. Wenn es aber neue Erkenntnisse geben würde und wenn die zum Beispiel ein Blatt wie deine Zeitung online exklusiv und groß verbreiten würde, dann sieht es schon ganz anders aus."

Sofort sitzt wieder die Polizeireporterin Andrea Hofwieser gespannt und aufrecht vor ihm: "Gibt es denn neue Erkenntnisse?"

"Natürlich nicht. Der Fall ist abgeschlossen, so oder so. Aber du könntest aus einer ungenannt bleibenden Quelle zitieren", und weist dabei auf sich selbst, "und diese Quelle könnte dir verraten haben, dass EUROPOL eine Spur verfolgt, die Spur des Mörders nämlich, die zu einer Terroristenzelle führt, den Namen denken wir uns gleich aus, und diese Truppe operiert beispielsweise von Libyen aus oder aus den besetzten Gebieten in Israel aus, egal, also aus Regionen und Ländern, denen man alles zutraut. Der Mörder hat nicht aus deiner Wohnung geschossen, wie man bisher vermutet hat, sondern aus einem benachbarten Bürogebäude, wie neue Untersuchungen ergeben haben. Dort fand man Ölspuren eines Gewehres oder so etwas in der Art. Insgesamt also eine Geschichte, die weit weg führt von dir."

"Aber es stimmt doch kein Wort davon?"

"Richtig, aber es wird auch niemand dementieren. Wir nicht in Den Haag. Das kann ich arrangieren. Susanne Hornstein nicht, wenn ich ihr erkläre, warum wir eine solche Geschichte erfunden haben, um dich zu schützen, und aus Berlin wird erst recht kein Dementi kommen. Denen ist alles recht, was wegführt von den üblichen Verdächtigen. Oder hast du etwa die Geschichte mit den Rechtsradikalen aus den neuen Bundesländern geglaubt und dem Märchen von dem Waffenlager einer Neonazibande? Vom Attentat, das ein Konkurrent Freypens angestiftet hat? Das war reine Politik, nichts davon ist tatsächlich passiert, aber keiner hat es dementiert oder einer deiner Kollegen nachrecherchiert.".

Sie blickt ihn bewundernd an und findet ihren üblichen Spott wieder, aber auch das ist für sie nur eine kurzfristiger Rollenwechsel. "Du wärest eine Verstärkung für unsere Redaktion, Lionel. Willst du nicht meinen Job, solange ich mein Buch schreibe? Dann könntest du meine Wohnung hier übernehmen und ich deine in Den Haag und dann hätten wir auch unser anderes Problem gelöst"«

"Welches Problem?", fragt Zartmann zurück und tut so, als könne er sich nicht vorstellen, wovon sie spricht. "Erkläre ich dir später, Herr Kriminaldirektor", antwortet Andrea Hofwieser sehr entschlossen, aber der Entschluss hat nichts mit Mord zu tun und nichts mit seinem Plan: "Wenn wir das Problem gelöst haben. Darf ich dir dafür mal den Rest meiner Wohnung zeigen?" Sie erhebt sich ganz langsam und geht dann rückwärts zum Schlafzimmer, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Er scheint den Weg zu kennen, aber das fällt ihr nicht mehr auf. Es kann auch daran liegen, dass plötzlich die Zeit stehen bleibt.

"Man könnte sich daran gewöhnen", flüstert sie ein paar Stunden später in sein Ohr, als das Problem mehrfach gelöst worden war, "und das gefällt mir eigentlich gar nicht."

Als Lionel mit noch nassen Haaren aus der Dusche kommt, sieht er Andrea Hofwieser nackt und rauchend an ihrem Computer sitzen. Sie grinst ihn frech an, während sie in ihr Handy spricht: "Ja, ich habe exklusive Informa­tionen. Eine richtige Sensation. Habe ich euch schon einmal zu viel versprochen? Na also. Wichtig ist, mein Name darf nicht in die Autorenzeile, sonst könnte mein Informant in Schwierigkeiten kommen." Sie hält die Muschel zu und flüstert in Richtung Lionel: "Jetzt geht es um dich, hör zu,", bevor sie weiterspricht. Schaut ihn aber unentwegt an, als sie ihrem Chefredakteur den Hintergrund erklärt: "Ich glaube, der hat sich ein bisschen verliebt in mich." Lionel bleibt verblüfft im Türrahmen stehen, als wäre er auf diese Idee noch gar nicht gekommen. Sie lächelt. "Und deshalb hat er mir mehr erzählt, als er durfte." Diesmal lächelt Lionel und kommt auf sie zu, sie spricht hastig weiter: "Ich schreib das alles auf und maile es euch nachher. Ich muss auflegen, falls er noch was von mir will."

Zartmann erreichte Susanne Hornstein in ihrem Elternhaus in Bonn. Er nahm das Telefon mit ins Schlafzimmer, um Andrea nicht zu stören, die nur noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Deadline hatte. Die künftige EUROPOL-Beamtin hörte schweigend zu, als er ihr den Plan mit den frei erfundenen Untersuchungsergebnissen erzählte. Ihre spontane Reaktion hätte eigentlich empörter Protest sein müssen, denn was Zartmann vorschlug, war eindeutig Betrug. Doch das vergaß sie schnell, als sie sich ausmalte, was Andrea Hofwieser passieren könnte, falls sie den Typen von der Nationalen Alternative in die Hände fiel und wer sich dann Vorwürfe machen müsste. Reichten nicht Lawerenz und Schwarzkoff?

Andererseits war sie inzwischen so sicher wie nie zuvor, dass die Reporterin sie angelogen hatte. Vergiss es endlich, befahl sie sich selbst, du hast den Fall doch abgeschlossen. Selbst wenn die den Mörder wirklich gesehen hat, du wirst den wahrscheinlich nie sehen. Sie schaute während des Gesprächs aus dem Fenster, und als ein flacher Frachter auf dem Rhein vorbeifuhr, an dessen Heck die rotweißblaue holländische Flagge wehte, nahm sie das als Wink des Schicksals. "Einverstanden, Herr Kollege. Falls man mich fragen sollte, werde ich einfach jeden Kommentar ablehnen. Darauf können wir uns einigen."

"Und wie ist es mit den Hamburger Ermittlern? Können Sie da noch ein entsprechendes Hintergrundgespräch führen mit diesem, wie hieß er noch mal, diesem ..."

"Krucht, Georg Krucht. Ja, werde ich machen." Dann grinste sie, weil ihr etwas eingefallen war. Wer sie nicht kannte, würde dieses Grinsen als ein bisschen dreckig bezeichnen. "Wo kann ich Sie denn erreichen, falls ich noch Fragen habe? Bei Frau Hofwieser?" Als sie sich Zartmanns Gesicht bei der Bemerkung vorstellte, ging es ihr zum ersten Mal seit ein paar Tagen gut. Sie lachte noch, als sie ihr Handy längst schon ausgestellt hatte.

Und morgen lesen Sie: Der Mörder ärgert sich über sich selbst.

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