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"Und erlöse von allen Üblen" #86: Eine Hinrichtung vor laufenden Kameras

Die Mordwaffe taucht auf. Verleger Schwarzkoff spricht seine letzten Worte. Ein Fortsetzungsroman, Teil 86.

Was bisher geschah: Die Witwe Freypen will den Mörder tot oder lebendig. Leibwächter Mulder fasst einen Entschluss.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 86 vom 9. September.

Julia Schwarzkoff hatte dem Chefredakteur der Abendpost die Anweisung gegeben, nur in ein paar dürren Zeilen auf der zweiten Seite über die Verhaftung ihres Mannes zu berichten. Selbstverständlich würde es sich um ein Missverständnis handeln, wurde sie zitiert und dieses Zitat war korrekt. Fritz Seiferts Erzählungen fand sie viel spannender, aber noch konnte man die nicht veröffentlichen. Der Butler hat ihr auch die Geschichte des im Bodensee ertränkten Mädchens erzählt. Julia Schwarzkoff kann sich in der Tat vorstellen, dass ihr Mann damals seine Freundin umgebracht hat.

Die Pressekonferenz, die Jens-Peter Schwarzkoff nach seiner Freilassung geben wird, ist für 14.00 Uhr am Montagnachmittag im Hotel Atlantic angesetzt. Sein Anwalt hat den Salon Bismarck schon am Vormittag bestellt, denn nach einem ersten Vier-Augen-Gespräch mit dem zuständigen Untersuchungsrichter war er sicher, dass sein Mandant bald frei kommt. Alle Fernsehstationen sind per Rundruf eingeladen worden, nicht nur der Schwarzkoff eigene Sender Action TV soll den Auftritt versenden dürfen. Der Verleger will diesmal keine Exklusivität für seine Medien, er will für sich die totale Öffentlichkeit, um die Attacke der Konkurrenzzeitung von diesem Morgen erfolgreich kontern. Es soll so medienwirksam wie möglich inszeniert werden, deshalb hat er aus der Zelle heraus über den Anwalt seine Frau Julia gebeten, mit ihm gemeinsam zu erscheinen.

Sie hat nicht vor, diese Bitte zu erfüllen.

Julia Schwarzkoff sitzt im leeren Wohnzimmer ihres großen Hauses und schaltet den Fernsehapparat an , als die Live-Übertragung beginnt. Jens-Peter kommt ihr vor wie der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein bei seiner damals vor bald dreißig Jahren ebenfalls live übertragenen Ehrenwort-Erklärung: Ein bisschen wirr, ein bisschen verstört, nicht sehr überzeugend, aber wild entschlossen, um seinen guten Ruf zu kämpfen. Guten Ruf? Sie lacht bitter. Aber eigentlich ist ihr alles egal, die kurzfristige Hoffnung auf Rache nach dem Gespräch mit Susanne Hornstein schon wieder tot. Wieder mal hat er gewonnen, wieder mal hat sie verloren.

Als die Übertragung beginnt, haben die Gärtner in Gut Kaden an Loch Neun gerade das Wasser abgelassen und mit ihren Mistgabeln im Schlamm herumgestochert. Sie sollten sich beeilen, damit nach fünfzehn Uhr wieder gespielt werden konnte. Die Mittagszeit bot sich an für ihre Säuberungsaktion, denn am Montag kamen eigentlich nur die ganz alten Mitglieder oder die hochgestylten Hausfrauen. Beiden Gruppen war es zuzumuten, ausnahmsweise auf einen Abschlag zu verzichten und siebzehn statt achtzehn Löcher zu spielen. Ein Gast hatte angeblich an genau diesem Loch gestern beim Einputten ein Etui mit seinen gesamten Kreditkarten verloren und einen Finderlohn von fünfhundert Euro ausgesetzt.

Was sie fanden, war viel mehr wert als fünfhundert Euro, aber das konnten sie auf den ersten Blick natürlich nicht erkennen. Sie brachten das Gewehr auf einer Schubkarre vorsichtig zum Clubchef, und der war genauso verblüfft wie die Gärtner. Bis die herbeigerufene Polizei eintraf, verging fast eine Stunde.

So erfuhren Susanne Hornstein und Georg Krucht vom Fund eines G36-Gewehrs ausgerechnet auf einem Golfplatz erst nach dem Tod von Jens-Peter Schwarzkoff. Hätten sie es früher gewusst, also zum Beispiel bei dem Haftprüfungstermin am Vormittag, würde der Verleger noch leben, denn dann hätte ihn nicht mal sein Freund, der Richter, auf freien Fuß setzen können. Die Tatwaffe des Freypen-Mords auf einem Golfplatz und ausgerechnet ein begeisterter Golfspieler wie er, der sich auf Gut Kaden mindestens so gut auskannte wie in Falkstenstein, sollte nichts damit zu tun haben? Nur Schwarzkoff konnte die Tatwaffe für den Mörder in Loch Neun versteckt haben.

Aber als sie gefunden war, gab es Schwarzkoff schon nicht mehr. Dass ihn der Richter aufgrund einer hohen Kaution und aufgrund seines guten Leumunds auf freien Fuß gesetzt hat, ist Schwarzkoff bei seiner Pressekonferenz nur einen Satz wert. Eine Selbstverständlichkeit, an der er nie gezweifelt hat: "Schließlich leben wir immer noch in einem Rechtsstaat." Das wiederum bezweifeln Susanne Hornstein und Georg Krucht, die vergeblich ihre Argumente für eine Verlängerung der Untersuchungshaft vorgetragen haben und die jetzt niedergeschlagen im Polizeipräsidium sitzen und ebenfalls die Übertragung anschauen.

Den letzten Satz im Leben des Jens-Peter Schwarzkoff, sozusagen eine Art Bekenntnis zur deutschen Demokratie, hört auch Helga Freypen live, die wie angekündigt nach Hamburg gekommen ist und in ihrem Büro in der Parteizentrale sitzt. Sie hatte dem Verleger über seinen Anwalt eine Mail geschickt und darin versichert, dass sie niemals daran geglaubt habe, dass ausgerechnet er, der beste Freund ihres Joachim, am Tod ihres Mannes schuld sein könnte. Als er dieses Mail triumphierend den mitschreibenden Journalisten vorliest und dabei in die Richtung der Kameras blickt, fällt ihm ein glatzköpfiger aufgeschwemmter Mann auf.

Der grinst ihn herausfordernd an, zieht dann langsam einen Revolver aus dem Hosenbund und schießt dreimal auf ihn. Schon der erste Schuss ist tödlich.

Die Ermordung des Eberhard Schwarzkoff und die anschließende Verhaftung des Mörders, der sich widerstandslos überwältigen lässt, erinnerte die älteren Zuschauer an die Ermordung des Lee Harvey Oswald, des angeblichen Kennedy-Attentäters, durch den Nachtclubbesitzer Jack Ruby. Für die Jüngeren war es einfach spannende TV-Unterhaltung und deshalb wurde die Szene mit den drei Schüssen und dem verblutenden Opfer ein Dutzend Mal auf allen Fernsehkanälen wiederholt. Ein besonders kaltblütiger Reporter hatte sogar daran gedacht, während sich seine Kollegen lieber auf den Boden warfen, dem Schützen ein Mikrophon unter die Nase zu halten, bevor der überwältigt wurde und deshalb war Karl Mulders Begründung für seine Tat auch auf allen Kanälen zu hören: "Schwarzkoff hat den deutschen Patrioten Joachim Freypen umbringen lassen. Er wäre nie dafür verurteilt worden. Deshalb habe ich ihn hingerichtet."

Und morgen lesen Sie: Der Fall Freypen scheint aufgeklärt. Von politischer Verschwörung redet niemand mehr.

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