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Politik: Und jetzt lernt der Senat

Von Susanne Vieth-Entus

Endlich Ferien! Berlin und Brandenburg machen heute den Anfang. Nach ein paar lobenden oder mahnenden Worten werden die Eltern die Zeugnisse ihrer Kinder aus der Hand legen, der Urlaub hat Vorrang. Dann geht’s nach Italien oder an die Ostsee oder nur ins nächste Freibad. Alle werden versuchen, das Beste aus den sechs Wochen zu machen. Manche Mutter, mancher Vater wird erkennen, dass man auch ohne vollen Geldbeutel eine Menge mit seinen Kindern anfangen kann. Spielen, gemeinsam frühstücken, über Gott und die Welt reden, die Stadt erkunden, irgendwo zwischen Stuttgart und Schwerin Freunde besuchen. Es können schöne Ferien werden, mit etwas gutem Willen.

In vielen Schulen ist allerdings an die Ferien noch nicht zu denken. Hier rücken jetzt die Bauarbeiter an, um Kantinen zu bauen und Aufenthaltsräume für den Ganztagsbetrieb. Die Schulleiter warten noch auf hunderte Lehrerinnen und Erzieherinnen, die dringend gebraucht werden. Die Verlagerung der Horte an die Grundschulen, die vorgezogene Einschulung der Kinder mit fünfeinhalb Jahren, erfordern Organisationstalent und kosten Geld, beides knappe Güter im Berliner Schulwesen. Es wird knirschen, aber es wird gehen. Mit Anlaufschwierigkeiten – und mit gutem Willen.

Mit diesem guten Willen ist es aber so eine Sache. Er droht abhanden zu kommen. Was in der Familie noch klappen kann, trotz knappen Geldes und Hartz IV, nämlich bei Laune zu bleiben und zusammenzuhalten, ist in den Schulen nicht so einfach. Denn hier entscheidet nicht nur der Einzelne selbst, was passiert, sondern Senat, Verwaltung, Bezirk und Schulamt, alle mischen sie mit. Alle wollen Recht haben, keiner will schuld sein. Das ist ziemlich frustrierend.

Nicht wenige Schulleiter und Lehrer denken zurzeit daran aufzugeben. Sie kommen vor lauter Vergleichsarbeiten, Rankings und neuen Lehrplänen schon gar nicht mehr zum Luftholen und fragen sich, was das alles soll. Mancher von ihnen glaubt, die Welt käme wieder in Ordnung, wenn man sie in Ruhe ließe und es weniger Kontrolle gäbe. Wenn die Fünfeinhalbjährigen weiterhin brav in der Kita säßen statt in der Schule, und wenn jeder Lehrer seine Abiturarbeiten selbst entwickeln könnte, anstatt sich mit zentralen Prüfungen dem Wettbewerb zu stellen.

Diese Lust am Rollback ist zu spüren. Aber sie wird wieder vergehen. Denn am 14. Juli kommen die neuen Pisa-Ergebnisse. Dann wird sich Berlin erstmals mit den anderen Bundesländern vergleichen müssen. Schon jetzt ist absehbar, dass da kein Spitzenplatz drin sein wird. Vielleicht muss ein zweiter, ein berlinspezifischer Pisa-Schock kommen, damit die Schulen wieder wissen, wozu all der Reformstress gut ist.

Noch mehr als den Schulen täte aber ein zweiter Pisa-Schock dem Senat gut. Der glaubt noch immer, dass bessere Bildung kostenneutral zu haben sei. Er will nicht begreifen, dass Kitas mit hoher Ausländerrate mehr Erzieher brauchen, um Deutsch zu lehren. Er bestreitet, dass Hauptschulen ohne Sozialarbeiter verloren sind. Er sieht nicht, dass junge Lehrer eingestellt werden müssen, damit die Schulen neuen Mut schöpfen.

Der Schulsenator ist in Berlin das, was er von jeher war: das schwarze Schaf. Noch immer haben seine Kollegen aus dem Justiz-, Sozial-, Innen- und Wirtschaftsressort nicht verstanden, dass es sie selbst betrifft, wenn Berlins Kita- und Schulreformen misslingen. Dass die Gefängnisse voller und die Sozialkassen leerer werden, wenn zehntausende junge Leute mangels Schulabschluss keinen Platz in der Gesellschaft finden.

Jüngst haben Berlins Elternvertreter dem Senat symbolisch das Vertrauen entzogen. Das war eine wichtige Geste. Nur reicht sie nicht aus. Wollen Eltern ihren Kindern wirklich helfen, müssen sie kämpfen, Seite an Seite mit den Lehrern, die dasselbe Ziel haben wie sie: Kindern alle Chancen zu geben. Gemeinsam kann es klappen. Aber erst mal sind Ferien, die schönste Zeit des Jahres. Man sollte sie mit den Kindern zusammen genießen. Und mit viel gutem Willen.

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