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Politik: Unerwartet an die Spitze

Der Südkoreaner Ban Ki Moon wird am 1. Januar UN-Generalsekretär – der „unmöglichste Job der Welt“, sagt Vorgänger Kofi Annan

Berlin - Wirklich damit gerechnet hatte niemand. Bis zur entscheidenden Abstimmung im Sicherheitsrat Anfang Oktober ging kaum jemand davon aus, dass Ban Ki Moon UN-Generalsekretär Kofi Annan am 1. Januar 2007 an der Spitze der Weltorganisation ablösen würde. Zu blass, zu wenig spannend schien der Südkoreaner, als dass ihn sich Diplomaten sowie UN-Mitarbeiter gleichermaßen als Nachfolger des charismatischen Ghanaers vorstellen konnten – und wollten. Noch im September erinnerten deshalb viele in New York an die erste Wahl Annans vor zehn Jahren, als dieser von den USA erst im Dezember offiziell ins Rennen geschickt und ganz kurz vor der Amtsübergabe vom Sicherheitsrat der Generalversammlung als Nachfolger des Ägypters Boutros Boutros-Ghali vorgeschlagen worden war.

Dabei lag Ban, der nun die Vereinten Nationen für die kommenden fünf Jahre führen wird, – rückblickend betrachtet – von Beginn an vorn. Außerdem war klar: Nachdem zuletzt der Burmese Sithu U Thant vor 35 Jahren seine Amtszeit beendet hatte, würde nach der ungeschriebenen Rotationsregel wieder ein Asiate UN-Chef werden. Und Südkoreas Außenminister Ban hatte ab Juli jede Probeabstimmung im Sicherheitsrat vor den übrigen asiatischen Bewerbern gewonnen.

Dass Ban, der seine Bewerbungstour im Februar gestartet hatte, dabei nicht durch visionäres Auftreten von sich Reden machte, enttäuschte zwar Diplomaten, nicht aber die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates Großbritannien, Russland, Frankreich, China und die USA; diese wünschen sich eher einen Sekretär und Manager als einen General, der mit eigener politischer Agenda wirbt. Zudem dürfte sich der 62-Jährige durch seine Vermittlung bei den Sechs-Nationen-Gesprächen über Nordkoreas Atomprogramm Vertrauen sowohl in Washington als auch in Peking erarbeitet haben – was als Minister einer amerikakritischen Regierung in Seoul erst recht nicht selbstverständlich ist.

Dass Ban also ein klassischer Konsenskandidat ist, heißt nicht, dass von ihm keine politischen Entscheidungen zu erwarten sind. In jedem Fall aber ist er ein ausgesprochener Diplomat, der die Vereinten Nationen bereits aus nächster Nähe kennt; unter anderem war er in New York Kabinettschef des südkoreanischen Präsidenten der 56. UN-Generalversammlung. Dass Südkoreas Presse ihm einst das Attribut „schlüpfrig wie ein Aal“ verpasste, weil er auf kritische Fragen nie konkret geantwortet hat, erzählt er gerne, ebenso wie die Anekdote, er habe nach einer Beförderung im Außenministerium einmal an 120 Kollegen Entschuldigungsbriefe geschrieben – weil er ihnen vorgezogen worden war.

Weniger gut zum Image des sanften und immer loyalen Beamten passt eine andere Begebenheit, die aber zeigt, dass Ban knallhart kalkulieren kann. Nach der Entführung und Enthauptung einer südkoreanischen Geisel im Irak war 2004 das Außenministerium heftig wegen anfänglicher Untätigkeit kritisiert worden, zu Recht, wie eine offizielle Untersuchung ergab. Ban dachte als damaliger Herr des Hauses aber nicht daran, den Rücktrittsforderungen nachzugeben. Im Gegenteil: Er entschuldigte sich, kritisierte das Verhalten der eigenen Beamten aufs Schärfste – und blieb. Überhaupt hat er sich lange in seinem Amt gehalten, mit über zweieinhalb Jahren liegt er über dem durchschnittlichen Regierungsverbleib eines südkoreanischen Ministers, und wird, in Seoul ebenfalls nicht alltäglich, mit keinem Skandal in Verbindung gebracht. Zudem hat er sein Ministerium gegen heftigen internen Widerstand reformiert – eine Erfahrung, die für die neue Aufgabe bei den UN hilfreich sein dürfte.

Inzwischen legt Ban allerdings selbst Wert darauf, das Image des allzu konturlosen Diplomaten zu korrigieren. Nach seiner Wahl am 13. Oktober sagte er vor der UN-Generalversammlung: „Bei Bescheidenheit geht es um Benimm, nicht um Visionen oder Ziele. Sie bedeutet aber keineswegs einen Mangel an Engagement oder Führungskraft.“

Wofür er sich aber konkret engagieren, wo seine Führungskraft zeigen will, da gibt er sich zugeknöpft. Ban nennt auf Nachfrage drei entscheidende, aber allgemeine Punkte: Das UN-Sekretariat zu reformieren sei eine seiner Hauptaufgaben, ebenso wie die Kapazitäten der Organisation zu stärken, um die UN-Mandate zu erfüllen, sowie das Vertrauen der wichtigsten Mitglieder, der „key players“ untereinander wiederherzustellen. Sein erster konkreter Beschluss dürfte in den kommenden Tagen aber zur Besetzung weiterer Schlüsselposten wie dem des Stellvertreters des UN-Generalsekretärs fallen. Dieses Amt hat Kofi Annan geschaffen, zuletzt hatte es der Brite Mark Malloch Brown innegehabt.

Ban ließ bereits durchblicken, dass er diesen Posten gerne mit einer Frau besetzen würde, die ihn dann in New York vertritt, wenn er auf Reisen ist. Viele Namen werden gehandelt, unter anderem Rima Khalaf, frühere Vize-Regierungschefin von Jordanien, sowie die Tansanierin und derzeitige UN-Habitat-Direktorin Anna Tibaijuka. Allerdings sind Ban und seine engsten Mitarbeiter bisher so außerordentlich diskret vorgegangen, dass niemand einen verlässlichen Tipp abgeben will. Selbst aus sonst sehr gut informierten Quellen sei nichts zu hören, sagt ein New Yorker Diplomat. Gleiches gilt für die Frage, wer die immens wichtige und ständig wachsende Abteilung für Friedenssicherung leiten wird. Seit 2000 steht ihr der Franzose Jean-Marie Guehenno vor, von knapp 70 000 Soldaten in UN-Mission stellt Frankreich im Moment 1900. Im Herbst aber haben die Amerikaner verschärftes Interesse angemeldet, die sich aber kaum an UN-Friedenstruppen beteiligen. Auch die Lösung dieses Disputs hat Ban bisher geheim gehalten. Sicher ist aber, dass dem neuen Generalsekretär keine Schonfrist gewährt wird; die geplante Entsendung der neuen, bisher größten UN-Friedensmission überhaupt nach Darfur steht an, die Atomkonflikte mit Teheran und Pjöngjang sind alles andere als gelöst, ebenso wenig wie der Irakkonflikt – und das sind nur die drängendsten Fragen. Ban hat bereits angekündigt, dass seine erste größere Reise ihn im Januar zum Gipfel der Afrikanischen Union führen könnte.

Während also einige Beobachter bei Ban mangelnde politische Visionen bemängeln, warnen andere angesichts der Vielzahl von Krisen, der neue UN-Chef solle sich nicht zu viel vornehmen und sich vor allem auf die Reform seiner Organisation konzentrieren.

Allein schon diese Aufgabe dürfte viel Kraft kosten – und mit darüber entscheiden, wie viel Macht Ban als UN-Chef haben wird. Ebenso wie die Beziehung, die er zu den Mitgliedsstaaten aufbauen kann – nicht zuletzt zu den USA, dem größten Beitragszahler und schärfsten Kritiker der Weltorganisation. Verhaltensregeln gibt es keine, den Weg muss er selbst finden. Zudem sind seine vermittelnden Fähigkeiten gefragt; zwar autorisiert der Sicherheitsrat die UN-Friedenseinsätze, doch der Generalsekretär weist das Gremium auf Krisen hin und spielt eine wichtige Rolle bei der Vermittlung.

Allerdings ist Ban ebenso auf die Kooperation seiner Mitarbeiter bei den anstehenden Reformen angewiesen. Die Aufgaben also sind immens, die reale Macht eher gering. Kofi Annan hat dazu einmal gesagt: Es sei der „unmöglichste Job der Welt“, aber auch „der beste“.

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