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Politik: Unfair, einfach unfair

Keiner geht Politikern so auf die Nerven wie der Wähler. (Journalisten, na gut, aber das ist was anderes.

Keiner geht Politikern so auf die Nerven wie der Wähler. (Journalisten, na gut, aber das ist was anderes.) Denn der Wähler beschränkt sich keineswegs mehr auf seine traditionelle Rolle des Kreuzchenmachens und Hinterherabtauchens. Sondern er wählt – und gibt hinterher den Demoskopen laufend Auskunft über seine in der Regel schlechte Befindlichkeit. Heimtückisch: Erst wählt der Wähler eine Koalition wie die gegenwärtig amtierende mit Glanz und Gloria ins Amt, dann schaut er sich deren Arbeit eine Weile an und macht sich wutschäumend vom Hof: CDU/CSU 30 Prozent, SPD 29, Tendenz fallend.

Ja, kann denn sich keiner vorstellen, wie der Politiker unter diesem schleichenden Misstrauensvotum leidet? Schauen wir uns Franz Müntefering an, einen der Spitzenleider unserer Republik. Kaum war die Sommerpause zu Ende, setzte er zu einer wuchtigen Zitate- und Interview-Offensive an, die jetzt in einer bemerkenswerten Äußerung gipfelte: Immer werde die Koalition an dem gemessen, was die beiden Parteien im Wahlkampf versprochen hätten. Und das sei unfair, denn nun sei da die Koalition, und die müsse Kompromisse machen.

Es ist ganz gut, dass diese Mahnung in den Berliner Wahlkampf fällt, in dem uns ja auch viel versprochen wird. Hinterher wird es Kompromisse geben, so wie bei der Mehrwertsteuer: Die SPD wollte sie nicht erhöhen, die CDU um zwei Prozentpunkte – dass man sich bei drei Punkten zusammenraufte, war also einfach Koalitionsarithmetik. Übertragen auf die Absicht Klaus Wowereits, die Kita-Beiträge abzuschaffen, heißt das also, dass sie koalitionsbedingt nach der Wahl garantiert um mindestens zehn Prozent steigen werden.

Ein wenig seltsam ist allerdings, dass die Parteien eher wenig ankündigen, gemessen an den Möglichkeiten, die ihnen die Müntefering-Klausel gibt. So könnten sie beispielsweise versprechen, in den Sozialämtern Champagner auszuschenken, alle Straßen zehnspurig auszubauen und jedes nach dem Wahltag geborene Kind mit eitel Gold und Thymianhonig aufzuwiegen. Hinterher ist dann Kassensturz, der Koalitionspartner macht nicht mit, Pech. War so ein schönes Programm!

Dieser Taktik droht eigentlich nur ein Problem: Der Wähler könnte das mit dem Champagner, dem Gold und dem Honig so faszinierend finden, dass er die betreffende Partei mit absoluter Mehrheit zum Regieren ruft. Vermutlich würde Müntefering dann argumentieren, er habe leider eine Koalition mit der Realität eingehen müssen. Und anschließend die Mehrwertsteuer erhöhen.

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