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Politik: Ungarn nach dem EU-Beitritt: Lage besser als die Stimmung

Mehr als acht Monate sind sie jetzt dabei. Mit einem großen Fest hatten auch die Ungarn an den Ufern der Donau am 1.

Mehr als acht Monate sind sie jetzt dabei. Mit einem großen Fest hatten auch die Ungarn an den Ufern der Donau am 1. Mai die Heimkehr nach Europa gefeiert. Doch wie viel EU ist angekommen in dem Land, das durch seine Grenzöffnung maßgeblich zum Fall der Mauer beigetragen hat? Was bedeutet die EU für die Menschen? Laszlone Tarjanyi überlegt nur kurz und sagt: „Für uns vor allem neue Regelungen und Bestimmungen hier im Krankenhaus.“ Und dann beeilt sie sich zu versichern: „Natürlich bin ich stolz, dass mein Land jetzt in der EU ist.“

Die 45-jährige Mutter zweier Kinder ist Leiterin einer Pflegeabteilung im Universitätskrankenhaus in Pecs im Süden des Landes. Seit 1978 arbeitet sie hier, zunächst wie alle in drei Schichten. Dann kam das Ende des Kommunismus. „Ich habe von der Wende profitiert, konnte Karriere machen.“ Und jetzt mit der EU? Was ist mit den neuen Freiheiten, zum Beispiel dem Reisen, das jetzt viel einfacher geworden ist? Sie krempelt die Taschen ihres Kittels nach außen: „Wovon?“ Als studierte Diplomkrankenschwester verdient sie umgerechnet 405 Euro brutto monatlich. Die Kollegen, die nicht studiert haben, verdienen 320 Euro. „Aber wenn man keinen Partner hat, der auch verdient, reicht es nicht zum Leben. Viele meiner Kolleginnen haben noch einen zweiten Job“, sagt Tarjanyi.

Ungarn gilt traditionell als europabegeistert, und neben Litauen ist es das einzige EU-Mitgliedsland, dessen Parlament die neue europäische Verfassung bereits ratifiziert hat. 15 Jahre nach der Wende sehnt sich niemand nach dem Kommunismus zurück – doch macht der Alltag vielen Menschen zu schaffen. Es gibt eine große Unterschicht, eine schwach ausgeprägte Mittelschicht und eine wachsende Gruppe Neureicher. Die Gesellschaft ist polarisiert – ebenso die Politik. Unversöhnlich stehen sich die rechtskonservative Oppositionspartei Fidesz unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orban und die Regierungskoalition aus Sozialisten (MSZP) und Liberalen (SZDSZ) gegenüber. Nach der Regierungskrise im vergangenen Herbst hatten sie sich im September auf Ferenc Gyurcsany (MSZP) als neuen Regierungschef geeinigt. Der ehemalige Sportminister und erfolgreiche, charismatische Geschäftsmann (43), dem aber undurchsichtige Deals nachgesagt werden, gilt als neuer Heilsbringer der Sozialisten.

Er kann froh sein, dass erst im Jahr 2006 wieder gewählt wird, denn mit der Arbeit der Sozialisten sind weite Teile der Bevölkerung unzufrieden, die Europawahl im Juni ging haushoch verloren. Zwar sind die Einkommen gestiegen, aber auch die Lebenshaltungskosten gleichen sich immer mehr westeuropäischen Standards an. „Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass es ihnen besser geht“, sagt Harriett Ferenczi, seit vielen Jahren ARD-Korrespondentin in Budapest. „Dazu kommt der traditionelle Pessimismus, der einfach zum ungarischen Charakter gehört.“

Betrachtet man aber die ökonomischen Fakten, dürfte die Stimmung so düster nicht sein. Die Wirtschaft ist mit der EU bereits handelspolitisch stark verflochten. So gingen 74 Prozent des Exports im Jahr 2003 in die EU der 15, und 55 Prozent der Einfuhren kamen von dort. Für die großen internationalen Konzerne ist der Standort wegen niedriger Löhne und relativ zahmer Gewerkschaften sehr attraktiv. So sind denn auch alle deutschen Konzerne vertreten. „Audi zum Beispiel, mit der Telekom der größte deutsche Investor, sichert durch die billigere Produktion hier Jobs in Deutschland“, sagt Tamas Vahl, Chef des deutschen Softwareherstellers SAP in Ungarn. Und die Ungarn dürfen hoffen. Bis 2006 sollen sie rund 3,1 Milliarden Euro aus den europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds bekommen.

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