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Ungarn: Viktor Orbán: Der Elefant tanzt

Hermann Rudolph beobachtet Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der in Berlin versucht, seine Politik zu erklären.

Er sei „der Elefant, der zeigen muss, dass er tanzen kann“, sagt Viktor Orbán mit einem Anflug von Ironie. Sie fällt ihm nicht schwer: Es gibt für einen Politiker Schlimmeres als die Zwei-Drittel-Mehrheit, die der ungarische Ministerpräsident bei den Parlamentswahlen vor drei Monaten errungen hat. Allerdings lädt ihm dieser politische Bergsturz – zusammen mit der problematischen Rolle, die er in seinen Oppositionsjahren spielte, und seinen ersten politischen Schritten – auch eine gewaltige Hypothek von Mutmaßungen und Fragen auf. Weshalb die Veranstaltungsräume der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die zusammen mit der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa den meistumstrittenen europäischen Politiker nach Berlin gebracht hat, an diesem heißen Mittwoch bis zum letzten Platz gefüllt waren.

Und Orbán tanzt. In seiner brillanten Suada macht er sich daran, die Vorbehalte gegen ihn in staatsbewusstes Wohlgefallen aufzulösen. Die sogleich etablierte Staatsangehörigkeit für Ungarn jenseits der Grenzen des Landes und der neue nationale Erinnerungstag an den Vertrag von Trianon, der Ungarn 1919 zwei Drittel seines Territoriums kostete, beides einen leichten Geruch von Revisionismus verströmend? Nur ein Fall von Doppelstaatsanghörigkeit und Folge heißer Heimatliebe. Die rechtsradikale Jobbik-Partei, die mit zwölf Prozent ins Parlament kam? Er wird sie „gnadenlos“ bekämpfen. Und schwenkt Ungarn damit nicht nur in den Rechtsextremismus-Mainstream ein? Die staatlichen Medien sollen durch ein auf neun Jahre von seiner Partei besetztes Gremium nicht gegängelt, sondern mit „Verantwortung“ geführt werden.

Selbstbewusst nimmt Orbán den gewaltigen Wahlsieg in Anspruch, um das Ende einer Epoche, einer „Zeit des Übergangs“ zu proklamieren. Die Epoche des „Postkommunismus“ sei damit beendet und das Land trete in ein „neues Zeitalter“ ein. Unter deprimierenden Auspizien, wie Orbán nicht verschweigt: Die „lustigste Baracke“ im Kommunismus, die Ungarn war – wie es im Ostblock hieß –, sei der „traurigste Supermarkt“ geworden. Das einstige Vorreiterland in Osteuropa habe seine Wettbewerbsfähigkeit verloren, rangiere irgendwo am Schluss des Geleitzugs und brauche dringend strukturelle Reformen.

Die will Viktor Orbán mit seiner Mehrheit in Angriff nehmen, mit brachialen Mitteln: massive Einschnitte in das politische und administrative Personal, eine Steuerreform auf Flatrate-Basis, Senkung der Politikerbezüge. Erste Erfolge dieser Rosskur erwartet er in ein, zwei Jahren. Das alles, die Notwendigkeit tiefgreifender Veränderung und radikaler Eingriffe, so Orbán, summiere sich in seiner Rede fraglos zu einer Krise – und stelle zugleich auch die Medizin dagegen dar.

Der Auftritt zeigt vor allem ein rhetorisches Kraftpaket – einen Politiker, der alle Register der politischen Rede beherrscht und die Lust verspürt, sie zu benutzen. Orbán verfügt auch über Ironie und den lockeren Ton, aber es überwiegt doch eine Überzeugtheit von sich selbst, die nahe am Hochmut gebaut hat. Er wagt sich vor in die neuralgischen Zonen des, wie er formuliert, „Seelenzustandes“ seines Landes, ohne sich zu Äußerungen hinreißen zu lassen, die die Vorbehalte gegen ihn bestätigen könnten. Aber so ganz wohl ist einem nicht bei einem Anspruch, der das gewaltige Umschlagen des ungarischen Wählerwillens ummünzt in die Behauptung, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit das „nationale politische Zentrum“ darstelle, die das Land brauche. Und sich die Bestätigung dafür bei dem Präsidialregiment de Gaulles sucht.

Orbán hinterlässt auch den Eindruck, dass er im nächsten Jahr, wenn das in einem schwierigen Konsolidierungskurs befindliche Ungarn die EU-Präsidentschaft übernimmt, eine fordernde Rolle spielen wird. Denn Mitteleuropa, so seine Überzeugung, ist wichtiger als viele meinen. Und die Region zwischen den baltischen Staaten und der Adria werde nicht mehr die Pufferzone zwischen Ost und West abgeben, die sie lange war.

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