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Politik: Union der Kleinkarierten Von Robert Birnbaum

Wer die Welt der Politik verstehen will, hat zwei Möglichkeiten. Er kann sich, bildlich gesprochen, ein Mikroskop nehmen und ganz genau hindurchstarren.

Wer die Welt der Politik verstehen will, hat zwei Möglichkeiten. Er kann sich, bildlich gesprochen, ein Mikroskop nehmen und ganz genau hindurchstarren. Dann erscheinen alle Einzelheiten im Biotop unter der Reichstagskuppel detailscharf und riesengroß. Das ist der Blick, den die Politik in der Regel auf sich selbst wirft und ihre professionellen Beobachter auch. Doch manchmal ist es besser, die Optik ein bisschen unscharf zu stellen. Sie zeigt dann nur noch grobe Umrisse und Schatten. Darin aber zeichnen sich umso klarer Strukturen ab.

Ignorieren wir also einmal die rechnerischen, taktischen und sprachlichen Feinheiten, mit denen CDU und CSU derzeit um die Renovierung des deutschen Gesundheitssystems fechten, und versuchen wir einen groben Überblick. Er zeigt zwei Parteien, die unentwirrbar ineinander verbissen sind. Er zeigt Politiker, die nur noch fixiert sind auf den Feind im eigenen Lager. Kurz, er zeigt einen Machtkampf.

Dabei geht es einem populären Glauben zum Trotz nicht um die KFrage. Edmund Stoiber mag gelegentlich mit dem Gedanken spielen lassen, idealerweise könnte er noch einmal die Union in den Wahlkampf führen. Aber das ist taktisches Geplänkel. Der CSU-Chef weiß, dass die CDU ihn nur in einer derart tiefen Krise riefe, dass die Kandidatur für ihn wertlos wäre. Also kein Machtkampf? Doch. Nicht, weil er Kandidat werden will, sondern gerade weil er es nicht mehr werden kann, leistet Stoiber so massiven Widerstand gegen Angela Merkels Kopfpauschale. Es geht nicht um die Macht eines Amtes. Es geht darum, vor einem denkbaren Wahlsieg Grenzen aufzuzeigen, die sich hinterher nur noch schwer ziehen lassen. Es geht um die Macht, Einfluss auf die Definition dessen zu behalten, was die Union ist.

Dahinter steht die alte Angst der CSU, von der großen Schwester erdrückt zu werden. Die Sorge schlägt oft in überlauten Führungsanspruch um. Merkel hat – in dem legitimen Bestreben, sich selbst ein scharfes Profil zu geben – diese Sorge geschürt. Sie hat der CDU nicht nur ihr Programm gegeben, sie hat es auch für alle sichtbar gegen die CSU getan. Nicht der Inhalt ist das Hauptproblem, sondern dieses Verfahren. Deshalb sind alle Versuche, den Bayern die Überlegenheit der Kopfpauschale rechnerisch zu beweisen, ebenso sinnlos wie die Behauptung der CSU vorgeschoben, mit dem CDU-Modell sei per se kein Wähler zu gewinnen. Die Bayern wollen einfach nicht mit einem Programm in den Wahlkampf ziehen, das nur Merkels Handschrift trägt. Man wird sie dazu nicht zwingen.

Damit sind wir beim zweiten populären Glauben: Es gehe um einen Ost- West-Konflikt, eine Abstoßungsreaktion der altbundesrepublikanischen Union gegen die neudeutsche Vorsitzende. Daran sind zwei Dinge richtig – aber auch nur die. Erstens hält sich – wenig überraschend – die Begeisterung in den engen Grenzen des Korpsgeistes, mit der die anderen CDU-Hoffnungsträger einer Kanzlerin Merkel entgegenfiebern. Zweitens nimmt das durch DDR- und Wendezeit gebrannte Kind Merkel den Ruf nach Reform so unbekümmert wörtlich, dass sie das gerade in Bayern so bewährte Doppelspiel von Sonntagsrede und demoskopietauglichem Alltagshandeln bedroht.

Das also ist, grob und unscharf, die Struktur des Konflikts. Ist es so schwer zu erkennen, dass in ihr zugleich seine Lösung steckt? In einer, sagen wir, gewissen gegenseitigen Großzügigkeit, die das Verfahren zu einer Einigung prägen müsste? Es scheint schwer. Die Kämpfer haben das Mikroskop haarscharf gestellt und fechten Barrikadensiege in der Petrischale aus. Sie merken nicht, dass die Leute da draußen Politik unscharf wahrnehmen, auf dieses grobe Bild aber einen sehr scharfen Blick werfen. Hat sich ein Bild erst einmal eingeprägt, hält es sehr lange vor. Wahlen kann man, Gerhard Schröder hat das vorgemacht, in wenigen Wochen gewinnen. Verlieren kann man sie schon lange vorher.

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