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Politik: Union will Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin

Standort im Wahlprogramm festgelegt / Kritik aus der SPD / Tschechischer Premier unterstreicht Willen zur Versöhnung

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Berlin/Wien/Prag - Die Union hat es gut versteckt. Ein knapper Absatz, mehr nicht, doch der ist von enormer außenpolitischer Brisanz. Auf Seite 37 ihres Wahlprogramms kündigen CDU und CSU an, nach einem möglichen Regierungswechsel das umstrittene Zentrum gegen Vertreibungen realisieren zu wollen – trotz aller Vorbehalte und Proteste besonders aus den Nachbarländern Tschechien und Polen.

Die entscheidende Passage in den Programmpunkten der Union lautet: „Die deutschen Heimatvertriebenen und die deutschen Volksgruppen in Europa haben auch nach der Osterweiterung eine wichtige Brückenfunktion bei der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn. Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten.“

Der Streit um das Zentrum hatte bereits 2003 eine Krise zwischen Polen und Deutschland ausgelöst, und auch Tschechien protestierte heftig. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) versagte dem Projekt bereits seine Unterstützung, und aus seiner Partei kommt auch jetzt heftige Kritik. Der Außenpolitiker Markus Meckel sagte dem Tagesspiegel: „Wenn das Realität wird, gehen wir im Verhältnis zu Polen schwierigen Zeiten entgegen.“ Nach Ansicht von Meckel, der auch Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe ist, wird das von Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach (CDU) initiierte Zentrum gegen Vertreibungen die ehemaligen Kriegsgegner nicht versöhnen können, weil es nicht unter Beteiligung der Nachbarn erarbeitet werde. Meckel forderte Kanzlerkandidatin Merkel zudem auf, sich von Restitutionsansprüchen und Entschädigungsforderungen gegen Polen klar zu distanzieren. „Dieser Schritt ist schon lange überfällig“, sagte der SPD-Politiker.

Scharfer Widerspruch kommt erneut aus Polen. Der Generalsekretär der sozialdemokratischen Regierungspartei SLD, Grzegorz Napieralski, sagte „Spiegel Online“, Politik müsse immer alles dafür tun, Vertrauen und Freundschaft aufzubauen. „Ein Zentrum gegen Vertreibungen passt da nicht rein.“ Und der Abgeordnete der konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ sieht die Gefahr des Geschichtsrevisionismus, die von der Darstellung deutschen Kriegsleids ausgehe. Daher werde das Zentrum „die Situation zwischen beiden Ländern eher belasten als verbessern.“

Unterdessen machte der sozialdemokratische tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek deutlich, dass er es mit seiner angekündigten „Geste des Versöhnens für ehemalige deutsche antifaschistische Mitbürger“ ernst meint. Am heutigen Donnerstag wird er zu seinem ersten offiziellen Arbeitsbesuch in Österreich erwartet. In Wien will er in Gesprächen mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Bundespräsident Heinz Fischer Details bekannt geben. „Das sind Sachen, die den Bundeskanzler sicher interessieren werden“, sagte Paroubek der tschechischen Nachrichtenagentur CTK. Am Montag hatte Paroubek in Interviews bestätigt, dass er sich eines „bestimmten Anteils Tschechiens an der historischen Verantwortung an der Massenvertreibung“ bewusst sei.

Für Tschechien, das gegenüber den sudetendeutschen Landsmannschaften immer einen harten Kurs gefahren war und sich bislang nicht einmal bereit erklärt hatte, die Benes-Dekrete neu zu bewerten, könnte Paroubeks Vorstoß ein historischer Schritt sein. Dementsprechend umstritten ist Paroubeks Linie in seiner Heimat. Der konservative Staatschef Vaclav Klaus sprach sich am Mittwoch in einem Interview gegen jede Versöhnungsgeste gegenüber sudetendeutschen Antifaschisten aus. Paroubeks Vorschlag wäre seiner Meinung nach „außerordentlich unglücklich und außerordentlich gefährlich“. Laut Klaus würde sich dadurch „die Büchse der Pandora öffnen“. Er fürchtet nicht nur Schadenersatzklagen, sondern vor allem auch Eigentumsrückgaben an die Vertriebenen.

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