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Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat "Meinungskampf" in jungen Jahren noch ganz wörtlich erlebt.

© Thilo Rückeis

Unionsfraktionschef Volker Kauder: "Wir könnten auch Hilfen verweigern"

Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach mit dem Tagesspiegel über die Grenzen der Solidarität in Europa, den Kurs der Europäischen Zentralbank und die Zukunft der Rente.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Die Europäische Zentralbank will unbegrenzt Staatsanleihen europäischer Krisenländer aufkaufen. Machen Sie sich keine Sorgen um die Stabilität des Geldes?

Der Stabilität unseres Geldes dienen alle unsere Maßnahmen. Die EZB kauft aber nur von solchen Ländern Anleihen, die einen Antrag zur Aufnahme in einen Rettungsschirm gestellt haben. Über diese Anträge muss jeweils der Bundestag entscheiden. Und damit entscheiden wir letztlich auch, ob die EZB Anleihen von Ländern aufkauft oder nicht.

Anleihen kaufen, um die Zinsen zu senken, will die EZB auch, wenn ein Land zwar Hilfe beim Rettungsschirm ESM beantragt, aber Sparauflagen ablehnt. Droht Entkopplung von Solidarität und Gegenleistung?

Die Zentralbank bindet sich beim Anleiheankauf an den ESM und geht damit an die Grenzen ihrer Unabhängigkeit. In Deutschland hat das letzte Wort der Bundestag. Wir könnten also stets Gegenleistungen verlangen, wenn ein Land Hilfen beantragt. Würde dies ein Land partout nicht wollen, könnten wir die Hilfen verweigern. Aber ich denke, in Europa ist inzwischen jedem klar: Hilfen gibt es nur bei Gegenleistungen.

Bundesbankpräsident Weidmann hat sich gegen die Anleihenkäufe der EZB gestemmt und wurde im Rat überstimmt. Ist Deutschland nun isoliert?

Ich bin sehr froh, dass wir einen Mann wie Jens Weidmann haben, der so klar seine Position vertritt. Seine Haltung hat dazu geführt, dass die EZB ihre Anleihenkäufe an die Hilfen aus den Rettungsschirmen koppelt. Die EZB druckt also nicht einfach Geld.

Muss Deutschland, das mit 27 Prozent für das Kapital der EZB haftet, mehr Stimmgewicht in den Gremien bekommen?

Ich habe viel Verständnis dafür, dass Bürger nicht verstehen, dass wir nur eine Stimme im Rat der EZB haben, aber für einen großen Teil der Lasten geradestehen. Ich wünschte auch, es wäre anders. Aber ich sehe nicht, dass eine Änderung der Statuten der EZB ohne Zugeständnisse der Deutschen an anderer Stelle ablaufen würde, die für uns dann noch schwerer zu tragen wären. Viele Staaten würden die EZB den Regierungen schlicht unterstellen wollen. Deshalb rate ich: Hände weg vom EZB-Statut.

Die EZB soll künftig auch Europas Banken kontrollieren. Ist das noch mit Ihrem Verständnis von Unabhängigkeit vereinbar?

Die Kontrolle der Banken muss von den Kernaufgaben der EZB – der Sicherung der Geldwertstabilität – strikt getrennt werden. Diese neue Abteilung – aber nur die – ist dann unter politische Kontrolle zu stellen wie in Deutschland unsere Bankenaufsicht. Diese Kontrolle müsste die Europäische Kommission übernehmen, wenn alle EU-Mitglieder sich diesem System unterwerfen. Sonst muss im Euro- Raum eine Lösung gefunden werden.

Soll diese Europabehörde dann alle, auch Sparkassen kontrollieren?

Nein. Sparkassen und Volksbanken sind klassische Mittelstandsfinanzierer und waren nicht in diese unglaublichen Finanzmarktexzesse verstrickt. Sie müssen weiter unter der Beobachtung der nationalen Bankenaufsicht bleiben. Man kann nicht alles europäisch zentralisieren. Das gilt erst recht für den Einlagensicherungsfonds, den unsere Sparkassen und Volksbanken zum Schutz der Sparer geschaffen haben. Wir machen es auf keinen Fall mit, dass dieser Fonds in Zukunft für andere europäische Banken mit haften soll.

Rente: "Konsens mit der Opposition erstrebenswert".

Das Verfassungsgericht hat in dieser Woche dem Euro-Rettungsschirm ESM unter der Bedingung zugestimmt, dass der Bundestag vom deutschen Vertreter im ESM über alle relevanten Entscheidungen informiert wird, trotz Verschwiegenheitspflicht. Wie soll das denn eigentlich funktionieren?

Wenn Vorgänge aus nachvollziehbaren Gründen nicht öffentlich gemacht werden können, kann ein geheim tagendes Parlamentsgremium informiert werden. Wir sind uns aber im Klaren, dass alle wesentlichen Entscheidungen immer das Plenum treffen müssen. Das will auch das Gericht so.

Wenn Deutschland getreu dem Urteil seine Vorbehalte formuliert – sollte darüber der Bundestag abstimmen?

Ich denke, das Parlament sollte vorher beteiligt werden. Wir sind zwar davon ausgegangen, dass der Haftungsrahmen im ESM-Vertrag fest umschrieben worden ist. Wenn das Gericht nun aber eine Klarstellung verlangt, muss sich auch der Bundestag als Herr über den Bundeshaushalt einschalten. Die Mehrheiten, die im Sommer den ESM beschlossen haben, würden diese Klarstellung mittragen.

Neben dem Euro treibt die Koalition die Rente um. Sie haben versprochen, das Problem der Altersarmut in der Rente umfassend zu lösen. Schaffen Sie das überhaupt noch in einem knappen Jahr bis zur Wahl?

Also erst einmal vorweg: Das Problem, das jetzt diskutiert wird, betrifft nicht die jetzige Rentnergeneration. Das ist mir wichtig festzuhalten, weil ich viele besorgte Briefe von Rentnern bekommen habe, die durch die Diskussion irritiert sind. Wir reden ausschließlich darüber, wie wir Altersarmut in der Zukunft verhindern. Das steht auch als Auftrag im Koalitionsvertrag. Ich traue uns in absehbarer Zeit eine Lösung zu.

„In absehbarer Zeit“ heißt: Das verabschiedet noch diese Regierung?

Ja – noch in dieser Legislaturperiode.

Wie wichtig ist Ihnen dabei ein Konsens mit der Opposition?

Wir müssen die Schritte in der richtigen Reihenfolge gehen. Zuerst müssen wir uns in der Union verständigen, dann mit unserem Koalitionspartner. Danach sollten wir gemeinsam auf die Opposition zugehen. Ein Konsens ist erstrebenswert. Die Entscheidungen, die wir bei der Rente zu treffen haben, reichen ja weit über eine Legislaturperiode hinaus.

Wie groß ist denn eigentlich das Problem? Droht Massenansturm aufs Sozialamt?

Die Ministerin hat Zahlen vorgelegt. Die Sozialversicherungen haben gesagt, dass sie diese Zahlen so nicht teilen. Natürlich ist es schwer, für das Jahr 2030 und darüber hinaus Vorhersagen zu treffen. Aber unser Grundsatz muss lauten, dass jeder, der mehr als vier Jahrzehnte in die Rentenversicherung eingezahlt hat, möglichst eine Leistung oberhalb der Grundsicherung haben sollte.

"Die Zuschussrente löst neue Gerechtigkeitsfragen aus"

Das will die Ministerin ja auch. Warum folgen Sie ihr nicht einfach?

Was wir alle im Ergebnis wollen, kann nicht erreicht werden durch Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung. Das ist der jungen Generation nicht zuzumuten. Wir sollten auch nicht den Grundsatz aufgeben, dass die Höhe der Einzahlungen über die Höhe der Rente entscheidet. Wir können deshalb nicht einfach niedrige Renten um 200 oder 300 Euro aufstocken, weil uns sonst diejenigen, die sich dieses Rentenniveau selbst erarbeitet haben, zu Recht die Frage stellen, warum sie nicht auch einen Zuschuss bekommen. Eine Zuschussrente löst also neue Gerechtigkeitsfragen aus. Das müssen wir beachten.

Wenn Sie die Beitragszahler nicht belasten wollen, bleibt nur der Steuerzahler?

Eine steuerfinanzierte Lösung wäre natürlich möglich. Damit wir uns nicht missverstehen: Das ist jetzt kein Vorschlag von Volker Kauder. Überhaupt muss in dieser Koalition endlich die Unsitte aufhören, dass wir uns gegenseitig über die Zeitung mitteilen, was wir vorhaben. Das schafft kein Vertrauen. Deshalb breche ich an dieser Stelle mein öffentliches Nachdenken auch erst einmal ab.

Na, da sind Sie aber ein seltenes Exemplar. Über Horst Seehofer zum Beispiel ist gerade in Jerusalem die Erleuchtung gekommen. Er erklärt auf einmal: Fachliche Ergänzungen beim Betreuungsgeld, etwa eine Verknüpfung mit Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, die seien möglich.

Den Vorschlag, Vorsorgeuntersuchungen in einem besonderen Gesetz zu regeln, teile ich. Das deckt sich mit meinen Überlegungen.

Das wird die Kritiker des Betreuungsgelds besänftigen?

Dieser Punkt ist vielen wichtig. Es gibt eine ganze Reihe von anderen Vorschlägen. Wir werden darüber noch reden. Am Schluss kommt die Zustimmung zum Betreuungsgeld.

Und bis dahin ist auch die Angleichung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder in der Rente geklärt, die Sie den Kritikern zugesagt haben?

Also, das habe ich nicht einfach irgendwem zugesagt – das hat ein CDU-Parteitag zwei Mal beschlossen. Ich habe gesagt, dass ich mich als Fraktionsvorsitzender verpflichtet fühle, das umzusetzen. Unser Rentenkonzept muss auch eine Antwort auf diese Frage geben.

Dann wäre es gut, wenn bis zum nächsten Parteitag im Dezember in beiden Fragen Vollzug gemeldet werden kann?

Wenn das gelänge, wäre das schön.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Robert Birnbaum. Das Foto machte Thilo Rückeis.

EINIGKEIT ist das letzte Ziel eines Fraktionsvorsitzenden; und wenn sie schon nicht bei jedem seiner Abgeordneten bei jeder Abstimmung von Herzen kommt, dann wenigstens vom Kopf. RECHT ist es Volker Kauder aber schon auch, wenn ein bisschen die Fetzen fliegen. Dann ruckt er die Ärmel hoch, fixiert sein Gegenüber und stiefelt los ins Wortgefecht. Da blitzt ein Stück Lebensgeschichte durch. Wer in den wilden 68ern in die Junge Union eingetreten ist, hat „Meinungskampf“ noch ganz wörtlich erlebt. FREIHEIT hätte er vielleicht manchmal gern etwas mehr. Aber das Geschäft des Fraktionschefs ist ein gebundenes: Loyal zur Kanzlerin und zur Koalition muss er sein, zugleich sensibel für die Stimmungen der Fraktion. Sein alter Berufswunsch „Zirkusdirektor“ war ein Ruheposten im Vergleich dazu.

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