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Unruhen in Libyen: Aufstand gegen einen Dokumentarfilm

Ein obskurer Film provozierte wütende Demonstranten in Bengasi - der libysche US-Botschafter Christopher Stevens kam dabei ums Leben. Die US-Regierung findet im Wahlkampf keine einheitliche Reaktionsstrategie.

Erinnerungen werden wach – und böse Ahnungen geweckt. Ist Sam Bacile der nächste Theo van Gogh? Droht ihm das Schicksal von Kurt Westergaard? Doch der Reihe nach. Sam Bacile hat jenen Film gedreht – und Ausschnitte davon als Video auf Youtube veröffentlicht -, der ausgerechnet am Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 in Ägypten und Libyen zu heftigen Protesten geführt hat. In der libyschen Hafenstadt Bengasi wurden mehrere Menschen getötet, darunter der amerikanische Botschafter Christopher Stevens.

In Kairo war die US-Botschaft vorsorglich evakuiert worden. Demonstranten stürmten auf das Gelände, rissen die US-Flagge herunter und versuchten sie zu verbrennen. Als das misslang, hissten sie eine schwarze Fahne mit der Aufschrift „Es gib keinen anderen Gott als Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“ Einige Islamisten sollen auch gerufen haben: „Wir sind alle Osama“ und „Wir sind alle Abu Jahja al-Libi“. Der Nachfolger von Osama bin Laden an der Spitze der Terrororganisation Al Qaida, Eiman al-Sawahiri, hatte am Dienstag bestätigt, dass der Top-Terrorist Al-Libi bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet worden war.

Auslöser für die ersten explizit antiamerikanischen Gewaltaktionen seit Beginn des „Arabischen Frühlings“ ist der zweistündige Film „Innocence of Muslims“ (Die Unschuld der Muslime). Dessen Autor, Regisseur und Produzent, Sam Bacile, lebt in Kalifornien. Er hat die israelische und amerikanische Staatsbürgerschaft. Inzwischen ist er aus Angst vor Anschlägen untergetaucht. In einem Telefoninterview mit dem „Wall Street Journal“ erklärte Bacile: Der Film sei im Sommer vergangenen Jahres entstanden. Rund hundert Menschen, Schauspieler und Crew, hätten daran mitgewirkt. Die Kosten in Höhe von fünf Millionen Dollar seien durch jüdische Spender gedeckt worden. „Der Islam ist ein Krebsgeschwür“, soll Bacile in dem Interview wiederholt gesagt haben.

Islamfeind Terry Jones warb für den Film.

Einen englischsprachigen Trailer des Films, rund 14 Minuten lang, stellte Bacile im Juli auf Youtube. Darin werden ägyptische Sicherheitskräfte beschuldigt, Anschläge von Islamisten gegen koptische Christen tatenlos zu dulden. Dann wird der Prophet Mohammed unter anderem als Betrüger, Kinderschänder und Homosexueller gezeigt. Eine größere Aufmerksamkeit erregte der Youtube-Clip, nachdem sich der islamfeindliche Pastor Terry Jones aus Gainesville in Florida für ihn einsetzte. Jones hatte im Frühjahr 2011 angekündigt, den Koran verbrennen zu wollen. Bei gewaltsamen Protesten dagegen wurden in Afghanistan mehrere UN-Mitarbeiter getötet. Den Jahrestag von Nine-Eleven rief Jones in diesem Jahr zum „International Judge Mohammed Day“ aus.

Gewissermaßen den Durchbruch schaffte der Trailer, als Sequenzen daraus in arabischer Übersetzung auch auf Youtube einem breiten Publikum in der islamischen Welt präsentiert wurden. Verantwortlich dafür ist vor allem Morris Sadek, ein in Ägypten geborener anti-islamischer Kopte, der in den USA lebt. Diese Sequenzen wiederum griff Scheich Khaled Abdallah am vergangenen Samstag in einer ägyptischen Fernsehstation auf und verurteilte sie scharf. Damit nahm das Unheil seinen Lauf.

Die US-Botschaft in Kairo reagierte zunächst mit einem mea culpa. Kritisiert wurde insbesondere der Film. Das Recht auf Redefreiheit werde missbraucht, um die religiösen Gefühle anderer zu verletzen, hieß es. Prompt schaltete sich der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, ein. Es sei eine Schande, ließ er verbreiten, dass die Obama-Regierung mit denen sympathisiere, die gewaltsam protestierten. Kurze Zeit später stellte US-Außenministerin Hillary Clinton klar: Die Stellungnahme der amerikanischen Botschaft in Kairo sei nicht autorisiert gewesen. Provokationen könnten selbstverständlich nicht als Rechtfertigung für Gewalt benutzt werden.

Ein Sprecher der Muslimbrüder in Ägypten forderte unterdessen die US-Regierung auf, sich für den Film zu entschuldigen und dessen Produzenten anzuklagen. Andernfalls seien die ägyptisch-amerikanischen Beziehungen gefährdet. Bei Youtube sieht man bislang noch keinen Anlass, die Trailer von der Seite zu nehmen oder zu sperren. Aufruf zur Gewalt würden nicht geduldet, sagte ein Sprecher, aber in diesem Fall würde lediglich eine Meinung verbreitet.

Im Jahr 2004 war der holländische Regisseur Theo van Gogh wegen eines islamkritischen Films von einem muslimischen Extremisten ermordet worden. Zwei Jahre später hatten zwölf Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“, gezeichnet von Kurt Westergaard, zu gewalttätigen Protesten in der islamischen Welt geführt. Eine Hochburg war damals Bengasi, dort starben elf Menschen.

Kein Zufall war es daher, dass auf den Tag genau fünf Jahre später, am 17. Februar 2011, in Bengasi auch der Aufstand gegen den ehemaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi begann. Das Datum war absichtlich gewählt worden, um der „Märtyrer“ von einst zu gedenken. Aus Bengasi kamen außerdem überproportional viele Al-Qaida-Terroristen, die in den Irak gezogen waren, um gegen Amerika zu kämpfen.

Im Nachhinein etwas naiv klingen insofern die Sätze von US-Präsident Barack Obama, der die Nato-Intervention in Libyen im März 2011 so rechtfertigte: „Wir müssen an der Seite derer stehen, die an dieselben Grundprinzipien glauben.“

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