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Politik: „Unsere Konkurrenten schlafen nicht“

EU-Kommissarin Michaele Schreyer über Eichels Defizit – und was sie seit Brüssel gegen Blumenkohl hat

Frau Schreyer, hinter Ihnen liegen fünf Jahre Brüssel. Inwieweit hat Sie diese Zeit verändert?

Ich konnte fünf Jahre lang an zentraler Stelle europäische Politik mitgestalten. Heute, bei meinem Ausscheiden aus der EUKommission, bin ich noch mehr europa-begeistert, als ich es bereits bei meinem Eintritt war.

Die allgemeine Europa-Verdrossenheit ist also im Herzen der EU noch nicht angekommen?

Wir reden doch hier über das erfolgreichste Projekt, das die europäische Geschichte jemals gesehen hat. Die Tatsache, dass jetzt 25 Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis gemeinsame Beschlüsse fassen – das ist toll. Freilich dauert es manchmal etwas länger, es ist auch manchmal richtig nervig, bis ein Kompromiss gefunden ist. Aber am Ende handelt man gemeinsam. Das ist großartig.

In Ihre Amtszeit als Brüsseler Kommissarin fiel die Einführung des Euro. Ob andere Projekte – wie etwa die EU-Verfassung – jemals verwirklicht werden, ist ungewiss. Hat die Europäische Union also schon ihre besten Tage hinter sich?

Absolut nicht. Man muss die EU als einen dynamischen Prozess begreifen. Im wirtschaftlichen Bereich haben wir mit dem Binnenmarkt und mit der Währungsunion schon sehr viel erreicht. Aber erstens bringt die Tatsache, dass jetzt 25 Mitgliedstaaten dazugehören, neue Herausforderungen mit sich: So müssen die Vorteile des vergrößerten Binnenmarktes auch tatsächlich genutzt werden. Und zweitens leben wir in einer sich verändernden Welt, wodurch sich die Anforderungen an gemeinsame europäische Politik verändern.

In welchen Bereichen brauchen wir nach Ihrer Auffassung noch mehr Europa?

Die Menschen verlangen stärker als in der Vergangenheit, dass gemeinsame Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen werden: Schutz vor Terrorismus, Schutz vor Kriminalität, Schutz vor ansteckenden Krankheiten oder vor Zerstörung der Umwelt. Gerade der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat uns brutal vor Augen geführt, dass es auch im Justizbereich schlichtweg nicht mehr reicht, national zu handeln. Auch sind mittlerweile 80 Prozent der Menschen in Europa der Meinung, dass Außenpolitik nicht mehr wie im 19. Jahrhundert, nämlich nationalstaatlich, betrieben werden sollte, sondern gemeinsam. Wenn Europa tatsächlich mehr Verantwortung in der Welt übernehmen will, was ich hundertprozentig unterstütze, dann geht das nur gemeinsam. Und im Wirtschaftsbereich schlafen unsere globalen Konkurrenten nicht. Im Gegenteil. Deshalb steht die Modernisierung unserer wirtschaftlichen Grundlagen ganz oben auf der Tagesordnung.

Zu dieser Modernisierung gehört auch die Forschungsförderung. Erklärung Sie uns bitte, warum die EU diesen Bereich zu ihrer Priorität machen soll.

Der EU-Haushalt wird nicht mehr wie noch im letzten Jahr Maßnahmen für 375 Millionen Menschen, sondern ab 2007 sogar für 480 Millionen Menschen in der EU abdecken müssen. Das macht einen Unterschied, zumal die neuen Mitgliedstaaten alle weit weniger wohlhabend, teilweise arm und deshalb Nettoempfänger sind. Das erfordert Umverteilung. Aber sollte man deshalb ganz auf europäische Forschungsförderung verzichten, von der Deutschland ja sehr stark profitiert? Ich fände dieses grundfalsch. Die EU fördert im Forschungsbereich Projekte, die für ein einzelnes Land schlichtweg zu teuer wären, wie das Galileo-Projekt, sie fördert Mobilität und vor allem Vernetzung und Kooperation. Ein Beispiel: Während der BSE-Krise hatten wir eine europaweite Forschungskonferenz, auf der sich dann herausstellte, dass alle an den gleichen Fragen zum Thema Rinderwahn forschen, aber ganze Fragenkomplexe nicht abgedeckt sind. Es gilt eben bei der Forschung wie in anderen Bereichen: Gemeinsam kann man Mittel sparen, ist effizienter und besser.

Können Sie aus Ihrer Amtszeit auch ein Beispiel für ein EU-Programm nennen, das sich als unsinnig herausgestellt hat?

Um eine Anekdote zu nennen: Ich konnte gerade Ende Oktober in der Kommission noch einen Vorschlag für ein Kriseninterventions-Programm für Blumenkohl bremsen. Dabei sollte eine Blumenkohlkrise schon dann ausgerufen werden, wenn der Preis für Blumenkohl an zwei Tagen hintereinander unter 80 Prozent des Durchschnittspreises fällt. Derartige Interventionen bewirken aber das Gegenteil von dem, was mit der Agrarreform angestrebt ist, nämlich dass die Landwirte auf Marktsignale reagieren. Wir werden im EU-Haushalt auch in den kommenden Jahren ein sehr hohes Agrarbudget haben. Das ist von den Staats- und Regierungschefs so entschieden worden, und das musste ich als Haushaltskommissarin auch so hinnehmen. Aber wegen dieser Vorentscheidung auf andere für die Zukunft wichtige europäische Politiken – sei es bei der Asylpolitik, im Forschungsbereich oder auch bei der Strukturhilfe für Regionen wie die ostdeutschen Bundesländer – zu verzichten, das wären die falschen Entscheidungen.

Werden die EU-Hilfen für die Palästinenser ebenfalls unter die Lupe genommen? Immer wieder taucht der Vorwurf auf, diese Mittel würden zweckentfremdet.

Zur Verwendung von EU-Mitteln, die an die Palästinensische Autonomiebehörde gegangen sind, gab es eine Untersuchung der europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf, und ein Ausschuss des Europaparlaments hat sich damit beschäftigt. Beide sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Vorwurf, EU-Gelder seien zur Unterstützung des Terrors umgeleitet worden, nicht halten lässt. Die EU wird vielfach aufgefordert, mitten in Krisensituationen zu helfen, wie jetzt auch im Irak. Gleichzeitig wird sie kritisiert, dass sie zu bürokratisch sei. Das ist immer ein schwieriger Balanceakt zwischen genauer Kontrolle und Schnelligkeit der Hilfe. Ich habe gerade in den letzten Monaten häufig zu Ohren bekommen, dass ich mit der neuen EU-Haushaltsordnung die Kontrollzügel zu scharf angezogen hätte.

Dennoch: Sollte die EU nach dem Tod von Palästinenserpräsident Jassir Arafat nicht noch genauer hinschauen, wie die EU-Gelder verwendet werden?

Das haben wir schon gemacht. 2002 wurde Salam Fayyad zum Finanzminister in der Autonomiebehörde ernannt. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein neues Kontrollsystem eingeführt.

Kommen wir zum Stabilitätspakt. Griechenland hat beim Euro-Beitritt geschummelt. Muss die EU sich das bieten lassen?

Nein. Das sollte sie sich nicht bieten lassen. Es ist wirklich ein schwerwiegender Verstoß. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist das wichtigste Instrument für die Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitiken der Euro-Mitgliedstaaten. Da kann man keine falschen Angaben der Mitgliedstaaten dulden. Die Kommission kann diese nur bedingt prüfen. Sie kann mit ihren paar Leuten auch nicht tausende von Bediensteten in den nationalen statistischen Ämtern ersetzen. Dennoch zeigt dies, dass es mehr Harmonisierung im Bereich der Statistik und auch der Rechnungslegungssysteme für die öffentlichen Haushalte geben muss.

Auf der Euro-Sünderbank sitzt nicht nur Athen, sondern auch Berlin…

Die Bundesregierung hat die Zahlen vorgelegt, wonach 2005 eine Neuverschuldung von unter drei Prozent zu erwarten ist. Die Kommission prüft das noch. Das Prüfungsergebnis wird ausschlaggebend sein für das weitere Vorgehen. Die Maßnahmen, die Herr Eichel vorgelegt hat, zeigen ja, dass die deutsche Regierung nun alle Reformanstrengungen macht, um die Verschuldung zu senken. Ich möchte die Bundesregierung darin bestärken. Allen verführerischen Ideen, Zahlenkosmetik zu betreiben und das eine oder andere aus dem Defizit herauszurechnen, sollte eine klare Absage erteilt werden. Also: Es sollte bei den drei Prozent bleiben und dabei, dass Defizit eben Defizit ist. Aber in der Frage, wie der Anpassungspfad zu gestalten ist, um von einer Überschreitung der Drei-Prozent-Grenze wieder herunterzukommen, wird es Änderungen geben.

Bedeutet das den Abschied vom Stabilitätspakt aus den Neunzigerjahren?

Es geht darum, dass die Empfehlungen der Kommission künftig stärker der wirtschaftspolitischen Situation angemessen sind. Es hilft nichts, den Wortlaut des Paktes zu beschwören, sondern er muss in der Anwendung funktionieren, damit die Ziele erreicht werden. Das eine Ziel ist die Sicherung der Währungsstabilität, und das zweite Ziel ist die Gesundung der öffentlichen Finanzen, um auf die Herausforderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt, vorbereitet zu sein. Das gilt nicht nur für Deutschland. Das gilt für die gesamte EU. Deshalb bedauere ich Konfrontationen zwischen Deutschland und der EU. Man sollte mehr gemeinsam handeln – im gegenseitigen Interesse.

– Das Gespräch führten Christoph von Marschall und Albrecht Meier. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

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