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Politik: „Unter 80 Millionen gibt es genügend Kandidaten“

Der frühere Bürgerrechtler Jens Reich wünscht sich einen Nicht-Politiker als Bundespräsidenten und weniger Machtpolitik der Parteien

Herr Professor Reich, Sie waren vor zehn Jahren Kandidat einer Bürgervereinigung für das Amt des Bundespräsidenten. Erstaunt es Sie, dass in der gegenwärtigen Debatte um das höchste Staatsamt wieder ausschließlich Berufspolitiker gehandelt werden?

Damals ging es nicht nur um die Frage, ob der Bundespräsident immer ein Berufspolitiker sein muss, sondern auch darum, einen Vertreter des Ostens in dieses Amt zu bringen. Ich wurde damals von einer Initiative von Bürgern aus dem Westen überzeugt, dass ich es probieren sollte. Das Amt ist eine der wenigen herausgehobenen Verfassungspositionen, die auch für Persönlichkeiten offen ist, die nicht von Beruf Partei und Machtpolitiker sind. Eine solche Besetzung könnte ein kleines Gegengewicht gegen das Übergewicht der Parteien sein, das vom Grundgesetz so nicht vorgesehen ist. Die Verfassung macht es durchaus möglich, einen Bürgerkandidaten zu wählen.

Was würde sich ändern, wenn ein Nicht-Politiker gewählt würde?

Das Verhalten der Berufspolitiker, die alle Positionen für sich reklamieren, ist mitverantwortlich für die Politikverdrossenheit. Die Chance, auch Menschen in Repräsentations- Ämter zu wählen, die nicht ihr Leben lang Berufspolitiker waren, sollten wir jedenfalls nutzen. Es wäre ein beachtenswertes Zeichen, wenn die Bundesversammlung beispielsweise eine Frau in den Vierzigern wählen würde, die schon einige Kinder großgezogen und nicht die Ochsentour der Politik durchlaufen hat.

Denken Sie an bestimmte Bürgerinnen?

Nein. Unter 80 Millionen Menschen gibt es aber genügend Persönlichkeiten, die das Format haben, dieses Amt auszufüllen. Da bin ich ganz sicher.

Heute gibt es keine Initiative für einen unabhängigen Kandidaten. War vor zehn Jahren der Bürgersinn stärker ausgeprägt als heute?

Das ist schwer zu beurteilen. Damals haben sich Persönlichkeiten engagiert, die über den Tellerrand ihrer politischen Lager hinausschauten. Viele hatten das Gefühl, die neuen Länder seien in der Politik nicht repräsentiert. Mittlerweile gibt es ja auch Ostdeutsche, die herausragende politische Funktionen ausfüllen. Das ist nicht mehr entscheidend. Das andere Argument aber zählt immer noch: Ist es wirklich nötig, dass auch diese Position wieder die Beute der Parteien wird? Die Art und Weise, wie das zwischen den Parteien ausgehandelt wird, trägt leider nicht dazu bei, das Vertrauen der Bürger in die Politik zu stärken. Es geht in diesen Streit eben auch um taktischeVorteile für die Parteien. Wenigstens die Wahl des Bundespräsidenten sollte nicht rein machtpolitisch entschieden werden .

Da die Alternative fehlt: Haben Sie einen Favoriten, etwa Wolfgang Schäuble, Wolfgang Gerhardt, Cornelia Schmalz-Jacobsen?

I ch traue das Amt allen diesen Kandidaten zu. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen eine Fehlbesetzung wäre. Bis jetzt war es immer so, dass der Gewählte die Fesseln seiner eigenen Partei im Amt abstreifte. Aber ich bleibe dabei: Es wäre ein erfrischender Versuch, einen unabhängigen Kandidaten wenigstens in die Bundesversammlung zu bringen. Dass die Parteien diese Wahl wieder unter sich ausmachen, macht sie leider auch sehr langweilig.

Die Fragen stellte Hans Monath.

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