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Politik: Unter Kontrolle

Ohne westliche Verwalter geht es in afrikanischen Krisenstaaten nicht, sagen Entwicklungsexperten

Auf diese Nachricht haben die Liberianer lange gewartet: „Der Krieg ist aus“, sagte Rebellenführer Sekou Conneh am Dienstag nach der Einigung bei den Friedensgesprächen in Ghana. Die Rebellen wollen die Waffen abgeben, eine Übergangsregierung soll die Demokratisierung einleiten. Entwicklungsexperten sind allerdings skeptisch. Nach jahrelangem Bürgerkrieg und Diktatur sehen sie in dem westafrikanischen Staat keine Kräfte, die einen Neuanfang vollziehen könnten. Der jetzige Übergangspräsident Moses Blah, der in die Verbrechen der vergangenen Jahre verstrickt ist, soll zwar im Oktober durch einen unbelasteten Nachfolger ersetzt werden, doch auch die alten Kräfte werden in der neuen Regierung vertreten sein. „Letztlich wird es auf eine Machtteilung zwischen Rebellen und der Fraktion von Ex-Präsident Charles Taylor hinauslaufen", sagt Stefan Mair von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch in Kongo wurde so verfahren.

Entwicklungschancen haben solche Staaten nach Ansicht Mairs auf absehbare Zeit kaum. Sein Kollege Ulrich Menzel vom Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig fordert daher radikale Konsequenzen: Der Norden müsse zerfallene Staaten besetzen und treuhänderisch verwalten. „Viele Staaten – und Liberia ist hier ein klassischer Fall – sind eher Karikaturen eines Staates. In Wirklichkeit handelt es sich um Regime von Warlords, die nur eines im Sinn haben: sich selbst zu bereichern", sagte Menzel dem Tagesspiegel. Entwicklungshilfe für solche Staaten, erklärt SWP-Experte Mair, sei herausgeworfenes Geld: „Wenn sie in Ländern wie Liberia ohne politische Stabilisierung eine Straße bauen, wird sie ohnehin in wenigen Jahren wieder zerbombt." Statt teure Entwicklungsprojekte zu finanzieren, solle sich Deutschland in reformunfähigen Staaten darauf beschränken, Not- und Krisenhilfe zu leisten, rät er.

Menzel geht noch weiter: Er warb schon Anfang der neunziger Jahre für einen neuen, humanitär begründeten Kolonialismus. Damals lösten seine Thesen einen Proteststurm aus. Seit jedoch auch die politische Linke militärische Interventionen in Krisengebieten nicht mehr grundsätzlich ablehnt, seit Bosnien, Kosovo und Afghanistan, klingen Menzels Ideen weit weniger provokant. „Die Bilder aus Monrovia, wo die Bevölkerung die ausländischen Friedenstruppen begeistert empfangen hat, sprechen für sich", sagt auch Mair. Allerdings sieht er keine Bereitschaft im Westen, sich in afrikanischen Staaten ähnlich zu engagieren wie im Kosovo oder dem früheren Terrorstaat Afghanistan. In Kongo schritt die EU zwar ein, als es zu Massakern in der Stadt Bunia kam, doch der Einsatz der Friedenstruppe blieb auf die Unruhestadt im Osten des Landes begrenzt.

Eine internationale Verwaltung in Liberia würde voraussetzen, dass 3000 bis 4000 Soldaten für mehrere Jahre in dem Bürgerkriegsland stationiert werden. Tausende Verwaltungsexperten, Richter, Polizeiausbilder würden benötigt – und Fachleute, die die Vermarktung der Bodenschätze überwachen. Sie müssten sicherstellen, dass die Erlöse der Eisenerzminen, Kautschukplantagen und aus Holzverkäufen im Land selbst investiert und nicht wie bisher von korrupten Politikern abgeschöpft werden. Unter dem Schutz der „Treuhänder“, so die Theorie, könnte sich das Land erholen und eine neue politische Klasse heranreifen. Doch all dies würde Jahre dauern. Und es wäre teuer. Zum Vergleich: Die Zivilverwaltung des Kosovo kostet rund 400 Millionen US-Dollar jährlich – die Friedenstruppe nicht eingeschlossen.

Aus Sicht von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) wäre ein Treuhand-Modell aber ohnehin kein gangbarer Weg. „Eine solche Regelung würde in unseren Partnerländern als Kolonialismus empfunden“, sagte sie dem Tagesspiegel. Die internationale Gemeinschaft müsse selbstverständlich helfen, staatliche Strukturen zu erhalten oder neu aufzubauen. Auch in Krisenstaaten müssten die Menschen ihre politische Zukunft aber selbst bestimmen können.

„Gerade in einer Zeit, in der Reformkräfte in Afrika durch die Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung die afrikanische Eigenverantwortung deutlicher denn je propagieren, wäre dies eine völlig unangebrachte Lösung“, erläutert die Ministerin. Die von führenden afrikanischen Staatschefs initiierte Partnerschaft, kurz Nepad, basiert auf einem Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Sie scheint tatsächlich erste Früchte zu tragen: So brachen die Staaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) ein lange unumstößliches Tabu, als sie Liberias Staatschef Taylor zum Rücktritt aufforderten. Andere Diktatoren, etwa Simbabwes Staatschef Robert Mugabe, blieben bisher allerdings unbehelligt.

Experte Menzel bleibt dabei: „Die Afrikaner schaffen das nicht allein.“ So seien Nigeria und andere in der Friedenstruppe für Liberia vertretene Staaten ebenfalls labil, „die können jederzeit selbst zum Krisenfall werden“. Er sieht vor allem die EU in der Pflicht – „denn die USA haben sich klar entschieden, nur dort zu intervenieren, wo eigene Interessen berührt sind“. Der Wissenschaftler weiß aber auch, dass es nicht einfach ist, seine Forderungen umzusetzen: „Es gibt einfach zu viele Liberias.“

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