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Das Öl sprudelt weiter. Ein Ende der Katastrophe ist nicht in Sicht.

© AFP

Unternehmen unter Druck: Wer ist BP?

Es war das viertgrößte Unternehmen der Welt. Jetzt kämpft es gegen eine riesige Ölpest. Der amerikanische Präsident ist stocksauer, aber die Briten glauben, das mache es noch schlimmer.

WOFÜR STEHEN DIE BUCHSTABEN BP?

Im Internet schimpfen sie inzwischen „British Poison“ (Britisches Gift) oder „Buys Presidents“ (Kauft Präsidenten). US-Präsident Barack Obama nennt BP „British Petroleum“, und das klingt in den Ohren der Briten, als bedeute britisch so viel wie Ölpest, tote Tiere und hilflose Unternehmensleiter.

Allerdings heißt das bis vor kurzem noch viertgrößte Unternehmen der Welt seit 2001 einfach nur noch BP, oder eigentlich bp. Klein geschrieben sehe der Name weniger kolonialistisch aus, befand eine Imageagentur. Das „British“ war schon verschwunden, als BP mit der amerikanischen Amoco zu „BP Amoco“ fusionierte. In Wahrheit ist die Hälfte der Firma amerikanisch – 39 Prozent des Aktienkapitals werden von Amerikanern, 40 Prozent von Briten gehalten.

„Wir operieren in 80 Ländern“, erklärt man in dem Backsteingebäude in London, das nur durch ein dezentes Messingschild als Konzernzentrale kenntlich gemacht ist. BP hat Ölfelder vor der norwegischen Küste in der Nordsee, in der Karibik, in Alaska, Russland und Ägypten. Am 2. September 2009 meldete BP Erfolg am Tiber-Ölfeld im Keathley Canyon Block 102, 400 Kilometer südöstlich von Houston: Fast zehn Kilometer hatte der Konzern in die Tiefe gebohrt und war 1259 Meter unter dem Wasserspiegel auf „gigantische Ölvorräte“ gestoßen. Seit zwei Monaten sprudeln sie nun ins Meer.

Offiziell bedeutet bp aber doch etwas: „Beyond petroleum“ (Jenseits des Erdöls). 2001 kam die Sonne ins Logo und man fing an, in die Solarindustrie zu investieren. Aber auch hier versprach BP zu viel und hielt zu wenig: 90 Prozent seines Geldes macht BP immer noch mit Öl.

Bisher ließ sich damit so gut Geld verdienen, dass BP auch für „Britische Pensionäre“ steht. Denn es gibt keinen Pensionsfonds, der nicht in den besten Dividendenzahler der Londoner Börse investiert hätte, der bisher sieben Milliarden Pfund im Jahr ausschüttet, 16 Prozent des gesamten Dividendenaufkommens am britischen Aktienmarkt. Doch jetzt, da Obama BP wegen der gesunkenen Bohrinsel „Deepwater Horizon“ immer heftiger kritisiert, könnten am Ende die Rentner die Leidtragenden sein.

WAS WILL OBAMA VON BP?

Obama schwor, BP müsse jeden Nickel des angerichteten Schadens bezahlen. Und US-Generalstaatsanwalt Eric Holder kündigte bereits ein Ermittlungsverfahren an. Auch forderte Obama indirekt, BP-Chef Tony Hayward zu feuern. Wann immer der Präsident attackiert, wird BP ein paar Milliarden Dollar billiger. Als Obama BP die Auszahlung einer Dividende verbieten wollte, verlor die Aktie 16 Prozent. Selbst als BP in TV-Spots versprach, jeden gerechtfertigten Schadenanspruch zu bezahlen, schimpfte Obama: „Sie geben Geld für Anzeigen aus und knausern bei der Entschädigung für Fischer und Kleinunternehmer im Golf.“ Inzwischen hat die US-Regierung BP eine Frist bis zum heutigen Sonntag gesetzt, um einen überzeugenden Krisenplan vorzulegen.

Londons Bürgermeister Boris Johnson sprach von einer „nationalen Sorge“ über Obamas „antibritische Rhetorik“. Obama selbst telefonierte am Samstag mit dem britischen Premier David Cameron, um zu versichern, dass es hier nicht um nationale Gefühle gehe. „Wer die Dividende attackiert, attackiert Millionen britischer und amerikanischer Rentner“, klagte der Labour-Parlamentarier Tom Watson. „In Afghanistan zeigen wir Solidarität mit den USA, diese muss Cameron von Obama zurückfordern.“ Obama müsse verstehen, „dass BP zu den vitalen britischen Interessen gehört“, erklärte der frühere britische Botschafter in Washington, Sir Christopher Meyer.

Aber auch Obama hat ein Problem. Nur 22 Tage vor der Ölkatastrophe hob er das Bohrverbot im Golf von Mexiko auf und steht damit selbst in der Verantwortung. Nun muss er verhindern, dass es ihm wie seinem Vorgänger George W. Bush mit Hurrikan Katrina geht – im November sind Kongresswahlen. Einerseits kann er die Aufregung über die Ölverschmutzung für seine Klimapolitik nutzen. Andererseits hat er durch ein wieder verhängtes Bohrmoratorium vielen Amerikanern den Lebensunterhalt und die Aussichten auf billiges Öl genommen.

Obama braucht einen Schuldigen. Für nächste Woche hat er den Vorsitzenden des BP-Aufsichtsrats, Carl-Henric Svanberg, ins Weiße Haus zitiert. Bisher sollen durch die Ölpest 1356 Tiere verendet sein. Und BP hat bereits rund 60 Milliarden Euro seines Börsenwertes verloren.

UNTERNIMMT BP GENUG?

Obama ist vor allem deswegen wütend, weil er keine richtige Alternative hat. Er solle BP die Zügel aus der Hand nehmen, forderte Robert Reich, Arbeitsminister unter Präsident Clinton. Aber niemand außer BP hat die Expertise oder auch die Tiefwasserroboter, um in solcher Tiefe zu operieren – auch nicht die US-Marine.

„Unter Wasser läuft es so gut, wie es nur gehen kann. Keine Firma könnte es besser machen als BP. Über Wasser läuft es schlecht“, beurteilte der ehemalige Shell-Präsident John Hofmeister in der BBC die Leistung von BP-Chef Hayward. Statt die menschliche Seite zu betonen, präsentiere BP die technische Seite. „Das bringt nichts, wenn man sterbende Vögel sieht.“ BP reagiere wie Ingenieure, die nicht verstehen, was die Leute hören wollten – „dass sie sicher sind und alles wieder gut wird“.

BP-Markendirektor Duncan Blake sprach selbstkritisch von anderen Fehlern: BP habe zu lange versäumt, sich in die Google-Suchwörter „Oil Spill“ und „Deep Horizon“ einzukaufen und habe deshalb den Propagandakrieg verloren. Aber der wahre Vorwurf an BP ist, die Ölpest heruntergespielt, zu viel versprochen und zu wenig getan zu haben. Vermutlich fließt doppelt so viel Öl ins Meer, wie BP zugegeben hat.

Hayward, Nachfolger des beliebten früheren BP-Chefs Lord Browne of Madingley, gibt sein Bestes. BP-Aktionäre mögen den 53-Jährigen – im letzten Quartal lieferte er 5,6 Milliarden Dollar Gewinn ab. Für einige ungeschickte Bemerkungen hat er sich inzwischen entschuldigt. Wie die, als er sagte, er sehne sich nach seinem Leben zurück – nicht besonders taktvoll, nachdem bei der Explosion elf Arbeiter gestorben waren. Auf seine Anhörung vor dem US-Kongress am kommenden Donnerstag bereiten ihn nun PR-Berater intensiv vor. Die Ölbranche indes ist voll des Lobs für Haywards Krisenmanagement. Positiv vermerkt wird, dass er sich vor Ort kümmere, und nicht nur im Fernsehen. Er wohnt derzeit im „Ramada Inn“ in Houma (Lousiana) und hat versprochen, jede berechtigte Schadenersatzforderung zu erfüllen. Auch will er „den Golf wieder so herrichten, wie er einmal war“. Da spricht der Geologe.

Unter Haywards eher extravagantem Vorgänger Lord Browne wuchs der BP-Konzern um das Neunfache. Aber Browne nahm es mit den Details nicht immer genau: In Brownes Zeit passierten die großen Unfälle, die BPs Ansehen zerstörten und alles nun doppelt schwer machen. Im Jahr 2000 musste der Konzern zwölf Millionen Dollar Strafe zahlen, weil er Giftgase im US-Bundesstaat Ohio abgefackelt hatte. Fünf Jahre später kostete eine Explosion in einer texanischen Raffinerie 15 Menschenleben. Dafür musste BP 140 Millionen Dollar bezahlen. Und wegen eines Öllecks in Prudhoe Bay in Alaska im Jahr 2006 wurde der Konzern zu 20 Millionen Dollar Strafzahlungen verdonnert.

Hayward hat die Sicherheitsbilanz von BP verbessert – bis jetzt. „Ob ich ins Gefängnis komme, ist jetzt nicht wichtig. Alles, was mich interessiert, ist, das Leck zu stoppen“, sagte er kürzlich.

WIRD BP DIE KRISE ÜBERLEBEN?

Aus dem sicheren Börsentipp ist inzwischen eine Risikoinvestition geworden. Die Londoner City hält BP rhetorisch die Treue – und stößt die Aktie ab. Analysten sagen zwar, der Obama-Aktiensturz sei übertrieben: Laut der Schweizer Großbank Credit Suisse kostet der Schaden 37 Milliarden Dollar, aber BP hat bereits 80 Milliarden Dollar an Wert verloren. Doch niemand kann sagen, wie lange das Öl noch sprudelt, wohin der Wind die Ölpest treibt und welche Strafen noch kommen. So oder so: Der Ruf ist ruiniert.

Weil die Aktie jetzt so billig ist, ist BP zu einem Übernahmekandidaten geworden. Browne und Shell-Vorstandschef Jeroen van der Veer sprachen bereits vor vier Jahren über eine Fusion. Möglicherweise wäre eine Übernahme nun eine Lösung: Umstrukturieren, Umbenennen, die von „Deep Horizon“ betroffenen Firmenteile für bankrott erklären. Dafür gibt es Beispiele. Union Carbide, verantwortlich für die Bhopal Katastrophe 1984 in Indien, ließ sich von Dow Chemical übernehmen – das dann jede Verantwortung für den Unfall ablehnte, bei dem nach offiziellen Angaben 4000 und nach anderen 15 000 Menschen ums Leben kamen.

UND WAS IST MIT DER ZUKUNFT DER ÖLFIRMEN ÜBERHAUPT?

Tony Hayward kämpft nicht nur um sein Überleben und das von BP, sondern auch um die Zukunft des Ölzeitalters. Vergangene Woche gab BP seine jährliche Weltölstatistik heraus. Es gebe Öl für weitere 46 Jahre, aber zum ersten Mal warnte BP vor den Risiken bei der Förderung dieser Ressourcen. Die Freude über neue Ölvorräte in der Tiefsee ist der Sorge gewichen, ob sie überhaupt gefördert werden können – oder sollen. Umweltschützer hoffen, dass das Ölzeitalter nun schneller zu Ende geht. Aber die Energieprobleme der Welt werden wachsen. Auch deshalb ist Obama so sauer auf BP.

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