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Unterschicht-Debatte: Perspektiven statt Alimentierung

In der Debatte um die "neue Armut" in Deutschland hat sich die CDU gegen eine Aufstockung der staatlichen Hilfen ausgesprochen. Union und SPD streiten über die Ursachen der sozialen Schieflagen.

Berlin - "Es geht darum, gezielt Anreize zu setzen, damit sich Leistung lohnt", erklärte Generalsekretär Ronald Pofalla. Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte, die Qualität des Sozialstaats messe sich nicht vorrangig an der Höhe der finanziellen Transfers. Gleichzeitig verteidigte Heil die Hartz-IV-Reformen. Das Prinzip des "Förderns und Forderns" sei richtig und bleibe bestehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hob die Bedeutung von Bildung und Erziehung für sozial Benachteiligte hervor. Wer keine Ausbildung habe, für den sei das Risiko der Arbeitslosigkeit immer am höchsten.

Pofalla erklärte, es komme "auch bei der Überarbeitung der Hartz-IV-Gesetze vor allem darauf an, die Leistungsmotivation zu stärken". Er forderte SPD-Chef Kurt Beck auf, "dass er jetzt nicht denen in seiner Partei nachgibt, die mit noch mehr Geld alle Probleme lösen wollen". Die CDU wolle keinen Sozialstaat, der die Menschen nur durch staatliche Transferleistungen versorge.

Merkel hob hervor: "Wir finden uns nicht ab damit, dass diese Spaltungen so existieren." Das Thema "Spaltung der Gesellschaft" hänge "ganz eng mit Familien zusammen". Sie verwies in dem Zusammenhang darauf, wie die Erziehungsfähigkeit der Eltern durch den Staat gestärkt werden könnte. Die Frage sei zudem, "ob wir Kindern mit dem Eintritt in die Schule ähnliche Chancen geben".

Heil: Reformen haben Blick geöffnet

Heil sagte nach einer Telefonkonferenz des SPD-Präsidiums, es sei wichtig, sich den sozialen Realitäten zu stellen, um die Verhältnisse zu verbessern. Die Arbeitsmarktreformen seien nicht ursächlich für die "neue Armut", betonte er mit Blick auf die Kritik auch aus den eigenen Reihen an den Hartz-Gesetzen. Die Reformen hätten vielmehr den Blick dafür geöffnet, wie viele Menschen in der Sozialhilfe gefangen gewesen seien.

Heil wandte sich ebenso wie Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) gegen den Begriff der "Unterschicht". Es dürfe nicht zugelassen werden, dass Menschen stigmatisiert würden. Müntefering sagte dem Sender N24: "Es gibt keine Schichten in Deutschland." Menschen, die es schwerer hätten in der Gesellschaft, dürften nicht "abklassifiziert und deklassifiziert" werden. Jeder müsse dieselben Bildungschancen haben, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) lehnte den Begriff "Unterschicht" als stigmatisierend ab.

Schreiner: Arbeitsmarktpolitik verantwortlich

Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ralf Brauksiepe (CDU), wandte sich gegen Vorwürfe des SPD-Linken Ottmar Schreiner, die Arbeitsmarktpolitik sei verantwortlich für die soziale Schieflage. Schreiner hatte am Wochenende die Politik der rot-grünen Bundesregierung für Armut und soziale Ausgrenzung verantwortlich gemacht. Brauksiepe verwies im RBB-Inforadio darauf, dass in diesem Jahr trotz sinkender Arbeitslosigkeit rund zwei Milliarden Euro mehr für Leistungen im Rahmen von Hartz IV ausgegeben würden als 2005.

Linksfraktionsvize Bodo Ramelow kritisierte: "Während der Amtszeit von Gerhard Schröder sind die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden." Schlimm sei vor allem, dass die Situation in Ost- und Westdeutschland "so katastrophal auseinander geht, dass man im Osten fast von einer Armutszone und einem ungeheuren Armutsrisiko sprechen muss". Die Politik habe hier versagt.

Grüne: Mehr Leistungswille als Chancen

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer verwies darauf, dass "in manchen Bereichen so etwas wie Sozialhilfekarrieren entstanden sind". Die Möglichkeit des Zutritts in den Arbeitsmarkt sei eine der entscheidenden Voraussetzungen, um dies zu ändern. "Es gibt viel mehr Leistungswillen und Aufstiegswillen, als es Chancen gibt, sich tatsächlich aktiv an dieser Gesellschaft zu beteiligen."

Eine Studie von TNS Infratest für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hatte ergeben, dass in Deutschland acht Prozent der Bevölkerung einer neuen gesellschaftlichen Unterschicht angehören. Im Osten beträgt der Anteil demnach 20 und im Westen vier Prozent. (tso/AFP)

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