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Auch Vertreter von VW erschienen vor dem Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments.

© Julian Stratenschulte/dpa

Untersuchungsbericht zu Dieselgate: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Ein Untersuchungsausschuss des Europaparlaments hat die Dieselgate-Affäre aufgearbeitet. Fazit des Abschlussberichts: Auch die EU-Kommission versagte bei der Kontrolle der Autokonzerne.

Im Jahr 2013 wurde das Kürzel „GroKo“ nach der Bundestagswahl zum „Wort des Jahres“ gekürt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte damals den vielzitierten Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Und die Fußball-Nationalmannschaft qualifizierte sich gegen Irland für die WM in Brasilien, wo sie neun Monate später den Titel holen sollte. Das Wort „Dieselgate“ war 2013 noch unbekannt.

In einem EU-Bericht ging es schon 2013 um den Betrugsverdacht

Es gab seinerzeit allerdings auch Leute, die in Brüssel und den EU-Hauptstädten von den Betrugspraktiken der Autobauer wussten. 2013 veröffentlichte die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission, das Joint Research Centre (JRC), einen Bericht, in den im Prinzip alle Beamten der Brüsseler Behörde Einsicht nehmen konnten. Die EU-Forscher äußerten darin den Verdacht, dass die Pkw-Hersteller Abschalteinrichtungen verwenden könnten. Diese sogenannten „defeat devices“ sorgten dafür, dass die damit ausgestatteten Dieselmodelle im Testbetrieb die vorgeschriebenen Abgaswerte erreichten, auf der Straße aber weit mehr Schadstoffe ausstießen.

Doch trotz der Erkenntnisse der Forscher vom JRC geschah nichts: Die Generaldirektion Unternehmen und Industrie in der Kommission versäumte es, dem Verdacht auf eine Manipulation bei den Abgaswerten nachhaltig nachzugehen. Erst als der VW-Abgasskandal im September 2015 bekannt wurde, ergriffen die Verantwortlichen in Brüssel und den EU-Hauptstädten Gegenmaßnahmen.

Kommende Woche wird über den Bericht im Plenum abgestimmt

Die Versäumnisse der Kommission und der Kontrollbehörden in den EU-Mitgliedstaaten sind in einem Untersuchungsbericht des Europaparlaments aufgelistet, über den die Abgeordneten in Straßburg bei einer Plenumssitzung in der kommenden Woche abstimmen wollen. Der Abschlussbericht ist das Ergebnis der einjährigen Arbeit des Untersuchungsausschusses des EU-Parlaments zu Emissionsmessungen in der Automobilindustrie.

Der Ausschuss unter dem Vorsitz der belgischen Sozialdemokratin Kathleen Van Brempt vernahm Vertreter von VW, Renault, Mitsubishi, Fiat und Audi. Insgesamt wurden mehr als 50 Zeugen gehört, auch der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) erschien vor dem Gremium. Den Mitgliedstaaten stellt der Ausschuss im Abschlussbericht ein verheerendes Zeugnis aus. Sie hätten „gegen ihre rechtliche Verpflichtung verstoßen, das Verbot der Abschalteinrichtungen zu überwachen und durchzusetzen“, heißt es. Der Bericht hat für die Mitgliedstaaten zwar keine bindende Wirkung, spielt aber für die politische Debatte über den Dieselgate-Skandal eine wichtige Rolle.

Der damalige EU-Kommissar Tajani blieb untätig

Aber auch die Kommission kommt in dem Bericht nicht gut weg. Es stelle „einen Missstand“ dar, so heißt es dort, dass die Brüsseler Behörde ihrer Verantwortung nicht fristgerecht nachgekommen sei, das Verfahren zur Überprüfung des Pkw-Schadstoffausstoßes zu überarbeiten. Unterm Strich lässt sich aus dem Untersuchungsbericht der EU-Parlamentarier das Fazit ziehen, dass Mitgliedstaaten, Kommission und Industrie in der Betrugsaffäre nach der Devise der drei Affen agierten: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

Dabei reicht die Vorgeschichte des Dieselgate-Skandals bereits weit in die Ära der Kommission unter ihrem damaligen Chef José Manuel Barroso zurück, der bis 2014 amtierte. Der seinerzeitige Industriekommissar Antonio Tajani, der heute EU-Parlamentschef ist, bekam im Februar 2013 einen Brief vom Umweltkommissar Janez Potocnik. Der Slowene Potocnik wies Tajani damals darauf hin, dass es einen auffälligen Unterschied zwischen den Abgaswerten bei den Labortests und im Straßenbetrieb gebe. Es gebe die „weit verbreitete Sorge“, dass es einen „dramatischen Anstieg der Emissionen“ gebe, sobald sich die Autos nicht im Testbetrieb befänden, schrieb Potocnik damals. Doch Tajani unternahm nichts dagegen.

„Die Aufgabe des Ausschusses war es, aufzuklären, wer wann was wusste und nicht reagiert hat“, fasst die FDP-Europaabgeordnete Gesine Meißner die Arbeit des Gremiums rückblickend zusammen. „Dabei haben sich Kommission und die Ministerien gegenseitig den Schwarzen Peter zugeschoben“, kritisiert sie. ‚Den‘ schuldigen Beamten oder Politiker habe man jedoch nicht ermitteln können. Nach ihren Worten sei der Untersuchungsausschuss indes zu sehr dazu instrumentalisiert worden, um „die Dieseltechnologie zu verteufeln“. Die Liberale ist der Ansicht, dass Dieselmodelle auch in Zukunft wegen des vergleichsweise niedrigen Kohlendioxid-Ausstoßes eine wichtige Rolle für die Hersteller spielen werden – „selbst wenn wir wegen der Luftqualität vermehrt auf andere Antriebe setzen müssen“.

Warum die Abgeordneten über eine EU-Aufsichtsbehörde streiten

Ein Kfz-Meister lädt im Rahmen der Rückrufaktion ein Software-Update für das Steuergerät Motorelektronik auf einen Volkswagen.
Ein Kfz-Meister lädt im Rahmen der Rückrufaktion ein Software-Update für das Steuergerät Motorelektronik auf einen Volkswagen.

© Julian Stratenschulte/dpa

Der niedersächsische CDU-Abgeordnete Jens Gieseke, der als Ko-Berichterstatter des Ausschusses wesentlich für den Abschlussbericht zuständig war, zieht eine andere Lehre aus der Arbeit des Parlamentarier-Gremiums: Die aktuellen Regeln für die Abgasregulierung bieten „zu viel Interpretationsspielraum“ – sprich Schlupflöcher für die Hersteller. Gieseke schlägt vor, die sogenannte RDE-Gesetzgebung auf EU-Ebene so schnell wie möglich einzuführen.

Das Kürzel RDE steht für „Real Driving Emissions“ und bezeichnet ein Testverfahren, bei dem die Abgasmessung im Realbetrieb vorgenommen wird. Betrugspraktiken im Labor, wie sie von Herstellern wie VW zu verantworten sind, wären damit nicht mehr möglich. Bevor der VW-Skandal vor eineinhalb Jahren ins Rollen kam, hatten Vertreter der Autoindustrie in einer von der Kommission eingerichteten Arbeitsgruppe die Einführung von RDE-Tests jahrelang verzögert.

Streit um eine „Europäische Fahrzeug-Aufsichtsagentur“

Derweil wird im Europaparlament vor der Schlussabstimmung über den Bericht des Dieselgate-Untersuchungsausschusses in der kommenden Woche noch an einzelnen Formulierungen gefeilt. Der Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout erwartet, dass es noch Streit um die Empfehlung des Ausschusses geben wird, der zufolge als Konsequenz aus dem Skandal eine „Europäische Fahrzeug-Aufsichtsagentur“ eingerichtet werden soll.

Diese Forderung war im Ausschuss umstritten, nur eine knappe Mehrheit sprach sich dafür aus. Nach den Worten des Niederländers Eickhout soll es sich bei der neuen europäischen Agentur, deren Schaffung laut dem Entwurf der Empfehlungen verlangt wird, um eine reine Aufsichtsbehörde handeln. „Es geht nicht darum, den nationalen Behörden die Typenzulassung abzunehmen“, erklärt er.

FDP-Abgeordnete Meißner will keinen "Brüssel-Tüv"

Das sehen aber nicht alle EU-Abgeordneten so gelassen wie Eickhout. Die FDP-Parlamentarierin Meißner spricht von einem „Brüssel-Tüv“ und weist den Vorschlag strikt zurück: „Eine europäische Zulassungsbehörde halte ich für überflüssig, denn Brüssel ist auch nicht unfehlbar, und eine solche Neuerung würde wahrscheinlich zu längeren Zulassungszeiten führen.“ Vielmehr sollten die Kommission und die Mitgliedstaaten künftig ihre Arbeit vernünftig machen, fordert die Abgeordnete. „Das war in der Vergangenheit leider nicht der Fall, alle Ebenen haben versagt.“

Vor der Schlussabstimmung im Parlament kommt aus den Reihen der Grünen und der Sozialdemokraten der Ruf, die Interessen der Besitzer von Dieselfahrzeugen stärker zu berücksichtigen. Im bisherigen Entwurf für die Empfehlungen an die Kommission und die Mitgliedstaaten ist der Abschnitt zu den Verbraucherrechten nur vergleichsweise kurz gehalten. Dort ist unter anderem davon die Rede, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen hätten, dass die Pkw-Besitzer „detaillierte und umfassende Informationen“ über die fälligen Werkstätten- Nachrüstungen an den betroffenen Fahrzeugen erhalten.

Die französische Abgeordnete Christine Revault d’Allonnes-Bonnefoy hält dies aber nicht für ausreichend. „Die europäischen Verbraucher sind die Opfer des Betrugs, sie dürfen jetzt nicht auch noch für den Gesetzesbruch durch die Autohersteller zahlen“, findet die Sozialistin. Deshalb müssten die Hersteller für Entschädigungen aufkommen, falls Dieselfahrer im Zuge der Nachrüstung einen höheren Spritverbrauch in Kauf nehmen müssen oder der Motor plötzlich reparaturanfälliger werden sollte, fordert die Parlamentarierin. Allerdings müssen Sozialdemokraten und Grüne noch weitere Abgeordnete für diese Forderung gewinnen – denn die beiden Fraktionen verfügen im Europaparlament nicht über eine Mehrheit.

Der Text erschien in "Agenda" vom 28. März 2017, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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