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Von der Leyen

© dpa

Ursula von der Leyen: "Familien, die Steuern zahlen, sind der SPD suspekt“

Ministerin Ursula von der Leyen spricht mit dem Tagesspiegel über Unterschiede in der großen Koalition, Berliner Defizite - und das gesellschaftliche Leitbild des aktiven Vaters.

In Niedersachsen gab es gerade Zeugnisse. Was sagt die Mutter Ursula von der Leyen zu den Zensuren ihrer Kinder?

Alles im grünen Bereich. Meine jüngste Tochter geht jetzt in die zweite Klasse. Sie hat überhaupt keine Probleme und erzählte mir trotzdem ganz begeistert: Mama, ich bin weiter gekommen!

Sie sind also zufrieden mit den Noten?

Ja. Es ist ein schönes Gefühl, am Ende eines Schuljahres zu sehen, dass die Kinder gut durchgekommen sind und man ein bisschen durchatmen kann.

Hinter Ihren Kindern liegt das erste volle Schuljahr, in dem ihre Mutter als Ministerin in Berlin amtierte. Wie wirkt sich das auf den Umgang mit der Schule aus?

Sechs unserer sieben Kinder gehen noch in die Schule. Es ist schwieriger für mich, mit den vielen Lernthemen Schritt zu halten. Ich bemühe mich, manchmal gelingt es mir besser, manchmal schlechter. Es war auch für die Kinder ein Lernprozess, weil weniger Zeit bleibt, etwa vor einer Klassenarbeit zu reagieren und gemeinsam zu lernen. Sie wissen inzwischen aber, dass sie sich früher melden müssen, wenn in der Schule etwa eine Mathe-Arbeit ansteht. Wenn sie das erst am Tag vor der Prüfung ankündigen, dann rasselt manchmal auch eine sechs rein.

Kann Schule da nicht einiges auffangen?

Nur in begrenztem Maße. Ich merke, wie sehr sich unser Schulsystem darauf verlässt, dass Vater und Mutter am Nachmittag mitarbeiten. Das macht mich manchmal wütend. Es ist vor allem für Eltern, die keinen ausgeprägten Bildungshintergrund haben, sehr schwer, ihren Kindern bei anspruchsvollerem Stoff zu helfen. Diese Kinder müssen dann schon sehr tapfer und selbst organisiert sein, um in der Schule mitzukommen. Ich selbst merke das aber auch bei Griechisch und Latein, zwei Sprachen, die ich selbst nicht gelernt habe. Ich bin nicht in der Lage, meine Kinder bei Griechisch Vokabeln abzufragen. Ich kann die Sprache noch nicht einmal lesen.

Hat auch die Öffentlichkeit gelernt, mit einer siebenfachen voll berufstätigen Mutter und Ministerin zu leben?

Inzwischen steht meine Arbeit stärker im Mittelpunkt des Interesses. Es ist uns gelungen, dass mehr nach dem gefragt wird, was ich tue, als danach, wie ich lebe.

Sie sind CDU-Präsidiumsmitglied. Jüngere Unionspolitiker machen sich Sorgen um das traditionelle Profil der Union. Hat die Union damit ein Problem?

Eine Volkspartei muss eine riesige Spannbreite bedienen und permanent wach für Veränderungen sein. In der Union reichen die Vorschläge auf dem Feld der Familienpolitik inhaltlich vom Ausbau der Krippenplätze bis hin zum Betreuungsgeld, das Eltern erhalten sollen, deren Kinder keine Kindertagesstätten besuchen.

Wofür stehen Sie?

Ich stehe dafür, Familie in einer modernen Welt wieder lebbar zu machen, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für den Zusammenhalt der Generationen. Das geht auch in unserer Partei nicht immer konfliktfrei.

Sie spielen darauf an, dass Teile der Union darüber stöhnen, dass Sie das traditionalistische Familienbild aufgebrochen haben?

In der Familienpolitik haben wir in der Union lange nicht die richtigen Antworten auf die Veränderungen der Welt und die drängenden Fragen der jungen Generation gegeben. Ich versuche nun, neue Antworten politisch durchzusetzen. Natürlich erzeugt so etwas Reibung.

Wie unterscheiden sich Ihre Antworten von denen etwa der SPD?

Wir vertreten konservative, bewahrende Gedanken der Familienwerte. Die Stichworte heißen: Verantwortung übernehmen, sich aufeinander verlassen können. Wir legen mehr Wert auf den Zusammenhalt der Generationen, wollen den Wert der Subsidiarität, der Verpflichtung zur Selbstverantwortung, herausarbeiten. Wir vertrauen auf die Kraft der Menschen, wollen aber einen modernen Rahmen dafür schaffen, dass die Menschen sie entfalten können. Und schließlich: Wir hegen keine Vorbehalte gegen Familien, die hart arbeiten und Geld verdienen. Die SPD interessiert sich nur für Familien, wenn sie an der Grenze zur Armut leben. In dem Moment, wo eine Familie anfängt, aus Einnahmen Steuern zu zahlen, wird sie der SPD schon suspekt.

Sie bekennen sich zu dem Ziel, auch die wohlhabende Familie zu fördern?

Der Ausbau der Kinderbetreuung hilft Alleinerziehenden ganz gezielt, aus Armut herauszufinden. Oft sind Menschen ja nur deshalb arbeitslos, weil sie Kinder haben und ein Angebot zur Kinderbetreuung fehlt. Aber eine flexible Kinderbetreuung hilft auch der jungen Bankkauffrau, die sich mehrere Kinder wünscht, ihren Beruf weiter ausüben und selbstständig bleiben will. Das löst Prozesse aus, die die ganze Gesellschaft voranbringen. Und zwar, wenn solche Familien haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen und dadurch Jobs für Menschen schaffen, die dann wiederum ihre eigene Familie besser durchbringen.

Hat die Union Ihr neues Familienbild schon angenommen?

Wir haben es beim Thema Kinderbetreuung geschafft, uns auf ein Ziel zu einigen, das vor einem Jahr noch unaussprechlich war. Inzwischen wirbt die Union auch in den Landtagswahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen mit diesem gemeinsamen Ziel. Da bewegt sich richtig was für junge Familien.

Eignet sich Familienpolitik zur Abgrenzung von anderen Parteien?

Man sollte die Abgrenzung nicht zum Selbstzweck machen. Wir haben ja in Deutschland lange darunter gelitten, dass die Familienpolitik nicht auf Ergebnisse, sondern auf Abgrenzung setzte. Gute Familienpolitik schafft es, über Parteigrenzen hinweg gemeinsame Ziele zu definieren – und das ist am Beispiel der Kinderbetreuung gelungen. Wir haben sowohl verschiedene Parteien als auch Bund, Länder und Kommunen auf ein Ziel verpflichtet.

Der Urknall fand am 2. April beim Krippengipfel statt?

Das war ganz sicher das wichtigste Datum auf dem Weg zu mehr Kinderbetreuung. Bund, Länder und Kommunen haben sich Anfang April verpflichtet, für 35 Prozent der Kinder bis 2013 einen Tagesmutter- oder Krippenplatz zur Verfügung zu stellen. Diese gemeinsame Verpflichtung gilt, und jeder muss jetzt seinen Teil beitragen. Der Bund wird in den kommenden sechs Jahren vier Milliarden Euro dafür bereit stellt. Und ich denke, dass wir uns mit den Ländern nun auch noch darüber einigen werden, wie das Geld verteilt wird.

Kurt Beck unterstellt Ihnen, Sie bestraften Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, die schon jetzt mit eigenem Geld die Infrastruktur aufgebaut haben.

In allen Bundesländern wird es ab 2013 gleichermaßen für Kinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung geben. Der Bund finanziert auf dem Weg dahin ein Drittel der Kosten. Den größeren Teil müssen die Länder und Kommunen leisten. Einige Bundesländer sind auf diesem Weg schon weit vorangekommen, andere nicht. Die Nachzügler müssen sich in jedem Fall mehr anstrengen als diejenigen Länder, die schon ein Fundament an Kinderbetreuung geschaffen haben. Nun kommt es doch darauf an, nicht den gesamten Prozess zu blockieren. Die Eltern warten auf diese Kinderbetreuung.

Auch die ostdeutschen Länder wollen schon jetzt Betriebskostenzuschüsse vom Bund, weil sie genug Krippenplätze haben.

Der Bund macht hier ein starkes und einmaliges Angebot, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Keine Mutter und kein Vater wird verstehen können, wenn ein gutes Angebot auf einen Krippenplatz wackelt, weil sich die Bundesländer nicht auf die Verteilung des Geldes einigen können. Es gibt seit Jahren einen Finanztransfer im Aufbau Ost für die Infrastruktur, bei der die neuen Bundesländer Nachholbedarf haben. Bei Kinderbetreuung ist es umgekehrt, da haben die alten Bundesländer Nachholbedarf. Deshalb ist der Schwerpunkt in der Ausbauphase in den alten Bundesländern. Die neuen Bundesländer können aber die Bundeshilfen auch zur Sanierung und Renovierung ihrer Krippen nutzen. Ab 2012 kommt ein zweiter Schritt, der Bundesanteil wird die ostdeutschen wie die westdeutschen Länder dann im laufenden Betrieb der Kinderbetreuung entlasten. Das sind zwei handfeste Vorteile.

Ihren Teil des Koalitionsvertrages haben Sie bereits abgearbeitet, Frau Ministerin. Was bleibt für die zweite Hälfte bis 2009?

Das Schöne an Politik ist, dass sie im wirklichen Leben spielt. Das bedeutet, man muss auch Koalitionsverträge nicht nur sklavisch abarbeiten. Dass die Einführung des Elterngeldes beispielsweise eine solch breite gesellschaftliche Diskussion über die Kinderbetreuung auslösen würde, wussten wir 2005 noch nicht, als wir den Koalitionsvertrag unterschrieben haben. Nun ist es so gekommen und die Regierung hat gezeigt, dass sie schnell reagieren und über den Vertrag hinausgehen kann.

Experten warnen davor, es gebe gar nicht genug Krippenerzieher für die vielen neuen Einrichtungen.

Es ist doch klar, dass mit der gleichen Intensität wie der Ausbau der Infrastruktur vorangeht, die Ausbildung des Personals gestärkt werden muss. Als Bundesfamilienministerium sind wir auch verantwortlich im Bereich der Tagesmütter. Vor allem für Eltern mit kleinen Kindern ist das Angebot an Tagesmüttern noch viel zu gering. Außerdem fehlen bessere Standards. Das werden wir jetzt im Rahmen einer Qualitätsoffensive mit den Ländern mit Aus- und Fortbildungsprogrammen ändern. Der Berufsstand muss attraktiver gemacht und das Ansehen gestärkt werden.

Sieben Prozent der Väter haben in den ersten Monaten nach Einführung des Elterngeldes eine Auszeit genommen. Überrascht Sie diese Zahl?

Das freut mich außerordentlich. Sieben Prozent mag auf den ersten Blick wenig sein, aber es heißt: Doppelt so viele Väter wie bisher haben Elternzeit genommen. In Bayern sind es sogar drei Mal so viele. Das sind mutige Vorreiter einer gesellschaftlichen Veränderung. Diese Väter sind die ersten, die ihren Arbeitgebern gesagt haben: Ja, wir wollen uns um unsere Kinder kümmern und das Angebot der Politik annehmen. Ich bin sicher, diesem Beispiel werden viele folgen.

EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla fordert eine Elternzeit-Pflicht für Väter. Unterstützen Sie die Idee?

Eine Pflicht will auch Herr Spidla nicht. Wir arbeiten daran, dass es den Vätern leichter gemacht wird, sich Zeit für Erziehung ihrer Kinder zu nehmen. Das Elterngeld ist als ein Baustein genau der richtige Schritt dahin. Und dass es funktioniert, sehen wir beispielsweise in Island. Dort wurde das Elterngeld 2000 eingeführt. Damals nahmen weniger als drei Prozent Väter ihre Elternzeit. Heute nutzen dort 90 Prozent aller Väter die Elternmonate. Die Rolle des aktiven Vaters ist dort inzwischen in der Arbeitswelt akzeptiert. Eine Gesellschaft, die Kinder haben will, braucht für ihre Erziehung die Väter ebenso wie die Mütter.

Die Bundesländer klagen, das Elterngeldgesetz sei zu bürokratisch und müsse nachgebessert werden. Haben sie Recht?

Ich höre solche Klagen bisher fast nur aus Berlin und zwei weiteren Bundesländern und rate daher, erst einmal vor der eigenen Tür zu kehren. Im Bundesdurchschnitt haben die Eltern ihren Bescheid nach vier bis sechs Wochen in der Hand. Wenn das in Berlin anders ist, liegen die Ursachen in Berlin und nicht im Gesetz.

Berlin klagt, zur Umsetzung des Gesetzes benötige es mehr Personal.

Berlin hatte Startschwierigkeiten, vor allem wegen der eigenen Software. Dass jedes Bundesland seine eigene Software entwickelt hat und es damit nun in Einzelfällen Probleme gibt, ist nicht Sache des Bundes. Und wenn man in den ersten Monaten kaum Anträge bearbeitet, dann türmt sich ein Berg auf, den man dann nur mit mehr Personal abbauen kann. Daran jedoch ist nicht das Gesetz schuld. In großen Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen läuft die Bearbeitung reibungslos.

Auch die bayerische Regierung findet das Gesetz zu kompliziert.

Wir haben im Vorfeld mit allen Bundesländern die Verwaltungsrichtlinien detailliert besprochen. Sollte sich dennoch herausstellen, dass man an dieser oder jenen Stelle das Gesetz nachbessern muss, dann bin ich die letzte, die sich dagegen wehrt, den jungen Eltern das Leben leichter zu machen.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

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