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Ein erwachsenes Kind muss selbst dann Unterhalt für den Vater zahlen, wenn der 40 Jahre lang „abgetaucht“ war - urteilte am Mittwoch der BGH.

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Urteil des Bundesgerichtshofs zum Elternunterhalt: Wann müssen Kinder zahlen?

Der Bundesgerichtshof hat einen Sohn dazu verurteilt, für den Unterhalt seines Vaters aufzukommen. Wer ist zu was verpflichtet?

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat geurteilt, dass ein erwachsenes Kind selbst dann Unterhalt für den Vater bezahlen muss, wenn der 40 Jahre lang „abgetaucht“ war. Was auf den ersten Blick wie ein ausgesprochener Einzelfall aussieht, hat doch grundsätzliche Bedeutung für den Umfang und die Grenzen des Unterhaltsrechts zwischen Kindern und Eltern.

Worum ging es in dem konkreten Fall?

Ein Ehepaar im Raum Bremen bekam 1953 einen Sohn. Kurz vor dessen Abitur trennten sich die Eltern und ließen sich alsbald scheiden. Der Vater brach schon bald danach den Kontakt zu seinem Sohn ab. 1998 errichtete der Vater ein Testament, in dem er seinem Sohn nur den unumgänglichen Pflichtteil zusprach. Als Grund vermerkte er selbst, dass er seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu seinem Abkömmling habe.

Mit 85 Jahren kam der Vater ins Heim. Seine Lebensversicherung war bald von den Heimkosten aufgezehrt, und die Rente reichte nicht aus. Das Sozialamt übernahm für ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2012 rund 30 000 Euro Heimkosten. Das Sozialamt ging nun aber auf den Sohn zu, einen Beamten, und errechnete seinen Unterhaltsanteil für die vier Jahre mit insgesamt rund 9000 Euro. Der Sohn hielt seine Zahlungspflicht nach vierzig Jahren vollkommener Kontaktlosigkeit aber für grob ungerecht. Im Juristendeutsch heißt das „unbillige Härte“.

Der BGH sah es anders. Der zuständige Familiensenat zitierte in seiner Urteilsbegründung noch einmal das Gesetz. Danach sind Eltern und Kinder einander wechselseitig zum Unterhalt verpflichtet. Das Gesetz kennt aber Ausnahmen: Bei einer „schweren Verfehlung“ kann der Unterhalt reduziert werden oder sogar ganz wegfallen. Die Frage war also, ob der Kontaktabbruch des Vaters im Jahr 1972 solch eine schwere Verfehlung war. Die Antwort des Vorsitzenden BGH-Richters Joachim Dose: „Der Senat ist der Meinung, es war eine Verfehlung. Aber eine schwere wäre es nur, wenn weitere Umstände hinzukommen. Solche sind aber nicht festgestellt.“ Der Vater habe sich in den ersten Lebensjahren um seinen Sohn gekümmert, also in der Lebensphase, in der die elterliche Fürsorge am nötigsten ist. Dass er dann zum erwachsenen Sohn den Kontakt abbrach, könne dagegen nicht als „schwere Verfehlung“ gelten. Fazit: Der Sohn muss die 9000 Euro bezahlen. Das Urteil ist rechtskräftig. (Az: Bundesgerichtshof XII ZR 607/12)

Wird den Kindern damit immer die Unterhaltspflicht aufgebürdet?

Die Gewichte werden auf jeden Fall zu den Kindern verschoben. Auf die Dauer des Kontaktabbruchs kommt es nicht an, das steht mit dem Urteil fest. Entscheidend ist vielmehr, wie alt das Kind war, als Vater (oder Mutter) es nicht mehr besuchten. War es bereits erwachsen, hat das keine Auswirkungen auf einen späteren Elternunterhalt. Es wird also mehr Fälle geben, in denen die erwachsenen Kinder zahlen müssen. Dennoch werden andere den Unterhalt für ihre Eltern verweigern können.

Welche Kinder müssen nicht zahlen?

Einen Beispielsfall hat der Vorsitzende Richter Joachim Dose selbst zitiert. Es geht um ein Urteil von 2004. Die Mutter war aus Deutschland ausgewandert und hatte ihre eineinhalbjährige Tochter bei den Großeltern zurückgelassen. In den USA heiratete sie einen anderen Mann und bekam weitere Kinder. Als sie dann nach Deutschland zurückkehrte und im Alter unterhaltsbedürftig wurde, sollte auch hier die Tochter herangezogen werden. Der BGH stellte die Tochter damals von allen Unterhaltspflichten frei. Denn hier sah der BGH – es war derselbe Familiensenat – eine schwere Verfehlung der Mutter. Sie hatte deshalb gegenüber ihrer zurückgelassenen Tochter ihren Unterhaltsanspruch verwirkt. Diese Rechtsprechung gilt weiter.

Also je jünger das Kind, umso schwerer wiegt der Kontaktabbruch?

Ja, diese Linie zeichnet sich ab. Richter Dose sagte am Mittwoch in der Urteilsbegründung, gerade ein Kleinkind brauche besonders den elterlichen Beistand. Dazu gehörten auch regelmäßige Besuche. Wer hier als Elternteil versagt und ein Kleinkind verlässt, macht sich einer schweren Verfehlung schuldig und kann später selbst keinen Unterhalt mehr verlangen. Ein Kontaktabbruch zum erwachsenen Kind wird dagegen „milder“ beurteilt.

1600 Euro müssen jedem Kind monatlich bleiben - für Familien sind die Selbstbehalte höher

Was gilt bei den Fällen, die altersmäßig dazwischen liegen?

Oft erlischt der Kontakt in der Pubertät, wenn der Sohn oder die Tochter zwischen 13 und 16 Jahre alt ist. Dazu gibt es zurzeit noch keine höchstrichterlichen Urteile des BGH. Aber das Gesetz kennt nicht nur „Alles oder Nichts“. Bei schweren Verfehlungen ist auch eine Herabsetzung des Elternunterhalts möglich. Mehr Klarheit werden erst künftige Urteile schaffen.

Der Vater hatte seinen Sohn quasi enterbt – wie wirkt sich das aus?

Der Vater hatte seinem Sohn nur den unumgänglichen Pflichtteil zugesprochen. Das stand dem Vater aber laut dem neuen BGH-Urteil zu. Juristen nennen das die Testierfreiheit. Sie besagt, dass ein Erwachsener grundsätzlich selbst entscheiden kann, wem er sein Vermögen vermacht. Den eigenen Kindern muss allerdings der Pflichtteil bleiben. Das Testament wirkt sich also nicht auf den Elternunterhalt aus.

Mit welchen Zahlungen müssen erwachsene Kinder rechnen?

Es gilt: 1600 Euro müssen jedem erwachsenen Kind monatlich bleiben, erst danach kann es zum Elternunterhalt herangezogen werden. Allerdings wird auch der überschießende Betrag nur zur Hälfte angerechnet. Ein Beispiel: Ein Angestellter ohne Familie verdient 2000 Euro netto; 1600 Euro kann er selbst behalten. Von den 400 Euro Rest werden nur 200 Euro für den Elternunterhalt herangezogen.

Muss der Erwachsene auch Unterhalt an seine eigenen Kinder leisten, werden die auf die 1600 Euro aufgeschlagen. Auch die Ehefrau ohne eigenes Einkommen hat einen Unterhaltsanspruch, der wird ebenfalls dazu gerechnet. Für die sogenannte Sandwichgeneration – die zwischen den Unterhaltsansprüchen der Kinder und der Eltern eingebettet ist – gelten also entsprechend höhere Selbstbehalte.

Wie wird die eigene Altersvorsorge der erwachsenen Kinder berücksichtigt?

Jedes erwachsene Kind hat das Recht, zunächst selbst für sein Alter zu sorgen, bevor es zum Elternunterhalt herangezogen wird. Neben der gesetzlichen Rentenversicherung dürfen zusätzlich fünf Prozent des Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge zurückgelegt werden – und zwar in jedem Berufsjahr. Auch eine Lebensversicherung muss nicht für den Elternunterhalt eingesetzt werden, wenn die Summe nicht fünf Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens übersteigt. Die selbst genutzte Eigentumswohnung muss ebenfalls nicht verkauft werden, um für die Kosten der Heimunterbringung aufzukommen. Hat ein erwachsenes Kind nicht genügend Einkommen, zahlt das Sozialamt die Heimkosten der Senioren, letztlich also der Steuerzahler.

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