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Unter strengen Auflagen. Das Therapieunterbringungsgesetz ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar – allerdings nur dann, wenn eine „hochgradige Gefahr“ von den Straftätern ausgeht.

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Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Nach dem Fall Gustl Mollath: Wegsperren wird schwieriger

Das Verfassungsgericht schränkt das umstrittene Gesetz zur nachträglichen Unterbringung psychisch kranker Straftäter ein – die Koalition wollte damit den Menschenrechtsgerichtshof austricksen.

Es geht zwar auch um Straftäter mit einer psychischen Störung, doch mit dem Fall des entlassenen Psychiatrieinsassen Gustl Mollath hat der Karlsruher Beschluss vom Donnerstag nur indirekt zu tun; Mollath galt als schuldunfähig, er saß im sogenannten psychiatrischen Maßregelvollzug. Das Gesetz, um das es jetzt in Karlsruhe ging – das Therapieunterbringungsgesetz (ThuG) – soll dagegen auf schuldfähige Straftäter angewendet werden – dies allerdings auch nur, wenn bei ihnen eine seelische Störung vorliegt. Den Zugriff auf solche Täter haben die Karlsruher Richter nun im Wege verfassungskonformer Auslegung eingeschränkt, das Gesetz ansonsten aber passieren lassen. Erlaubt ist die zwangsweise Unterbringung nur noch, wenn eine konkrete „hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ gegeben ist.

Eine Nähe zum Fall Mollath gibt es dennoch. Der Beschluss bekräftigt die strengen Maßstäbe für das präventive Wegsperren gefährlicher Täter. Auch bei Mollath ist noch eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe anhängig.

Umgang mit Rückfalltätern

Insgesamt ist der Beschluss eine Bestätigung für den umstrittenen Kurs der Bundesregierung im Umgang mit Rückfalltätern. Nachdem die Sicherungsverwahrung stetig ausgeweitet wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Jahr 2009 die rigorose Praxis in Deutschland als Verstoß gegen das Verbot rückwirkenden Strafens kritisiert. Vor allem, weil die Verwahrung, mit der Verurteilte auch nach Verbüßen ihrer regulären Strafe in Haft behalten werden, faktisch wie Strafvollzug wirke. Ein bloß vorbeugender Freiheitsentzug müsse aber anders ausgestaltet sein und mehr Freiheiten bieten, hieß es.

Weil in der Folge die Entlassung Dutzender gefährlicher Täter drohte – und viele auch tatsächlich entlassen wurden –, hat die Koalition Ende 2010 das ThuG geschaffen. Rund 15 Männer sollen damit bislang wieder festgesetzt worden sein, die meisten in Bayern. Um den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht zu werden, wurde die Unterbringung auf Täter mit einer „psychischen Störung“ beschränkt, die wiederum ursächlich dafür sein muss, dass die Betreffenden „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ Gewalt- oder Sexualverbrechen begehen werden.

Rechtspolitischer Grenzgang

Die Regelung zog viel Kritik auf sich. Der Regierung wurde vorgeworfen, die EGMR-Rechtsprechung umgehen zu wollen. Das Gesetz sei widersprüchlich, hieß es, weil Sicherungsverwahrte gerade nicht aufgrund einer Krankheit gefährlich seien. Für seelisch kranke Straftäter gebe es, wie bei Gustl Mollath, den Maßregelvollzug. Psychiater klagten darüber, der Begriff der Störung sei zudem nicht klar genug umgrenzt; nun würde die psychiatrische Diagnostik benutzt, um zu entlassende Straftäter doch noch irgendwie in Haft behalten zu können.

Die Verfassungsrichter folgten diesen Argumenten nicht, übertrugen aber ihre in einem Urteil von 2011 entwickelten Maßstäbe auf das Therapieunterbringungsgesetz: Nur bei „hochgradiger Gefahr“ – und nicht nur einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ für Rückfälle – dürften die eigentlich zu Entlassenden doch noch festgehalten werden. Einige Gerichte hatten diese Vorgabe umschifft und ließen die weniger strengen Vorgaben des ThuG genügen. So war auch das saarländische Oberlandesgericht mit dem jetzt in Karlsruhe erfolgreichen Kläger verfahren.

Ob der Mann, der vor mehr als 40 Jahren ein Mädchen erwürgte und der immer wieder gewalttätig gegen Frauen wurde, nun freikommt, ist offen. Die saarländischen Richter müssen den Fall unter Berücksichtigung der Karlsruher Vorgaben neu beurteilen.

Dass es sich bei dem Therapieunterbringungsgesetz trotzdem um einen rechtspolitischen Grenzgang handelt, zeigen andere Aspekte des Beschlusses. Auch im Senat war umstritten, wie der Bund die Gesetzgebungskompetenz herleiten konnte, ein Richter schrieb ein Sondervotum dazu. Konsens herrschte dafür bei der Feststellung, dass das ThuG kein verbotenes Einzelfallgesetz sei: Es betreffe zwar eine überschaubare Gruppe von Leuten, aber die Regelung dieses „singulären Sachverhalts“ sei von sachlichen Gründen getragen.

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