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Jüdische Beschneidungszeremonie.

© epd

Urteil gegen Beschneidung: Verletzte Gefühle

Das Landgericht Köln hat die Beschneidung aus religiösen Gründen als Körperverletzung bezeichnet. Juden und Muslime sehen nun ihre religiöse Handlungsfreiheit bedroht. Was folgt aus der Entscheidung?

Seit 3000 Jahren lassen jüdische Eltern aus religiösen Gründen ihre Söhne beschneiden. Auch für Muslime ist die Entfernung der Vorhaut am Penis unabdingbares Zeichen für die Zugehörigkeit zum Islam. Das Landgericht Köln hat am Dienstag entschieden, dass Beschneidungen aus religiösen Gründen strafbar sind.

Wie begründen die Richter das Urteil?

Die Beschneidung stelle eine Körperverletzung dar, die den Körper „dauerhaft und irreparabel verändert“. Deshalb sei das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit wichtiger als das religiöse Selbstbestimmungsrecht der Eltern in Erziehungsfragen. Das Erziehungsrecht der Eltern sei „nicht unzumutbar beeinträchtigt“, wenn sie abwarten müssten, ob sich das Kind später als Volljähriger für eine Beschneidung entscheide, argumentieren die Kölner Richter. Das Verfahren, das zu dem Urteil führte, drehte sich um einen Mediziner, der einen vierjährigen muslimischen Jungen beschnitten hatte. Das Kölner Amtsgericht hatte den Arzt in erster Instanz freigesprochen und argumentiert, der Eingriff trage zum Kindeswohl bei, da ein unbeschnittener Junge in der muslimischen Gemeinschaft womöglich mit Stigmatisierung zu kämpfen hätte.

Was folgt aus dem Kölner Urteil praktisch?

Auch das Urteil in zweiter Instanz spricht den angeklagten Arzt frei. Er habe es nicht besser wissen können, da die zugrunde liegenden Rechtsfragen von Juristen „unterschiedlich beantwortet“ würden. Das Urteil vom Dienstag gilt auch nur für den verhandelten Einzelfall, hat also keine unmittelbaren Folgen für Eltern und Mediziner. Ein anderes Gericht könnte in einem vergleichbaren Fall zu der Auffassung gelangen, niemand sei zu bestrafen.

Nun wird erstmals ein solcher Fall in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Medizinern, die mit religiösen Beschneidungen zu tun haben, werden sich also künftig schwieriger auf den „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ berufen können. Die juristische Schutzvorschrift gilt für jemanden, der nicht wusste und nicht wissen konnte, dass sein Handeln strafbar ist.

Die Haltung des Kölner Landgerichts ist unter Rechtswissenschaftlern umstritten. In Fachkreisen wird seit einigen Jahren diskutiert, ob der Eingriff durch die Einwilligung der Eltern zu rechtfertigen ist, wenn dies nur aus religiösen Motiven heraus geschieht. Endgültige Klarheit könnte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bringen.

Wieso gibt es Beschneidung?

Die älteste bekannte Darstellung einer Beschneidung ist 4400 Jahre alt, ein pharaonisches Grabrelief aus Sakkara, der bedeutenden altägyptischen Nekropole zwanzig Kilometer von Kairo entfernt. Im Koran wird die Beschneidung dagegen nicht erwähnt, obwohl sie bereits in vorislamischer Zeit auf der Arabischen Halbinsel praktiziert wurde. Nur die Sunna, die islamische Überlieferung, definiert sie als integralen Bestandteil des Islam, weil notwendig für die rituelle Reinheit der Muslime. Denn nach Auffassung des Islam hängt die Gültigkeit frommer Handlungen, wie etwa die fünf täglichen Gebete, ab von der rituellen Reinheit des Gläubigen.

Die Beschneidung ist für jüdische Eltern eine religiöse Pflicht und muss am achten Lebenstag eines Jungen vorgenommen werden. Sie erinnert an den Bund, den Gott mit Abraham geschlossen hat. Wer seinen Sohn nicht beschneiden lässt und wer das auch nach Vollendung des 13. Lebensjahres nicht nachholt, stellt sich außerhalb des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel. Auch im Islam ist die Beschneidung eines Jungen konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft. Die islamischen Rechtsschulen sind aber flexibler, was den Zeitpunkt angeht, in der Türkei ist der Eingriff üblich zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr. Im Islam nehmen vor allem Ärzte den Eingriff vor, im Judentum häufig speziell religiös und medizinisch ausgebildete „Mohel“. Die Beschneidungen werden zu Hause, in der Synagoge, in der Moschee oder im Krankenhaus vorgenommen. Auf eine Betäubung wird in der Regel verzichtet.

Wie weit darf der Staat in die Religionsfreiheit eingreifen?

Es geht um eine Grundrechtsabwägung. Zweifellos erfüllt das Beschneiden des Penisses den Tatbestand einer Körperverletzung, wie jede Operation, selbst das Entfernen einer Warze. Entscheidend ist, wie weit das Einwilligungsrecht der Eltern reichen soll, um die „Tat“ rechtfertigen zu können. Bei medizinischen Indikationen ist die Sache klar. Bei religiösen Gründen kommen die im Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit und das Elternrecht ins Spiel. Diese Rechte müssen gegen das ebenfalls im Grundgesetz geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes abgewogen werden.

Dass es zu dem Streit kommen musste, war absehbar. Es ist nur eine von vielen und zunehmenden Konfrontationen staatlichen Rechts mit religiösen Bestimmungen. In anderen Verfahren ging es etwa um das Tragen eines Kopftuchs als beamtete Lehrerin, um die Teilnahme muslimischer Mädchen am Schwimmunterricht, um das islamische Gebet an staatlichen Schulen. Hier jedoch ist der Fall besonders heikel, es geht ums Strafrecht, den Kernbestand der Normen, den ein Gemeinwesen verteidigen will. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich religiöse Gruppen empört zeigen: Das Urteil rügt keine mangelnde Integrationsbereitschaft oder ruft zu Kompromissen auf, sondern definiert Ärzte und Eltern klar als Täter. Daran könnte vielerlei geknüpft werden, auch etwa eine Ausweisung.

Der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig hält das Urteil „für rechtlich und politisch verfehlt“. Dass der Eingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfülle, sei eindeutig. Aber da eine Gefährdung des Kindeswohls überaus zweifelhaft sei, müsse man den Eltern die Entscheidungsfreiheit lassen. Vor allem aber fürchtet Heinig einen großen gesellschaftspolitischen Schaden. Das Urteil werde weltweit rezipiert, und viele Juden und Muslime seien verunsichert. Heinig fürchtet, diese werden zur Geburt ihrer Kinder ins Ausland fahren und sagen: „In Deutschland kann man sein Judentum, sein Muslimsein ja nicht leben.“

Wie reagieren die Betroffenen?

„Seit tausenden Jahren gilt das religiöse Gesetz, und jetzt kommt ein deutsches Gericht und verbietet das?“, empörte sich Lala Süsskind, frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin. „Soll mich jetzt der Nachbar anzeigen, weil ich mein Enkelkind schneiden lasse?“

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der Koordinationsrat der Muslime und die Türkische Gemeinde verurteilten die Entscheidung der Kölner Richter und fürchten „große Rechtsunsicherheit“. Der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek mahnte, die Religionsfreiheit sei „ein sehr hohes Gut in unserer Verfassung“ und dürfe „nicht Spielball einer eindimensionalen Rechtsprechung sein“. Zudem würden bestehende Vorurteile und Klischees beim Thema Beschneidung durch das Kölner Urteil „noch weiter verfestigt“. mit M.G.

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