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Urwahl bei den Grünen: Proporz trifft Basis

Die Grünen wollen ihr Spitzenduo für die Bundestagswahl per Urwahl bestimmen. Das ist in der Partei umstritten. Denn die Basisdemokratie könnte mit dem Proporz kollidieren.

Es wäre ein Novum in der Geschichte der Grünen: Die Partei will womöglich in einer Urwahl über die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 entscheiden. Bis zum Herbst sollen die rund 59 000 Mitglieder darüber befinden, welches Spitzenduo die Partei in die Wahl führt – vorausgesetzt, es gibt mehr als zwei Bewerbungen. Klar ist bislang nur, dass mindestens eine Frau an der Spitze stehen soll. Das Mittel der Urabstimmung sei „ausgezeichnet“, wenn es nicht von inhaltlichen Debatten ablenke, lobt Parteichefin Claudia Roth.

Genau das befürchten Kritiker dieses Verfahrens: Wenn die Grünen sich nun monatelang mit Personalfragen beschäftigten, werde das in den drei bevorstehenden Landtagswahlen nicht besonders hilfreich sein. Befürworter der Urwahl hingegen argumentieren, dass eine Zuspitzung auf zwei Personen besser sei als etwa ein Wahlkampfteam aus vier Politikern, die sich gegenseitig misstrauisch beäugen.

Dass die Basis bei einer solchen Personalfrage mitreden kann, haben die Grünen auf ihrem letzten Parteitag in Kiel im November 2011 beschlossen. Damals wurde ein Passus in die Satzung eingeführt, der vorsieht, dass die Urwahl auch über Spitzenkandidaturen der Bundespartei durchgeführt werden könne. Es gelte dabei die Mindestquotierung, heißt es in Paragraf 24. Das heißt: In einem solchen Verfahren muss mindestens eine Frau gewählt werden, eine weibliche Doppelspitze wäre aber auch akzeptabel.

Wie schnell dieser neue Passus ins Gespräch gebracht werden würde, ahnte auf dem Parteitag wohl kaum einer. Es liegt auch an den ungeklärten Führungsfragen bei den Grünen, dass der Parteivorstand am Montag für eine quotierte Doppelspitze votierte, die in den kommenden Monaten durch eine Urwahl legitimiert werden könnte. Das Verfahren soll ein kleiner Parteitag in Lübeck am 28. April klären. „Die Debatte muss raus aus den Hinterzimmern“, sagte Roth.

Zuvor hatten sich am Samstag Roth und ihr Co-Chef Cem Özdemir mit den Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast und Jürgen Trittin, auf eine solche Doppelsitze verständigt. Nachdem aus dem Realoflügel Überlegungen bekannt geworden waren, den Parteilinken Trittin zum alleinigen Spitzenkandidaten zu küren, hatte Roth die Reißleine gezogen: Pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März sprach sie sich kategorisch dagegen aus, dass ausgerechnet die Grünen die Frauenquote ignorieren.

Wer von den vier Spitzen-Grünen bei einer Urwahl kandidieren würde, wurde allerdings weder bei dem Vierer-Treffen noch am Montag in den Gremien besprochen. Auch Roth betonte, sie habe bislang nur ihre „grundsätzliche Bereitschaft“ erklärt, sich für ein solches Amt zur Verfügung zu stellen. „Ich will nicht eine Personaldebatte rauf und runter auslösen“, sagte die Grünen-Politikerin. Trittins Kandidatur gilt zwar in der Partei als sicher, der Fraktionschef will sich aber noch nicht festlegen lassen. Unklar ist derzeit, wer für den Reformerflügel ins Rennen gehen könnte. Parteichef Özdemir hat mehrfach durchblicken lassen, dass er nicht antreten möchte. Und Fraktionschefin Künast, bislang die Vorzeigefrau der Realos, hat seit der Berlin-Wahl deutlich an Unterstützung in den eigenen Reihen verloren. Ob sie antreten wird, lässt auch sie bislang offen.

Bei einer Urwahl könnte am Ende also auch ein Spitzenduo gewählt werden, das aus den beiden linken Flügelvertretern Roth und Trittin besteht. „Wir haben keine Flügelquoten, schon gar nicht wenn es um die Formation für den Wahlkampf geht“, sagte Roth. Es müsse um die Aufstellung gehen, mit der die Grünen möglichst viele Wähler überzeugen könnten. Ob sie zum Verzicht bereit wäre, wenn die Realos eine eigene Kandidatin aufstellen, sagte Roth nicht.

Der bayerische Landesvorsitzende Dieter Janecek, Realo-Koordinator für die Länder, warb für „Ausgewogenheit“ bei den Spitzenkandidaten. „Es muss gewährleistet sein, dass eine Doppelspitze sich der Gesamtpartei verpflichtet fühlt“, sagt er. Und die stellvertretende Fraktionschefin Ekin Deligöz mahnt das Realolager, sich auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen, um im Wahlkampf nicht unterzugehen. „Jürgen Trittin ist gesetzt. Wir müssen aus unseren Reihen eine starke Frau finden. Das kann nur funktionieren, wenn wir Reformer an einem Strang ziehen“, sagt Deligöz.

Ob die Reformer sich für Künast aussprechen, ist ungewiss. Als alternative Kandidatin wird gelegentlich Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt genannt, die sich auch als Repräsentantin der evangelischen Kirche Ansehen in der Bevölkerung erarbeitet hat.

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