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Politik: US-Abgeordnete geißeln Völkermord an Armeniern

Ankara sieht sich wegen Beschluss eines Kongressausschusses brüskiert – und will amerikanischen Nachschub für den Irak kappen

Abdullah Gül reagierte sofort. Nach dem Beschluss des Auswärtigen Ausschusses im US-Repräsentantenhaus in Washington, den türkischen Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, meldete sich der türkische Staatspräsident noch in der Nacht zum Donnerstag zu Wort. Diese Entscheidung sei einer Großmacht wie den USA unwürdig, erklärte Gül. Leider hätten amerikanische Politiker die „großen Fragen“ ihren engstirnigen innenpolitischen Spielchen geopfert. Was Gül mit den „großen Fragen“ meinte, könnte den Amerikanern schon bald klar werden: Türkische Politiker drohen damit, den US-Nachschub für den Irak zu kappen, der vorwiegend über türkisches Staatsgebiet läuft. Außerdem macht die US-Entscheidung eine türkische Intervention im Nordirak wahrscheinlicher.

„Inakzeptabel“ sei der Beschluss der US-Abgeordneten, kritisierte die Regierung in Ankara. „Endet jetzt eine hundertjährige Partnerschaft?“, fragte die Zeitung „Hürriyet“. Sollte das Plenum des US-Repräsentantenhauses die Entschließung des Ausschusses übernehmen, will die Türkei mit gezielten Maßnahmen reagieren. Dabei werde sein Land aber mit kühlem Kopf vorgehen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. In den vergangenen Jahren hatte Ankara auf mehrere ähnliche Parlamentsentscheidungen, darunter in Frankreich oder der Schweiz, empfindlich reagiert. So wurden französische Firmen von Rüstungsprojekten in der Türkei ausgeschlossen.

Im Fall der USA könnten die Konsequenzen wesentlich weiter reichen. Rund 70 Prozent des Luftnachschubes für die US-Truppen in Irak laufen nach Angaben des Pentagon über den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik bei Adana. Auch 30 Prozent des US-Treibstoffes für den Irak werden über die Türkei transportiert. Neue gepanzerte Fahrzeuge, die US-Soldaten besser vor Anschlägen schützen sollen, kommen ebenfalls über die Türkei nach Bagdad. Sollte die Türkei die Basis Incirlik und den Seehafen Mersin für die Amerikaner schließen, stünde die US-Armee vor erheblichen Problemen. Auch ein Teil des Nachschubes für Afghanistan wird über die Türkei abgewickelt.

Türkische Diplomaten und Militärs arbeiten Fernsehberichten zufolge an einem Maßnahmenkatalog, zu dem die Schließung des türkischen Luftraums für US-Militärflugzeuge gehören soll – was den Iraknachschub abwürgen würde. Zudem soll die militärische Zusammenarbeit mit den USA in der Nato auf ein Mindestmaß abgesenkt werden – was Missionen wie die in Afghanistan treffen könnte. Schon vor der Abstimmung im US-Ausschuss hatten türkische Politiker die Amerikaner gewarnt: „Vergesst Mersin“, sagte der Außenpolitiker Egemen Bagis.

Nach der als Demütigung empfundenen Ausschussentscheidung wird in der Türkei auch der Ruf nach einer baldigen Militärintervention im Nordirak lauter werden, bei dem die Militärs gegen die PKK-Kurdenrebellen im Nachbarland vorgehen wollen. Bisher zögerten die Türken unter anderem mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zu Washington mit dem Einmarsch. Diese Überlegung dürfte ab sofort keine große Rolle mehr spielen. Nächste Woche soll die Beschlussvorlage für die Truppenentsendung im Parlament von Ankara beraten werden.

Mit der amerikanischen Entscheidung hat zudem die Politisierung der Armenierfrage eine neue Dimension erreicht. Offiziell steht die Türkei auf dem Standpunkt, dass der Tod mehrerer hunderttausend Armenier im Ersten Weltkrieg die unbeabsichtigte Folge einer kriegsbedingten Umsiedlungsaktion war. Von einem gezielten Völkermord könne aber keine Rede sein. Armenien und ein Großteil der Forschung sehen das anders.

Türkische Nationalisten sehen sich nun in ihrer Ansicht bestätigt, dass ausländische Mächte das Thema benutzen, um Druck auf die Türkei auszuüben. Dabei wäre ein Umdenken in der Armenierfrage in der Türkei dringend nötig. Nur wenige Stunden nach dem Beschluss im US-Kongress verurteilte ein Istanbuler Gericht zwei türkisch-armenische Journalisten wegen „Beleidigung des Türkentums“ zu Bewährungsstrafen.

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