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Wut auf Amerika. Der Amerikaner Raymond Davis erschoss zwei Pakistaner.

© REUTERS

US-Agent in Pakistan: "Eine Billigversion von James Bond"

Die Affäre um einen CIA-Agenten gefährdet das Bündnis zwischen den USA und Pakistan. Die Regierung in Islamabad ist in der Zwickmühle.

Es nieselt. Der Himmel ist grauverhangen und lässt das Industriegebiet mit den rostigen Fabriken noch trostloser aussehen. Hier liegt Kot Lakhpat, das Gefängnis von Lahore. Vor dem Eingang sind Kameras aufgebaut. Irgendwo hinter den roten Mauern sitzt der Amerikaner Raymond Davis seit dem 27. Januar in Einzelhaft. Der 36-jährige mit den grauen Haaren ist derzeit der wohl meistgehasste Mann in Pakistan. Aus Angst vor Attentaten wird der Prozess gegen ihn im Gefängnis stattfinden. Das Verfahren sollte eigentlich am Dienstag beginnen, wurde aber auf kommende Woche vertagt. Dem Amerikaner wird ein Doppelmord vorgeworfen. Unter dubiosen Umständen soll der US-Agent zwei junge Pakistaner auf offener Straße erschossen haben – von hinten, sagen Augenzeugen. Überall in der Millionenmetropole hängen Plakate von ihm, die seinen Hals in der Schlinge zeigen. Das Volk will ihn hängen sehen, die USA pochen dagegen darauf, dass er diplomatische Immunität besitzt.

Davis „müsse freigelassen werden“, das habe für die USA „erste Priorität“, sagte der neue US-Sondergesandte für Pakistan und Afghanistan, Marc Grossman. Der Streit hat die beiden Verbündeten in die schwerste diplomatische Krise seit Jahren gestürzt. Die ohnehin brüchige Allianz wackelt, und die Wut im Volk auf die USA, die sonst schon groß ist, wächst gefährlich. „Verschwinde, Amerika, verschwinde“ rufen Demonstranten auf den Straßen und der pakistanische Geheimdienst ISI hat erzürnt die Zusammenarbeit mit seinem US-Counterpart CIA zurückgefahren. Mit Grauen sieht die schwache, US-gestützte Regierung dem 14. März entgegen. Dann muss sie vor einem Gericht in Lahore aussagen, ob Davis Immunität besitzt. Die Regierung steckt in einem Dilemma: Wird Davis der Prozess gemacht, riskiert sie den Zorn Washingtons, an dessen Geldtropf das Land hängt. Lässt sie ihn laufen, könnte das Volk auf die Barrikaden gehen.

„Dann wird die Regierung stürzen“, sagt Hamid Gul kampfeslustig. In seinem Büro in der Garnisonsstadt Rawalpindi sitzend, zitiert er ganze Seiten aus der Verfassung. Für Gul gibt es nichts zu deuteln: Davis gehöre in Pakistan vor Gericht. Der 74-Jährige war von 1987 bis 1989 unter Premierministerin Benazir Bhutto Chef des ISI. Damals arbeitete er eng mit den Amerikanern zusammen. Gemeinsam päppelte man die Vorläufer der Taliban hoch, um sie in Afghanistan auf die Russen zu hetzen. Doch nach dem Abzug der Sowjetunion hat Washington ihn und Afghanistan schnöde fallen gelassen. Das hat Gul den USA nie verziehen. Heute ist er ihr Intimfeind. Er soll weiter Kontakte mit den Taliban pflegen, die USA haben ihn auf die Terrorliste gesetzt.

Der Fall Davis markiere einen Wendepunkt im Verhältnis von Pakistan und den USA, sagt Gul. Wenn Pakistans Regierung ihn laufen lasse, werde sie ihr eigenes Ende einläuten. Dann würden nicht nur die Religiösen, sondern auch die 2,5 Millionen Ex-Soldaten auf die Straße ziehen. Davis sei eine Billigversion von James Bond mit der „Lizenz zum Töten“, der ohne Erlaubnis in Pakistan operiert habe. Damit habe er das Land und dessen Sicherheitsdienste entehrt. Und Ehre zähle viel hier. Davis sei nicht der einzige US-Agent dieser Sorte. „In Pakistan laufen 1000 von denen herum – mindestens“, sagt Gul. „Sind die Amerikaner unsere Freunde oder unsere Feinde?“, fragt er. Es ist eine rhetorische Frage, die Gul für sich längst entschieden hat. Er wähnt die Amerikaner hinter allem Bösen, auch hinter den Bombenanschlägen und Terrorattacken in seinem Land.

Die USA wollten Pakistan destabilisieren, um dies dann als Ausrede anzuführen, dem Land seine Atomwaffen wegzunehmen, meint Gul. Man könnte das als Paranoia eines alten „Spymasters“ abtun, wie sich Gul selbst in einer Mischung aus Stolz und Selbstironie nennt. Doch tatsächlich glauben viele Pakistaner, dass nicht die Extremisten, sondern Amerika ihr wahrer Feind ist. Sie misstrauen den USA und ihren Motiven zutiefst. Vor allem die Religiösen und Radikalen schlachten den Fall Davis aus, um das Volk gegen Washington aufzustacheln. Doch der Antiamerikanismus hat längst auch die junge, gebildete Generation an den Hochschulen infiziert. „Sie hassen Amerika wie nichts“, sagt eine Dozentin.

Und Davis verkörpert perfekt das Bild des bulligen, dubiosen US-Agenten, der über – pakistanische – Leichen geht. Seinen Anfang nahm das Drama am 27. Januar im alten Lahore, am belebten Qurtaba-Platz. Es ist Mittagszeit, als Davis mit seinem weißen Civic Honda vor einer Ampel hält, seine halbautomatische Glock zückt und durch die Windschutzscheibe auf zwei Männer feuert, die auf einem Motorrad sitzen. Danach fotografiert er den Tatort. Es sei Notwehr gesehen, sagt er später. „Von Notwehr kann keine Rede sein“, widerspricht ein Geschäftsmann, der ein Restaurant am Tatort führt. Davis habe erst den Beifahrer vom Motorrad geschossen, dann habe er weiter gefeuert, als der zweite Pakistaner flüchten wollte. Die Zahl der Todesopfer erhöht sich auf drei, als Davis seine Kollegen zur Hilfe ruft, die noch einen unbeteiligten Pakistaner umfahren.

Die Affäre um Davis bietet alle Zutaten, um die Verschwörungstheorien weiter anzuheizen. Zumal die US-Regierung keine gute Figur abgibt. Immer wieder tischte sie neue Versionen auf, was Davis in Pakistan tat. Zunächst hieß es vage, er sei technischer Mitarbeiter des US-Konsulats in Lahore, dann war er als Bodyguard und Sicherheitsbeauftragter für die Botschaft in Islamabad tätig. Zuletzt gab Washington zu, er arbeite irgendwie für den CIA. Doch auch dies könnte nur die halbe Wahrheit sein. Viel spricht dafür, dass der ehemalige Soldat, der fließend Urdu sprechen soll, zum Dunstkreis der berüchtigten Sicherheitsfirma Blackwater, die sich heute Xe nennt, gehört. Und Blackwater trauen die Pakistaner alles zu.

Frühere Nachbarn von Davis in Pakistan schildern ihn als dubios. Er habe mit Typen ähnlichen Schlages die Wohnung geteilt, sie hätten viel Geld gehabt, einen Haufen Autos und häufig die Nummerschildern an den Wagen gewechselt. „Die haben sich aufgeführt, als stünden sie über dem Gesetz“, sagt einer. Später berichten Medien, dass er im Handy die Nummern von Extremisten- und Taliban-Gruppen gespeichert hatte. Um sie auszuspähen, sagen US-Medien. Um Beweise zu fälschen, dass die Extremisten Atomwaffenmaterial hätten, damit die USA Pakistan entwaffnen können, spekulieren dagegen Medien in Pakistan. Bis heute bleibt im Dunkeln, warum er die beiden jungen Pakistaner erschoss. Für die USA ist die ganze Affäre auch ein PR-Desaster. Sie haben erst vor wenigen Monaten einen PR-Feldzug gestartet, um Amerika-Hass und Extremismus entgegenzusteuern. Und nun das.

Zwar mehren sich die Signale, dass die Spitzen von USA und Pakistan einen Ausweg aus dem Davis-Dilemma suchen. Der Konflikt geht allerdings tiefer. Er spiegelt das tief gestörte Verhältnis beider Länder wider. Die USA und Pakistan brauchen einander im Kampf gegen den Terror, und die USA brauchen Pakistan, um eine Lösung in Afghanistan zu finden. Doch Partner auf Augenhöhe waren die beiden Länder nie.

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