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© RIA NOVOSTI

US-Außenpolitik: Obama sagt Raketenabwehr in Tschechien ab

Kein Radarsystem auf tschechischem Boden, lautet Obamas Entscheidung. In Polen und Tschechien stößt dieser Verzicht auf die Raketenabwehr auf Unverständnis. Russland hingegen feiert seinen außenpolitischen Sieg

Washington/Warschau/Prag - Kurz nach Mitternacht hat bei Jan Fischer in Prag das Telefon geklingelt. Am anderen Ende der Leitung war US-Präsident Barack Obama, der dem tschechischen Premier mitteilte, dass auf tschechischem Boden kein Radarsystem für die geplante Raketenabwehr gebaut werde. Auf die Entscheidung Obamas, die er am Donnerstag offiziell verkündete, reagierte Russland mit Genugtuung, während sich ost- und mitteleuropäische Staaten enttäuscht zeigten. Lob kam aus der Nato und aus Deutschland.

„Um es einfach zu sagen, unsere neue Verteidigungsarchitektur in Europa wird sich als stärkere, intelligentere und schnellere Verteidigung der US-Truppen und der Verbündeten erweisen“, sagte Obama. Er treffe diese Entscheidung nach eingehender Prüfung der iranischen Raketenentwicklung und in voller Übereinstimmung mit der US-Militärführung. Die Entscheidung für das neue System basiere auf zwei Aspekten: Zum einen betrachteten die Geheimdienste seit neuestem vor allem die iranischen Kurz- und Mittelstreckenwaffen als Hauptbedrohung. Zum anderen gebe es Fortschritte in der US-Abwehrtechnologie.

„Die Tschechische Republik nimmt diese Entscheidung zur Kenntnis“, sagte Fischer. Mehr als zwei Jahre hat die tschechische Regierung mit den USA über die Stationierung der Raketenabwehr verhandelt und sogar bereits ein Abkommen über die Stationierung von amerikanischen Streitkräften in Tschechien unterzeichnet. Die endgültige Ratifizierung durch das Parlament stand allerdings noch aus. Fischer sagte am Abend in Brüssel: „Es gibt keinen Grund, unsere Beziehungen mit den USA zu ändern. Wir haben starke Verbündete und starke Partner.“ Deutliche Kritik an der Entscheidung Obamas äußerte der frühere Regierungschef Mirek Topolanek, dessen Regierung die Verhandlungen mit Amerika geführt hatte. „Uns bringt das in die Position, dass wir sicherheitspolitisch und partnerschaftlich nicht fest verankert sind. Das ist nach meiner Wahrnehmung eine gewisse Gefährdung“, sagte Topolanek. Die stärkere Einbindung in die westliche Sicherheitsarchitektur war für die tschechischen Spitzenpolitiker von vornherein der stärkste Anreiz für eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern.

Donald Tusk versucht die positiven Seiten zu sehen. Es gebe nun die Chance, die Zusammenarbeit zwischen Polen und den USA zu verstärken, sagte der polnische Premier. Ganz konnte er seine Enttäuschung aber nicht verbergen, als er sagte, dass Amerika „die Pläne in Bezug auf den Raketenschirm geändert“ habe. Diese Mitteilung habe ihm Präsident Barack Obama am Donnerstag in einem Gespräch gemacht. Er wolle den Verzicht der USA nicht kommentieren, meinte der Premier diplomatisch, „das ist eine autonome Entscheidung der Vereinigten Staaten“. Was nun weiter passiert, wusste Tusk nicht zu sagen. Es sei nun an der Zeit für eine neue, konkrete Offerte der USA an Polen. Er habe dem US-Präsidenten allerdings unmissverständlich gesagt, dass bei jedem Angebot die Sicherheit Polens immer an erster Stelle stehe. Außenminister Radoslaw Sikorski sagte am Abend, Washington habe Polen zugesagt, dennoch Raketen vom Typ „Patriot“ aufzustellen. Eine Verbindung der mit Sprengköpfen bestückten „Patriots“ mit dem polnischen Abwehrsystem solle möglich sein.

Wesentlich deutlicher als der amtierende Premier wurde Lech Walesa. Der ehemalige polnische Staatspräsident fuhr schwere verbale Geschütze auf. „Die Amerikaner haben sich immer nur um ihre Interessen gekümmert und alle anderen ausgenutzt“, sagte ein offensichtlich tief enttäuschter Walesa dem Fernsehsender „TVN24“. Die Polen müssten nun ihre Sicht auf Amerika überprüfen und mehr an ihre Interessen denken.

Für viele in Polen dürfte die Entscheidung der USA nicht überraschend gekommen sein. Bereits im August hatte die polnische Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ darüber berichtet, dass Washington die Pläne für den Raketenschild wahrscheinlich in der Schublade verschwinden lassen werde. Washington erwägt nun, Abfangraketen auf Schiffen sowie auf Stützpunkten in Israel und der Türkei zu stationieren. Auch Balkanländer kämen dafür vielleicht in Frage.

Für ihre zustimmende Haltung zu den US-Plänen sind Tschechien und Polen hart kritisiert worden. Der Rückzieher aus Amerika wird deshalb jetzt von führenden Politikern als Sieg für Russland gewertet. „Der erste Eindruck ist eine gewaltige Enttäuschung über die Feigheit von Herrn Obama. Ich halte das für einen Verrat an den Verbündeten“, sagte Jan Vidim, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im tschechischen Abgeordnetenhaus. Amerika mache unter Obama „unendliche Zugeständnisse“ an Russland. In Polen waren die Verträge für das Abwehrsystem erst nach langen Debatten und unter dem Eindruck des Krieges in Georgien unterschrieben worden. Beide Seiten einigten sich darauf, dass im Gegenzug für den Aufbau des Raketenschirms die polnischen Streitkräfte modernisiert und mit Patriot-Abwehrraketen verstärkt würden. Wichtiger aber noch in den Augen der Polen war ein Pakt, in dem die USA dem kleinen Verbündeten versicherten, in „schwierigen Zeiten“ umgehend zu Hilfe zu kommen.

Der russische Präsident Dimitri Medwedew sagte in Moskau: „Wir schätzen das verantwortungsvolle Vorgehen des US-Präsidenten.“ Er sei bereit, „den Dialog fortzusetzen“. Für Russland ist die Aufgabe der Raketenabwehr in Ost- und Mitteleuropa ein außenpolitischer Erfolg. Denn das Land hatte diese Pläne stets als eine Bedrohung der eigenen Sicherheitsinteresse betrachtet. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, es sei ein positiver Schritt, dass die USA „über eine Raketenabwehr diskutieren, die alle Verbündeten einschließen und alle Verbündeten schützen kann“. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Entscheidung ein „hoffnungsvolles Signal zu mehr internationaler Gemeinsamkeit“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich ähnlich, er wertete die Entscheidung als Zeichen, „dass die amerikanische Regierung gemeinsame Lösungen anstrebt“.

Die Anpassung der US-Pläne soll offenbar auch dazu beitragen, dass Russland verschärften Wirtschaftssanktionen gegen Teheran zustimmt, falls der Iran kein Entgegenkommen im Streit um sein Atomprogramm und dessen Überwachung zeigt. Diese Gespräche sollen am 1. Oktober beginnen. Mit der vom Iran ausgehenden Gefahr hatte der frühere Präsident George W. Bush die Pläne begründet, in Tschechien eine Radarstation zu bauen und in Polen zehn Abfangraketen zu stationieren. Nach damaligen Prognosen würde der Iran 2015 technisch so weit sein. Deshalb sollte auch die Raketenabwehr bis dahin einsatzbereit sein. In Russland setzte sich jedoch rasch die Interpretation durch, das Projekt richte sich nicht gegen den Iran, sondern verändere die Rüstungsbalance zwischen Ost und West. Polen und Tschechien interpretierten ihre Teilnahme ebenfalls als Mittel, um ihr Bündnis mit den USA gegen Moskau zu stärken. Parallel gab es wiederholt Misserfolge bei Tests der Raketenabwehr. Das führte zu dem Eindruck, es sei kein Verlass auf die Technik, die zudem immer teurer wurde.

K. Krohn[K. Kirchgessner], C. von Marschall

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