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US-Botschafter Barkley: "Die DDR war uns suspekt"

Richard C. Barkley war der letzte US-Botschafter in Ostberlin – er erinnert sich an eine bewegte Zeit.

Von Matthias Schlegel

Richard C. Barkley machte in der DDR das Licht aus. Zumindest in der US-Botschaft. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 endete nicht nur die Existenz der DDR, sondern auch die der im Ostteil Berlins ansässigen diplomatischen Vertretungen.

In der neuen US-Botschaft am Pariser Platz ist der heute 76-Jährige, der längst aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden ist und als Privatier in Washington lebt, dieser Tage zum ersten Mal. Er fremdelt ein bisschen – „alles ein wenig nüchtern und kühl“, kommentiert er den im Juli 2008 eingeweihten Bau. Zwei Querstraßen weiter, im alten Haus in der Neustädtischen Kirchstraße, war es übersichtlicher.

„1974 haben wir die diplomatischen Beziehungen nur sehr widerwillig aufgenommen. Die DDR war uns ziemlich gleichgültig und auch ein bisschen suspekt“, erinnert sich Barkley. Als die DDR und die Bundesrepublik 1973 in die UN aufgenommen worden waren, rollte auf den bis dahin international weitgehend geächteten Ostteil Deutschlands die lang ersehnte Anerkennungswelle zu. Die USA waren die letzten unter den Alliierten, die diesen Schritt vollzogen.

Als Barkley Ende November 1988 als US-Botschafter nach Ostberlin kommt, ist die Stimmung im Land diffus. Unter dem Eindruck der Reformbestrebungen in anderen osteuropäischen Staaten ist auch die DDR-Bevölkerung wacher, unruhiger geworden. Und dem Land laufen die Leute weg – sie versuchen auch über die diplomatischen Vertretungen des Westens zu flüchten. „Wir hatten eine Vereinbarung mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik, dass wir niemanden, der unsere Botschaft betritt, an die DDR-Behörden ausliefern“, sagt Barkley. In solchen Fällen wird DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel eingeschaltet, der das Problem ohne großes Aufsehen löst. Nicht nur für die Flüchtlinge, auch für die Diplomaten ist der umtriebige Mann mit besten Drähten ins innerdeutsche Ministerium eine Art Erlöser. Zunächst handelt es sich um Einzelfälle – doch im Herbst 1989 „hatten wir eine heikle Zeit“, erinnert sich der Botschafter.

Am 1. Oktober 1989 will Barkley nach Prag reisen, um seine prominente tschechische Botschafterkollegin Shirley Temple zu besuchen. Bei einem Zwischenstopp in Dresden erlebt er eine aufgewühlte Stadt. Es ist der Tag, an dem die Züge mit den DDR-Flüchtlingen aus der deutschen Botschaft in Prag durch den Dresdner Hauptbahnhof rollen. Barkley fährt sofort nach Berlin zurück. Drei Tage später suchen sechs Familien mit Kindern in der Ostberliner US-Botschaft Unterschlupf. Ein amerikanischer Journalist wird Augenzeuge und berichtet über das Geschehen. „Kurz darauf standen hunderte Leute an der Botschaft“, sagt Barkley, „und wir mussten sie schließen.“ Vogel wird angerufen, sichert den Leuten die Ausreise zu, wenn sie die Botschaft verlassen. „Und draußen sagte er überraschend den rund zweihundert Leuten das gleiche.“ Lastwagen kommen, die Leute steigen freiwillig ein. Er habe später erfahren, dass allen kurzfristig die Ausreise ermöglicht worden sei. Barkley weiß, was dahinter steckt: Wenige Tage später will die DDR ihren 40. Jahrestag feiern, da stören solche Bilder.

Die Jubelfeier am 7. Oktober erlebt der US-Botschafter im Palast der Republik. Zum Festempfang sind alle gekommen – von Jaruzelski aus Warschau über Ceausescu aus Bukarest bis zum damaligen und heutigen nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und PLO-Chef Jassir Arafat. Aber der Star des Publikums draußen und drinnen ist Michail Gorbatschow, der Mann aus Moskau, auf dem alle Hoffnungen ruhen. Die Stimmung ist seltsam gespannt. Lange hält es den US-Diplomaten nicht im Saal. Als er mit dem finnischen Botschafter draußen vor den Palast tritt, jubelt ihnen die Menge zu. Sein Kollege deutet auf Barkleys Glatze und sagt: „Die glauben, dass Sie Gorbatschow sind.“ Zwei Tage später hat die friedliche Revolution mit der Großdemonstration in Leipzig ihren Höhepunkt erreicht. Einen Monat danach fällt die Mauer.

Hatte Barkley je die Sorge, dass es, wie 1953, zu einem militärischen Eingreifen der Sowjets kommen könnte? „Wir hatten keinerlei Anzeichen dafür, dass die Russen ihre Kasernen verließen. Wir gingen davon aus, dass Gorbatschow viel zu verlieren hatte.“

Honecker wird abgesetzt, Nachfolger Egon Krenz versucht zu retten, was zu retten ist. Der Dresdner SED-Bezirkschef Hans Modrow, der als Reformer gilt, wird Ministerpräsidenten. Barkley schickt täglich Berichte nach Washington über die sich überschlagenden Ereignisse, bespricht sich mit Bonn und den Alliierten. „Keiner wusste, wo das alles hinsteuert.“ Es gibt für ihn nur eine klare Linie: Die Sowjets sollen nicht unter Druck gesetzt, nicht provoziert werden, zumal die Beziehungen zwischen Gorbatschow und US-Präsident George H.W. Bush recht gut sind. „Und wir sprachen nicht von der Einheit Deutschlands. Das war nicht unsere Sache.“ Barkley erinnert sich, dass seine damalige Einschätzung nicht von allen geteilt wurde: Er hielt die DDR „für reformbedürftig, aber nicht für reformfähig“.

Im Dezember 1989 kommt US-Außenminister James Baker nach Deutschland. Barkley regt an, dass Baker Modrow trifft. Helmut Kohl hatte für Januar, Francois Mitterrand für Februar einen Besuch in der DDR angekündigt. „Wir können nicht immer hinterherlaufen“, argumentiert der US-Diplomat. Das Treffen soll in Potsdam stattfinden, und es soll zusätzlich ein Gespräch mit Kirchenvertretern geben. Das Weiße Haus stimmt zu. Am 12. Dezember treffen sich Baker und Modrow in einem Potsdamer Interhotel. Zum ersten Mal betritt ein US-Außenminister den Boden der DDR. Modrow verspricht freie Wahlen. Die deutsche Einheit ist kein Thema. Baker ist dennoch hochzufrieden. Er wird in den nächsten Monaten einer der entscheidenden Wegbereiter der deutschen Einheit.

Dem DDR-Regierungschef Lothar de Maizière bleibt es vorbehalten, als erster und zugleich letzter offizieller Repräsentant der DDR auf amerikanischem Boden mit dem Präsidenten der führenden Nation der Welt zusammenzutreffen. Am 11. Juni 1990 spricht er in Washington mit George H. W. Bush. Mit am Tisch sitzt Richard C. Barkley, der Ostberliner Botschafter. Seine Mission ist nahezu erfüllt.

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